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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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berufen und auch schließlich seinen Neffen als Thronfolger anerkannt, aber es
hat streng darauf gehalten, daß dessen in Rumänien geborner Sohn im Lande
und in der nationalen Kirche erzogen wird. Wir Deutschen finden uicht die
Energie, eine solche Forderung zu stellen und durchzusetzen!

Unsre "nationale" Presse hält sich wohl über dergleichen Vorkommnisse
auf, aber sie ist noch nicht auf den Standpunkt gelangt, die Regelung solcher
Erbfolgefrageu durch die nationale Reichsgewalt, als die Hüterin des natio¬
nalen Interesses, zu verlangen. Sie spottet zwar über die bei Ehen in fürst¬
lichen Häusern geforderte Ebenbürtigkeit, als wenn beiläufig nicht auch in ganz
andern Kreisen ebenso streng auf eine gewisse Ebenbürtigkeit gesehen würde,
aber sie nimmt keinen Anstoß daran, daß das Erbrecht in Sachsen-Meiningen
und Schwarzburg-Rudolstadt durch Landtagsbeschluß ncugevrdnet worden und
dadurch das an sich bessere, ältere Recht der Agnaten aus andern Häusern
gebrochen worden ist; sie nimmt dasselbe Recht für den lippischen Landtag in
Anspruch und ereifert sich über den Vorschlag, diese Regelung bei der Menge
der einander widerstreitenden Anwartschaften dem Bundesrate zu überlassen,
obwohl der ganze Fall selbst zwischen den Staatsrechtslehrern sehr streitig ist.
Sie vergißt dabei nicht bloß, daß das alte Reich bis in seine letzte Verfall¬
zeit hinein eine oberste Autorität für solche Fälle kannte, die ein zusammen¬
gesetzter Staat im Grunde gar nicht entbehren kann, sondern sie weiß auch
uicht mehr, daß sich die liberale Partei und Presse jahrelang bemüht hat, ein
viel einschneidenderes Einschreiten des Reichs in Mecklenburg zu veranlassen,
um dem Lande eine konstitutionelle Verfassung zu verschaffe". Ja sie geht in
ihrer seltsamen Vorliebe für die ungeschmälerte Souveränität auch des kleinsten
Einzelstaats so weit, daß sie in der Frage der militärischen Ehrenbezeigungen
für die Kinder des Regenten von Lippe mit einer ebenso unschicklichen als un¬
begründeten Animosität gegen den Kaiser Partei ergreift, als ob die Grund¬
lagen des Reichs bedroht seien. Und doch wäre das Recht, das der Graf-
Regent in dem jetzt, wieder durch eine elende Indiskretion boshafter oder Sub¬
alterner Menschen, an die Öffentlichkeit gebrachten Brief an den Kaiser vom
8- Juli d. I. wenigstens theoretisch sür sich in Anspruch nimmt, das Recht,
als "Kontingentsherr" Gegenbefehle gegen die Befehle des kaiserlichen Kriegs¬
herrn zu erlassen, eine wahrhafte Ungeheuerlichkeit, praktisch wie theoretisch,
denn zwei konkurrirende militärische Gewalten in demselben Bereiche kann es
nicht geben, und der "Kontingcntsherr," der die Militärhoheit an die Krone
Preußen abgetreten hat, kann nur die "Stellung und die Ehrenrechte" eines
kommandirenden Generals beanspruchen, nicht ein Kommandorecht, das mit dem
des Korpsgenernls konkurrirte. Der Kaiser hat also nur sein Recht gewahrt, wenn
^ diesen Anspruch zurückwies, und sogar die Schärfe seines doch nicht für die
Öffentlichkeit bestimmten Telegramms ist bei der Ungeheuerlichkeit des An¬
spruchs begreiflich, die Bundesfürsten aber, die der Regent angerufen hat, können


berufen und auch schließlich seinen Neffen als Thronfolger anerkannt, aber es
hat streng darauf gehalten, daß dessen in Rumänien geborner Sohn im Lande
und in der nationalen Kirche erzogen wird. Wir Deutschen finden uicht die
Energie, eine solche Forderung zu stellen und durchzusetzen!

Unsre „nationale" Presse hält sich wohl über dergleichen Vorkommnisse
auf, aber sie ist noch nicht auf den Standpunkt gelangt, die Regelung solcher
Erbfolgefrageu durch die nationale Reichsgewalt, als die Hüterin des natio¬
nalen Interesses, zu verlangen. Sie spottet zwar über die bei Ehen in fürst¬
lichen Häusern geforderte Ebenbürtigkeit, als wenn beiläufig nicht auch in ganz
andern Kreisen ebenso streng auf eine gewisse Ebenbürtigkeit gesehen würde,
aber sie nimmt keinen Anstoß daran, daß das Erbrecht in Sachsen-Meiningen
und Schwarzburg-Rudolstadt durch Landtagsbeschluß ncugevrdnet worden und
dadurch das an sich bessere, ältere Recht der Agnaten aus andern Häusern
gebrochen worden ist; sie nimmt dasselbe Recht für den lippischen Landtag in
Anspruch und ereifert sich über den Vorschlag, diese Regelung bei der Menge
der einander widerstreitenden Anwartschaften dem Bundesrate zu überlassen,
obwohl der ganze Fall selbst zwischen den Staatsrechtslehrern sehr streitig ist.
Sie vergißt dabei nicht bloß, daß das alte Reich bis in seine letzte Verfall¬
zeit hinein eine oberste Autorität für solche Fälle kannte, die ein zusammen¬
gesetzter Staat im Grunde gar nicht entbehren kann, sondern sie weiß auch
uicht mehr, daß sich die liberale Partei und Presse jahrelang bemüht hat, ein
viel einschneidenderes Einschreiten des Reichs in Mecklenburg zu veranlassen,
um dem Lande eine konstitutionelle Verfassung zu verschaffe». Ja sie geht in
ihrer seltsamen Vorliebe für die ungeschmälerte Souveränität auch des kleinsten
Einzelstaats so weit, daß sie in der Frage der militärischen Ehrenbezeigungen
für die Kinder des Regenten von Lippe mit einer ebenso unschicklichen als un¬
begründeten Animosität gegen den Kaiser Partei ergreift, als ob die Grund¬
lagen des Reichs bedroht seien. Und doch wäre das Recht, das der Graf-
Regent in dem jetzt, wieder durch eine elende Indiskretion boshafter oder Sub¬
alterner Menschen, an die Öffentlichkeit gebrachten Brief an den Kaiser vom
8- Juli d. I. wenigstens theoretisch sür sich in Anspruch nimmt, das Recht,
als „Kontingentsherr" Gegenbefehle gegen die Befehle des kaiserlichen Kriegs¬
herrn zu erlassen, eine wahrhafte Ungeheuerlichkeit, praktisch wie theoretisch,
denn zwei konkurrirende militärische Gewalten in demselben Bereiche kann es
nicht geben, und der „Kontingcntsherr," der die Militärhoheit an die Krone
Preußen abgetreten hat, kann nur die „Stellung und die Ehrenrechte" eines
kommandirenden Generals beanspruchen, nicht ein Kommandorecht, das mit dem
des Korpsgenernls konkurrirte. Der Kaiser hat also nur sein Recht gewahrt, wenn
^ diesen Anspruch zurückwies, und sogar die Schärfe seines doch nicht für die
Öffentlichkeit bestimmten Telegramms ist bei der Ungeheuerlichkeit des An¬
spruchs begreiflich, die Bundesfürsten aber, die der Regent angerufen hat, können


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/454>, abgerufen am 12.12.2024.