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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Steht die katholische Belletristik ans der Höhe der Zeit?

nur verinnerlicht und verfeinert. Ich halte diese ganze Definition eines
"katholischen Romans" für verunglückt, weil der Begriff selber ein Widersinn
ist. Das Beiwort katholisch ist in der Phraseologie der Kunst schlechthin un¬
zulänglich.

Glücklicherweise liegt den übrigen, sehr besonnenen und verständigen Aus¬
führungen des Verfassers diese Begriffsbestimmung gar nicht zu Grunde.
Vielmehr legt Veremundus in einem eignen Kapitel "Zur Charakteristik der
epischen Prosadichtuug" seine in der That sehr hohe Auffassung von epischer
Poesie dar. Durchaus richtig ist seine Grundauffassung, von einer künstlerischen
Ausgestaltung dieser noch so jungen Dichtungsform, des Romans und der
Novelle, könne noch so gut wie gar nicht die Rede sein. Am höchsten vom künst¬
lerischen Standpunkt aus stellt Veremuudus den plastischen, "marmorklaren,"
innerlich aber doch leidenschaftlich bewegten C. F. Meyer. Im übrigen ist
der Roman, sei es im Stil, sei es in der Stoffwahl oder der Stoffumrahmung
(besonders was überflüssige Betrachtungen oder Schilderungen anbelangt), in
der That eine bisher noch ziemlich oberflächlich behandelte Kunstform, die ihn
noch sehr in die Grenzgegend der echten Poesie rückt. Wenn nun aber Vere¬
mundus an eine Schrift des Kritikers Mauerhof anknüpft und sich auf die
Definition festlegt, der Roman habe in der dichterischen Form auf Homer
zurückzugehen und sich seinen künstlerischen Zweck aus dem Drama Shake¬
speares zu entlehnen; er müsse daher eine klarbewußte Handlung innerhalb
einer bestimmten künstlerischen Idee in der vorbildlichen Darstellungsweise des
alten Epos zu Gehör bringen -- so ist hieraus noch nicht zu erkennen, wo
denn hier die Grenzen zwischen dramatischer und epischer Betrachtungs- und
Gestaltuugsweise zu suchen sind. Warum den "künstlerischen Zweck" nicht
auch aus Homer holen, warum aus Shakespeare? Und soll dieser Zweck aus
dem Dramatiker oder aus dem christlich vertieften Dichter schlechthin geholt
werden? Wenn mit diesem Zweck die "handelnde Leidenschaft" (im Gegensatz
zu konventionellem Handeln) gemeint ist: sollte nicht damit ein gut Stück
dramatisches oder gar tragisches Dichtertnm in diese Begriffsbestimmung des
Epischen hineingeraten sein? Mir will scheinen, als ob Mauerhof bei allen
seinen Definitionen durchaus einseitig von der tragischen Poesie ausgeht, die
ja, seelisch gemessen, in der That die tiefste Fülle unsrer Stimmungen und
Leidenschaften aufwühlt, die aber innerhalb der gesamten Kunst eben doch nur
ein Teil vom Ganzen ist, so gut wie ein Ahasver oder Prometheus doch mir
Teile des Weltbildes sind. Für Kleists tragische Grundstimmung hat Mauer¬
hof deshalb volles Mitempfinden; auf Goethe, den harmonischen, schimpft er
bei jeder Gelegenheit in mitunter recht unziemlicher Tonart, und uoch un¬
gerechter ist der verbohrte Ästhetiker gegenüber Schiller. Dieser Gefahr, aus
einer einzelnen Stimmung und einer einzelnen Definition das bunte organische
Leben zu begutachten, ist auch der freiere Veremnndns gelegentlich verfallen.


Steht die katholische Belletristik ans der Höhe der Zeit?

nur verinnerlicht und verfeinert. Ich halte diese ganze Definition eines
„katholischen Romans" für verunglückt, weil der Begriff selber ein Widersinn
ist. Das Beiwort katholisch ist in der Phraseologie der Kunst schlechthin un¬
zulänglich.

Glücklicherweise liegt den übrigen, sehr besonnenen und verständigen Aus¬
führungen des Verfassers diese Begriffsbestimmung gar nicht zu Grunde.
Vielmehr legt Veremundus in einem eignen Kapitel „Zur Charakteristik der
epischen Prosadichtuug" seine in der That sehr hohe Auffassung von epischer
Poesie dar. Durchaus richtig ist seine Grundauffassung, von einer künstlerischen
Ausgestaltung dieser noch so jungen Dichtungsform, des Romans und der
Novelle, könne noch so gut wie gar nicht die Rede sein. Am höchsten vom künst¬
lerischen Standpunkt aus stellt Veremuudus den plastischen, „marmorklaren,"
innerlich aber doch leidenschaftlich bewegten C. F. Meyer. Im übrigen ist
der Roman, sei es im Stil, sei es in der Stoffwahl oder der Stoffumrahmung
(besonders was überflüssige Betrachtungen oder Schilderungen anbelangt), in
der That eine bisher noch ziemlich oberflächlich behandelte Kunstform, die ihn
noch sehr in die Grenzgegend der echten Poesie rückt. Wenn nun aber Vere¬
mundus an eine Schrift des Kritikers Mauerhof anknüpft und sich auf die
Definition festlegt, der Roman habe in der dichterischen Form auf Homer
zurückzugehen und sich seinen künstlerischen Zweck aus dem Drama Shake¬
speares zu entlehnen; er müsse daher eine klarbewußte Handlung innerhalb
einer bestimmten künstlerischen Idee in der vorbildlichen Darstellungsweise des
alten Epos zu Gehör bringen — so ist hieraus noch nicht zu erkennen, wo
denn hier die Grenzen zwischen dramatischer und epischer Betrachtungs- und
Gestaltuugsweise zu suchen sind. Warum den „künstlerischen Zweck" nicht
auch aus Homer holen, warum aus Shakespeare? Und soll dieser Zweck aus
dem Dramatiker oder aus dem christlich vertieften Dichter schlechthin geholt
werden? Wenn mit diesem Zweck die „handelnde Leidenschaft" (im Gegensatz
zu konventionellem Handeln) gemeint ist: sollte nicht damit ein gut Stück
dramatisches oder gar tragisches Dichtertnm in diese Begriffsbestimmung des
Epischen hineingeraten sein? Mir will scheinen, als ob Mauerhof bei allen
seinen Definitionen durchaus einseitig von der tragischen Poesie ausgeht, die
ja, seelisch gemessen, in der That die tiefste Fülle unsrer Stimmungen und
Leidenschaften aufwühlt, die aber innerhalb der gesamten Kunst eben doch nur
ein Teil vom Ganzen ist, so gut wie ein Ahasver oder Prometheus doch mir
Teile des Weltbildes sind. Für Kleists tragische Grundstimmung hat Mauer¬
hof deshalb volles Mitempfinden; auf Goethe, den harmonischen, schimpft er
bei jeder Gelegenheit in mitunter recht unziemlicher Tonart, und uoch un¬
gerechter ist der verbohrte Ästhetiker gegenüber Schiller. Dieser Gefahr, aus
einer einzelnen Stimmung und einer einzelnen Definition das bunte organische
Leben zu begutachten, ist auch der freiere Veremnndns gelegentlich verfallen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/419>, abgerufen am 12.12.2024.