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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Steht die katholische Belletristik auf der Höhe der Zeit?

neuem Leben aufwache und mit uns andern arbeite an der gemeinsamen Kultur,
auf dem gemeinsamen Wurzelboden des Vaterlandes. Ich schließe mit den
Schlußworten unsers Unbekannten: "Ein Wandel wird nur dann eintrete",
wenn wir unser Wirken in der Zeit, mit den Mitteln und in der Sprache der
Zeit als unsre Pflicht erkannt haben. In der Erfüllung der erkannten Pflicht
werden wir dann ans diesen Gebieten allmählich heimischer, und mit der größern
Vertrautheit wird unsre innere Teilnahme geweckt, unser Verhältnis auch zur
schönen Litteratur und Kunst wärmer, thatkräftiger. Möchte es dieser Broschüre
gelingen, nach dieser Seite hin einen kräftigen Anstoß zu geben. Dann wird
es ihrem Verfasser gleichgiltig sein, ob man sie im einzelnen angreift, befeindet
oder tadelt."




Die vorstehenden Betrachtungen waren schon geschrieben, als dem Refe¬
renten, der ziemlich aufmerksam Tagespresse und Zeitschriftcnlitteratur zu ver¬
folgen Pflegt, einige sehr bezeichnende Auslassungen der katholischen oder der
ultramontanen Presse zu Gesicht kamen. Zunächst eine neue Äußerung der
Kölnischen Volkszeitung (Ur. 846, drittes Blatt), ein Aufsatz "Ästhetische
Irrlichter" aus der Feder des Jesuiten Gietmann. Dieser würdig gehaltene
Artikel ist sür einen Teil der katholischen Auffassung von Kunst, für die Auf¬
fassung, die vorzugsweise von Geistlichen vertreten und damit zum Dogma
erhoben wird, ein bezeichnendes Beispiel. Und seine Antwort war an und
für sich zu erwarten. Denn dem tiefern Beobachter entgeht es nicht, daß
sich in der vielbesprochnen Broschüre des Veremundus eine Laienstimme mit
Bewußtsein gegen die Bevormundung des Klerus regt, und hier führt nun
ein Ästhetiker des Klerus einen Gegenhieb. Wie gestaltet sich diese Entgeg¬
nung? Hier einige Proben: "Mit großem Nachdruck wird von Veremundus
alle "Prüderie" verurteilt. Es mag ja sein, daß der Verfasser nach dieser
Seite mit unvernünftigem Eifer zu kämpfen gehabt hat; aber er irrt, wenn er
meint, für Kinder und für die Familie seien die echten Romane nicht. Wer
liest sie denn mehr als gerade diese?" Kinder und Familie! Sie also werden
von Pater Gietmann als Hauptpublikum eines "echten Romans" gedacht!
Nun, dann allerdings, bei solcher Anspruchslosigkeit brauchen sich reife und
tiefgebildete Männer nicht weiter zu bemühen, den Roman zu einer wahrhaft
vornehmen Kunstform, zu einer Abspiegelung der tiefsten und allseitigsten Vor¬
gänge, Fragen und Charaktere dieses Erdenlebens zu erhöhen. Eine gute,
Pädagogisch sorgsam durchdachte Jugenderzählung genügt.

Weiter unten lesen wir einen Satz, den man gleichfalls herausnehmen und
mitteilen muß: "Wenn irgendwo, so muß bei der Erotik (in Poesie und Roman)
auch ein moralischer Maßstab angelegt werden, und dies in korrekter Weise zu
thun, dazu hat der Priester einen besondern Beruf." Es fällt einem schwer,


Steht die katholische Belletristik auf der Höhe der Zeit?

neuem Leben aufwache und mit uns andern arbeite an der gemeinsamen Kultur,
auf dem gemeinsamen Wurzelboden des Vaterlandes. Ich schließe mit den
Schlußworten unsers Unbekannten: „Ein Wandel wird nur dann eintrete»,
wenn wir unser Wirken in der Zeit, mit den Mitteln und in der Sprache der
Zeit als unsre Pflicht erkannt haben. In der Erfüllung der erkannten Pflicht
werden wir dann ans diesen Gebieten allmählich heimischer, und mit der größern
Vertrautheit wird unsre innere Teilnahme geweckt, unser Verhältnis auch zur
schönen Litteratur und Kunst wärmer, thatkräftiger. Möchte es dieser Broschüre
gelingen, nach dieser Seite hin einen kräftigen Anstoß zu geben. Dann wird
es ihrem Verfasser gleichgiltig sein, ob man sie im einzelnen angreift, befeindet
oder tadelt."




Die vorstehenden Betrachtungen waren schon geschrieben, als dem Refe¬
renten, der ziemlich aufmerksam Tagespresse und Zeitschriftcnlitteratur zu ver¬
folgen Pflegt, einige sehr bezeichnende Auslassungen der katholischen oder der
ultramontanen Presse zu Gesicht kamen. Zunächst eine neue Äußerung der
Kölnischen Volkszeitung (Ur. 846, drittes Blatt), ein Aufsatz „Ästhetische
Irrlichter" aus der Feder des Jesuiten Gietmann. Dieser würdig gehaltene
Artikel ist sür einen Teil der katholischen Auffassung von Kunst, für die Auf¬
fassung, die vorzugsweise von Geistlichen vertreten und damit zum Dogma
erhoben wird, ein bezeichnendes Beispiel. Und seine Antwort war an und
für sich zu erwarten. Denn dem tiefern Beobachter entgeht es nicht, daß
sich in der vielbesprochnen Broschüre des Veremundus eine Laienstimme mit
Bewußtsein gegen die Bevormundung des Klerus regt, und hier führt nun
ein Ästhetiker des Klerus einen Gegenhieb. Wie gestaltet sich diese Entgeg¬
nung? Hier einige Proben: „Mit großem Nachdruck wird von Veremundus
alle »Prüderie« verurteilt. Es mag ja sein, daß der Verfasser nach dieser
Seite mit unvernünftigem Eifer zu kämpfen gehabt hat; aber er irrt, wenn er
meint, für Kinder und für die Familie seien die echten Romane nicht. Wer
liest sie denn mehr als gerade diese?" Kinder und Familie! Sie also werden
von Pater Gietmann als Hauptpublikum eines „echten Romans" gedacht!
Nun, dann allerdings, bei solcher Anspruchslosigkeit brauchen sich reife und
tiefgebildete Männer nicht weiter zu bemühen, den Roman zu einer wahrhaft
vornehmen Kunstform, zu einer Abspiegelung der tiefsten und allseitigsten Vor¬
gänge, Fragen und Charaktere dieses Erdenlebens zu erhöhen. Eine gute,
Pädagogisch sorgsam durchdachte Jugenderzählung genügt.

Weiter unten lesen wir einen Satz, den man gleichfalls herausnehmen und
mitteilen muß: „Wenn irgendwo, so muß bei der Erotik (in Poesie und Roman)
auch ein moralischer Maßstab angelegt werden, und dies in korrekter Weise zu
thun, dazu hat der Priester einen besondern Beruf." Es fällt einem schwer,


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[0422] Steht die katholische Belletristik auf der Höhe der Zeit? neuem Leben aufwache und mit uns andern arbeite an der gemeinsamen Kultur, auf dem gemeinsamen Wurzelboden des Vaterlandes. Ich schließe mit den Schlußworten unsers Unbekannten: „Ein Wandel wird nur dann eintrete», wenn wir unser Wirken in der Zeit, mit den Mitteln und in der Sprache der Zeit als unsre Pflicht erkannt haben. In der Erfüllung der erkannten Pflicht werden wir dann ans diesen Gebieten allmählich heimischer, und mit der größern Vertrautheit wird unsre innere Teilnahme geweckt, unser Verhältnis auch zur schönen Litteratur und Kunst wärmer, thatkräftiger. Möchte es dieser Broschüre gelingen, nach dieser Seite hin einen kräftigen Anstoß zu geben. Dann wird es ihrem Verfasser gleichgiltig sein, ob man sie im einzelnen angreift, befeindet oder tadelt." Die vorstehenden Betrachtungen waren schon geschrieben, als dem Refe¬ renten, der ziemlich aufmerksam Tagespresse und Zeitschriftcnlitteratur zu ver¬ folgen Pflegt, einige sehr bezeichnende Auslassungen der katholischen oder der ultramontanen Presse zu Gesicht kamen. Zunächst eine neue Äußerung der Kölnischen Volkszeitung (Ur. 846, drittes Blatt), ein Aufsatz „Ästhetische Irrlichter" aus der Feder des Jesuiten Gietmann. Dieser würdig gehaltene Artikel ist sür einen Teil der katholischen Auffassung von Kunst, für die Auf¬ fassung, die vorzugsweise von Geistlichen vertreten und damit zum Dogma erhoben wird, ein bezeichnendes Beispiel. Und seine Antwort war an und für sich zu erwarten. Denn dem tiefern Beobachter entgeht es nicht, daß sich in der vielbesprochnen Broschüre des Veremundus eine Laienstimme mit Bewußtsein gegen die Bevormundung des Klerus regt, und hier führt nun ein Ästhetiker des Klerus einen Gegenhieb. Wie gestaltet sich diese Entgeg¬ nung? Hier einige Proben: „Mit großem Nachdruck wird von Veremundus alle »Prüderie« verurteilt. Es mag ja sein, daß der Verfasser nach dieser Seite mit unvernünftigem Eifer zu kämpfen gehabt hat; aber er irrt, wenn er meint, für Kinder und für die Familie seien die echten Romane nicht. Wer liest sie denn mehr als gerade diese?" Kinder und Familie! Sie also werden von Pater Gietmann als Hauptpublikum eines „echten Romans" gedacht! Nun, dann allerdings, bei solcher Anspruchslosigkeit brauchen sich reife und tiefgebildete Männer nicht weiter zu bemühen, den Roman zu einer wahrhaft vornehmen Kunstform, zu einer Abspiegelung der tiefsten und allseitigsten Vor¬ gänge, Fragen und Charaktere dieses Erdenlebens zu erhöhen. Eine gute, Pädagogisch sorgsam durchdachte Jugenderzählung genügt. Weiter unten lesen wir einen Satz, den man gleichfalls herausnehmen und mitteilen muß: „Wenn irgendwo, so muß bei der Erotik (in Poesie und Roman) auch ein moralischer Maßstab angelegt werden, und dies in korrekter Weise zu thun, dazu hat der Priester einen besondern Beruf." Es fällt einem schwer,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/422>, abgerufen am 12.12.2024.