Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.Die Vi-r regis des Weltverkehrs 1. Der durch äußere Kriege fast unaufhörlich in Anspruch genommne 2. Die Besetzung der höchsten Stellen im Staat erfolgt mehr und mehr 3. Infolge hiervon herrscht überall Ämterhandel. 4. Die höchsten Beamten werden mit ganz enormen Gehalten ausgestattet, 5. Die Verschwendung des Hofes und die damit verbundne Münzver¬ Ihren Ursprung nahmen diese Elemente des Verfalls einmal in der Ver¬ Die Sultane lebten in der Folge abgeschlossen von den Staatsgeschüften '') Nnnkel Die Osmanen und die spanische Monarchie,
Die Vi-r regis des Weltverkehrs 1. Der durch äußere Kriege fast unaufhörlich in Anspruch genommne 2. Die Besetzung der höchsten Stellen im Staat erfolgt mehr und mehr 3. Infolge hiervon herrscht überall Ämterhandel. 4. Die höchsten Beamten werden mit ganz enormen Gehalten ausgestattet, 5. Die Verschwendung des Hofes und die damit verbundne Münzver¬ Ihren Ursprung nahmen diese Elemente des Verfalls einmal in der Ver¬ Die Sultane lebten in der Folge abgeschlossen von den Staatsgeschüften '') Nnnkel Die Osmanen und die spanische Monarchie,
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0461" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/229410"/> <fw type="header" place="top"> Die Vi-r regis des Weltverkehrs</fw><lb/> <p xml:id="ID_1313"> 1. Der durch äußere Kriege fast unaufhörlich in Anspruch genommne<lb/> Sultan erscheint immer seltner im Staatsrat iDivan). Die Veziere bemächtigen<lb/> sich mehr und mehr der Verwaltung, schließlich wird der Sultan vom Divan<lb/> gesetzlich ausgeschlossen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1314"> 2. Die Besetzung der höchsten Stellen im Staat erfolgt mehr und mehr<lb/> lediglich nach Willkür mit den Günstlingen der Machthaber, ohne daß dazu<lb/> eine vorbereitende, geregelte Staatskarriere nötig ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_1315"> 3. Infolge hiervon herrscht überall Ämterhandel.</p><lb/> <p xml:id="ID_1316"> 4. Die höchsten Beamten werden mit ganz enormen Gehalten ausgestattet,<lb/> während zugleich das Staatsvermögen immer mehr schwindet, indem ein sehr<lb/> großer Teil der als Amtsausstattung verliehenen Lehngüter zu Erbgütern um¬<lb/> gewandelt wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_1317"> 5. Die Verschwendung des Hofes und die damit verbundne Münzver¬<lb/> schlechterung.</p><lb/> <p xml:id="ID_1318"> Ihren Ursprung nahmen diese Elemente des Verfalls einmal in der Ver¬<lb/> derbnis aller Staatsverhältnisse des byzantinischen Reichs, die nach der Er¬<lb/> oberung der Hauptstadt auf die kraftvollen aber rohen Eroberer wirkte, sodann<lb/> in der schon erwähnten Vereinigung der geistlichen und der weltlichen Gewalt.<lb/> Seit dem Mongolensturm von 1258 lebten die mit der Khalifenwürde be¬<lb/> kleideten abbassidischen Abkömmlinge in Kairo. Nachdem die Osmanen 1517<lb/> dem Mamelukenreich ein Ende gemacht und Kairo erobert hatten, beseitigte der<lb/> Sultan den letzten Khalifen und legte sich selbst dessen Würde bei. Aber<lb/> „eine so absolute Gewalt ist nicht für den Menschen; die Völker sind nicht so<lb/> klein und elend, sie ertragen zu können. Es wird sich auch kein Herrscher<lb/> finden, der groß genug wäre, sie auszuüben, ohne selbst dabei zu Grnnde zu<lb/> gehen."</p><lb/> <p xml:id="ID_1319" next="#ID_1320"> Die Sultane lebten in der Folge abgeschlossen von den Staatsgeschüften<lb/> und der Kriegführung als Dalailama in ihren Harems; die Großveziere, zu<lb/> ihrer Vertretung geschaffen, machten aus ihrem Amt ein Hausmeiertum,<lb/> freilich oft genug gehemmt durch die Interessen des Harems und die Launen<lb/> des Sultans. Sultan Mohammed III. (1595 bis 1603) war der letzte<lb/> osmanische Prinz, der vor seiner Thronbesteigung eine Statthalterschaft<lb/> verwaltet hatte. Seitdem waren die Prinzen von jeder Staatsstellung aus¬<lb/> geschlossen und wurden durch die Haremserziehung natürlich für die Führung<lb/> der Geschäfte immer untauglicher. Man sieht, daß diese Zustände durchaus<lb/> nicht ohne abendländische Gegenbilder sind. Viele der erwähnten Züge finden<lb/> sich im unvioir rvgimv und bei den kleinen deutschen Duodezthrannen des<lb/> vorigen Jahrhunderts, den lächerlichen Nachahmern des größenwahnsinnigen<lb/> Uol Lolvil — ein Unwesen, dem erst Friedrich Wilhelm I. von Preußen und</p><lb/> <note xml:id="FID_45" place="foot"> '') Nnnkel Die Osmanen und die spanische Monarchie,</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0461]
Die Vi-r regis des Weltverkehrs
1. Der durch äußere Kriege fast unaufhörlich in Anspruch genommne
Sultan erscheint immer seltner im Staatsrat iDivan). Die Veziere bemächtigen
sich mehr und mehr der Verwaltung, schließlich wird der Sultan vom Divan
gesetzlich ausgeschlossen.
2. Die Besetzung der höchsten Stellen im Staat erfolgt mehr und mehr
lediglich nach Willkür mit den Günstlingen der Machthaber, ohne daß dazu
eine vorbereitende, geregelte Staatskarriere nötig ist.
3. Infolge hiervon herrscht überall Ämterhandel.
4. Die höchsten Beamten werden mit ganz enormen Gehalten ausgestattet,
während zugleich das Staatsvermögen immer mehr schwindet, indem ein sehr
großer Teil der als Amtsausstattung verliehenen Lehngüter zu Erbgütern um¬
gewandelt wird.
5. Die Verschwendung des Hofes und die damit verbundne Münzver¬
schlechterung.
Ihren Ursprung nahmen diese Elemente des Verfalls einmal in der Ver¬
derbnis aller Staatsverhältnisse des byzantinischen Reichs, die nach der Er¬
oberung der Hauptstadt auf die kraftvollen aber rohen Eroberer wirkte, sodann
in der schon erwähnten Vereinigung der geistlichen und der weltlichen Gewalt.
Seit dem Mongolensturm von 1258 lebten die mit der Khalifenwürde be¬
kleideten abbassidischen Abkömmlinge in Kairo. Nachdem die Osmanen 1517
dem Mamelukenreich ein Ende gemacht und Kairo erobert hatten, beseitigte der
Sultan den letzten Khalifen und legte sich selbst dessen Würde bei. Aber
„eine so absolute Gewalt ist nicht für den Menschen; die Völker sind nicht so
klein und elend, sie ertragen zu können. Es wird sich auch kein Herrscher
finden, der groß genug wäre, sie auszuüben, ohne selbst dabei zu Grnnde zu
gehen."
Die Sultane lebten in der Folge abgeschlossen von den Staatsgeschüften
und der Kriegführung als Dalailama in ihren Harems; die Großveziere, zu
ihrer Vertretung geschaffen, machten aus ihrem Amt ein Hausmeiertum,
freilich oft genug gehemmt durch die Interessen des Harems und die Launen
des Sultans. Sultan Mohammed III. (1595 bis 1603) war der letzte
osmanische Prinz, der vor seiner Thronbesteigung eine Statthalterschaft
verwaltet hatte. Seitdem waren die Prinzen von jeder Staatsstellung aus¬
geschlossen und wurden durch die Haremserziehung natürlich für die Führung
der Geschäfte immer untauglicher. Man sieht, daß diese Zustände durchaus
nicht ohne abendländische Gegenbilder sind. Viele der erwähnten Züge finden
sich im unvioir rvgimv und bei den kleinen deutschen Duodezthrannen des
vorigen Jahrhunderts, den lächerlichen Nachahmern des größenwahnsinnigen
Uol Lolvil — ein Unwesen, dem erst Friedrich Wilhelm I. von Preußen und
'') Nnnkel Die Osmanen und die spanische Monarchie,
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