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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Steht die katholische Belletristik auf der Höhe der Zeit?

Produkte erwerbsbedürftiger Schriftsteller oder Früchte weiblicher Schreib- und
Fabulirseligkeit, sofern ihnen nicht in fast gleich vielen Fällen nur der Ehr¬
geiz, litterarisch von sich reden zu machen, oder die Absicht, durch sie Ideen
zu kolportiren, Gevatter gestanden hat. Sie sind gleichgiltig für die Litteratur¬
geschichte; denn sie erfinden nichts, sie schaffen kein neues Leben und vernichten
keins, letzteres höchstens, wie Eichendorff sagt, durch ihre eigne Langweiligkeit:
den Konsumenten aber sind sie Futter für die verschiedensten Bedürfnisse,
worunter dasjenige poetischer Anregung, künstlerischer Erhebung jedenfalls an
allerletzter Stelle steht. Von einer solchen Litteraturgattung überhaupt mit
Ernst zu reden, ist schwer, und man kann es angesichts des thatsächlichen
Mißbrauchs der Nomauform zwar nicht gutheißen, aber doch begreifen, wenn
der Roman als solcher von ernsten Männern mit Geringschätzung behandelt
und höchstens wegen seiner unterhaltenden Form noch für gut genug erachtet
wird, um bestimmten Ideen damit größere Verbreitung zu geben" (S. 4).

Seine Glaubensgenossen zu einer lebhaften Beteiligung an solcher flachen
Nomanfabrikativn aufzumuntern, fällt natürlich dem Verfasser nicht ein. "Wir
haben das Bedürfnis nach einer für das katholische Volk geeigneten Litteratur,
die höher steht als die vorhandne" (S. 5). Höher als die vorhandne --
mit dieser Wendung erweitert sich die Schrift zu einer Anregung von allgemein
litterarischem Wert. Und nun kommt der Verfasser in einen gewissen Zwie¬
spalt. Ihm ist bewußt, und aus diesem Gefühl heraus schreibt er auch, daß
Kunst eben Kunst ist, und daß gute und große Kunst für Katholiken wie Pro¬
testanten gleich gut und gleich groß ist. Zugleich aber hat er doch in diesem
besondern Fall die Aufgabe, seiner katholischen Gruppe von guter und echter
Kunst zu plaudern. Es entschlüpft also auch ihm das Zugeständnis, von einem
"katholischen Roman" zu reden. Und was versteht er denn unter diesem so
sonderbar abgegrenzten und definirten Roman? Man müßte billigerweise er¬
warten, der Verfasser könnte schlechthin nur den katholischen Tendenzroman mit
dieser Bezeichnung meinen und damit künstlerisch zugleich brandmarken. That¬
sächlich verwirft aber Veremundus, wie er scharf hervorhebt, den Tendenz¬
roman an und für sich als widerkünstlerisch, gleichviel welches die Tendenz
sei. Und er spricht dennoch von einem "katholischen Roman"? Meint er
etwa ein Kunstwerk, das einen katholischen Stoff behandelt? Das wäre doch
eine recht äußerliche Bezeichnung. Man denke sich etwa einen "protestantischen
Roman," weil etwa ein protestantischer Pfarrer nebst "Milieu" darin künst¬
lerisch gestaltet wird!"

Ich kann mir, nach der Sprache abgegrenzt, einen "deutschen Roman
im Gegensatz zu französisch geschriebnen Büchern denken; ich kann sogar dieses
"deutsch" tiefer fassen und von "echt deutsch" sprechen, insofern die nationale
Stammesart, das nationale Gemütsleben der Deutschen darin im Gegensatz
zum Auslande besonders reich zum Ausdruck kommt. Aber wie biegsam ist


Steht die katholische Belletristik auf der Höhe der Zeit?

Produkte erwerbsbedürftiger Schriftsteller oder Früchte weiblicher Schreib- und
Fabulirseligkeit, sofern ihnen nicht in fast gleich vielen Fällen nur der Ehr¬
geiz, litterarisch von sich reden zu machen, oder die Absicht, durch sie Ideen
zu kolportiren, Gevatter gestanden hat. Sie sind gleichgiltig für die Litteratur¬
geschichte; denn sie erfinden nichts, sie schaffen kein neues Leben und vernichten
keins, letzteres höchstens, wie Eichendorff sagt, durch ihre eigne Langweiligkeit:
den Konsumenten aber sind sie Futter für die verschiedensten Bedürfnisse,
worunter dasjenige poetischer Anregung, künstlerischer Erhebung jedenfalls an
allerletzter Stelle steht. Von einer solchen Litteraturgattung überhaupt mit
Ernst zu reden, ist schwer, und man kann es angesichts des thatsächlichen
Mißbrauchs der Nomauform zwar nicht gutheißen, aber doch begreifen, wenn
der Roman als solcher von ernsten Männern mit Geringschätzung behandelt
und höchstens wegen seiner unterhaltenden Form noch für gut genug erachtet
wird, um bestimmten Ideen damit größere Verbreitung zu geben" (S. 4).

Seine Glaubensgenossen zu einer lebhaften Beteiligung an solcher flachen
Nomanfabrikativn aufzumuntern, fällt natürlich dem Verfasser nicht ein. „Wir
haben das Bedürfnis nach einer für das katholische Volk geeigneten Litteratur,
die höher steht als die vorhandne" (S. 5). Höher als die vorhandne —
mit dieser Wendung erweitert sich die Schrift zu einer Anregung von allgemein
litterarischem Wert. Und nun kommt der Verfasser in einen gewissen Zwie¬
spalt. Ihm ist bewußt, und aus diesem Gefühl heraus schreibt er auch, daß
Kunst eben Kunst ist, und daß gute und große Kunst für Katholiken wie Pro¬
testanten gleich gut und gleich groß ist. Zugleich aber hat er doch in diesem
besondern Fall die Aufgabe, seiner katholischen Gruppe von guter und echter
Kunst zu plaudern. Es entschlüpft also auch ihm das Zugeständnis, von einem
„katholischen Roman" zu reden. Und was versteht er denn unter diesem so
sonderbar abgegrenzten und definirten Roman? Man müßte billigerweise er¬
warten, der Verfasser könnte schlechthin nur den katholischen Tendenzroman mit
dieser Bezeichnung meinen und damit künstlerisch zugleich brandmarken. That¬
sächlich verwirft aber Veremundus, wie er scharf hervorhebt, den Tendenz¬
roman an und für sich als widerkünstlerisch, gleichviel welches die Tendenz
sei. Und er spricht dennoch von einem „katholischen Roman"? Meint er
etwa ein Kunstwerk, das einen katholischen Stoff behandelt? Das wäre doch
eine recht äußerliche Bezeichnung. Man denke sich etwa einen „protestantischen
Roman," weil etwa ein protestantischer Pfarrer nebst „Milieu" darin künst¬
lerisch gestaltet wird!"

Ich kann mir, nach der Sprache abgegrenzt, einen „deutschen Roman
im Gegensatz zu französisch geschriebnen Büchern denken; ich kann sogar dieses
„deutsch" tiefer fassen und von „echt deutsch" sprechen, insofern die nationale
Stammesart, das nationale Gemütsleben der Deutschen darin im Gegensatz
zum Auslande besonders reich zum Ausdruck kommt. Aber wie biegsam ist


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[0417] Steht die katholische Belletristik auf der Höhe der Zeit? Produkte erwerbsbedürftiger Schriftsteller oder Früchte weiblicher Schreib- und Fabulirseligkeit, sofern ihnen nicht in fast gleich vielen Fällen nur der Ehr¬ geiz, litterarisch von sich reden zu machen, oder die Absicht, durch sie Ideen zu kolportiren, Gevatter gestanden hat. Sie sind gleichgiltig für die Litteratur¬ geschichte; denn sie erfinden nichts, sie schaffen kein neues Leben und vernichten keins, letzteres höchstens, wie Eichendorff sagt, durch ihre eigne Langweiligkeit: den Konsumenten aber sind sie Futter für die verschiedensten Bedürfnisse, worunter dasjenige poetischer Anregung, künstlerischer Erhebung jedenfalls an allerletzter Stelle steht. Von einer solchen Litteraturgattung überhaupt mit Ernst zu reden, ist schwer, und man kann es angesichts des thatsächlichen Mißbrauchs der Nomauform zwar nicht gutheißen, aber doch begreifen, wenn der Roman als solcher von ernsten Männern mit Geringschätzung behandelt und höchstens wegen seiner unterhaltenden Form noch für gut genug erachtet wird, um bestimmten Ideen damit größere Verbreitung zu geben" (S. 4). Seine Glaubensgenossen zu einer lebhaften Beteiligung an solcher flachen Nomanfabrikativn aufzumuntern, fällt natürlich dem Verfasser nicht ein. „Wir haben das Bedürfnis nach einer für das katholische Volk geeigneten Litteratur, die höher steht als die vorhandne" (S. 5). Höher als die vorhandne — mit dieser Wendung erweitert sich die Schrift zu einer Anregung von allgemein litterarischem Wert. Und nun kommt der Verfasser in einen gewissen Zwie¬ spalt. Ihm ist bewußt, und aus diesem Gefühl heraus schreibt er auch, daß Kunst eben Kunst ist, und daß gute und große Kunst für Katholiken wie Pro¬ testanten gleich gut und gleich groß ist. Zugleich aber hat er doch in diesem besondern Fall die Aufgabe, seiner katholischen Gruppe von guter und echter Kunst zu plaudern. Es entschlüpft also auch ihm das Zugeständnis, von einem „katholischen Roman" zu reden. Und was versteht er denn unter diesem so sonderbar abgegrenzten und definirten Roman? Man müßte billigerweise er¬ warten, der Verfasser könnte schlechthin nur den katholischen Tendenzroman mit dieser Bezeichnung meinen und damit künstlerisch zugleich brandmarken. That¬ sächlich verwirft aber Veremundus, wie er scharf hervorhebt, den Tendenz¬ roman an und für sich als widerkünstlerisch, gleichviel welches die Tendenz sei. Und er spricht dennoch von einem „katholischen Roman"? Meint er etwa ein Kunstwerk, das einen katholischen Stoff behandelt? Das wäre doch eine recht äußerliche Bezeichnung. Man denke sich etwa einen „protestantischen Roman," weil etwa ein protestantischer Pfarrer nebst „Milieu" darin künst¬ lerisch gestaltet wird!" Ich kann mir, nach der Sprache abgegrenzt, einen „deutschen Roman im Gegensatz zu französisch geschriebnen Büchern denken; ich kann sogar dieses „deutsch" tiefer fassen und von „echt deutsch" sprechen, insofern die nationale Stammesart, das nationale Gemütsleben der Deutschen darin im Gegensatz zum Auslande besonders reich zum Ausdruck kommt. Aber wie biegsam ist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/417>, abgerufen am 12.12.2024.