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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Verbesserter ^mithianismus
(Schluß)

achten Oppenheimer die Physiologie und Biologie der reinen
Tauschgesellschaft entwickelt hat, untersucht er die der gestörten,
liefert also eine Pathologie der Tauschgcsellschaft. Er nimmt
an, daß an der Grenze des Staates, der sich bis dahin der
vollen wirtschaftlichen Harmonie erfreut hat, ein Eroberer er¬
scheine, den Staat unterjoche (was, nebenbei bemerkt, einem Staate, der eine
Tauschgesellschaft und sonst nichts sein will, sehr leicht begegnen kann) und
den Einwohnern einen Tribut auflege. Verteilt er den Tribut gleichmäßig,
so wird der Organismus zwar geschwächt und kann erdrückt werden, aber er
wird nicht krank (als ob nicht Schwäche auch schon eine Krankheit wäre!).
Legt der Eroberer aber nur den Bauern einen Tribut auf, so übt er dadurch einen
einseitigen Druck auf diesen Stand, der das Land entvölkert und die Stadt
übervölkert; der Organismus erkrankt dann. Es wird nun sehr scharfsinnig
entwickelt, welche verschiednen Übelstände sich ergeben, wenn der Tribut in
dieser oder jener Form eingezogen wird; das gemeinsame Ergebnis ist, daß
in der Stadt wie auf dem Lande Ausbeutung. Bodensperre und Bodenwucher
austreten. Eine der verschiednen Annahmen Oppenheimers fällt mit der Grund¬
ansicht von Rodbertus zusammen, den Oppenheimer nicht nennt und vielleicht
nicht kennt, er ist ja auch auf ganz anderm Wege zu seiner Auffassung gelangt
als Rodbertus, der sie nicht deduzirt, sondern der Erfahrung entnommen hat.
Oppenheimer betrachtet also, wie die Dinge verlaufen würden, wenn der Er¬
oberer den Besiegten ihr gegenwärtiges Einkommen ungeschmälert ließe und
nur die "Zuwachsrente" beanspruchte, das, was sie in Zukunft durch den
technischen Fortschritt mehr erwerben würden; wenn er also ähnlich handelte
wie der heutige Hausagrarier, der seinem Ladenmieter jeden Mehrverdienst
durch eine Mietsteigerung abnimmt. Rodbertus hat bekanntlich behauptet,
aller Mehrertrag der immer produktiver werdenden Arbeit fließe der Rente zu,
und die Arbeiter blieben trotz alles technischen Fortschritts auf den notwendigen
Unterhalt beschränkt. An die Stelle des einen Eroberers tritt nach Oppenheimer
in der Weltgeschichte der grundbesitzende Adel. Genau so wie in der Hypothese
der Eroberer wirke das agrarische Großgrundeigentum. Unter agrarischen Gro߬
grundeigentum versteht er "jedes landwirtschaftlich genutzte Stück Boden, dessen




Verbesserter ^mithianismus
(Schluß)

achten Oppenheimer die Physiologie und Biologie der reinen
Tauschgesellschaft entwickelt hat, untersucht er die der gestörten,
liefert also eine Pathologie der Tauschgcsellschaft. Er nimmt
an, daß an der Grenze des Staates, der sich bis dahin der
vollen wirtschaftlichen Harmonie erfreut hat, ein Eroberer er¬
scheine, den Staat unterjoche (was, nebenbei bemerkt, einem Staate, der eine
Tauschgesellschaft und sonst nichts sein will, sehr leicht begegnen kann) und
den Einwohnern einen Tribut auflege. Verteilt er den Tribut gleichmäßig,
so wird der Organismus zwar geschwächt und kann erdrückt werden, aber er
wird nicht krank (als ob nicht Schwäche auch schon eine Krankheit wäre!).
Legt der Eroberer aber nur den Bauern einen Tribut auf, so übt er dadurch einen
einseitigen Druck auf diesen Stand, der das Land entvölkert und die Stadt
übervölkert; der Organismus erkrankt dann. Es wird nun sehr scharfsinnig
entwickelt, welche verschiednen Übelstände sich ergeben, wenn der Tribut in
dieser oder jener Form eingezogen wird; das gemeinsame Ergebnis ist, daß
in der Stadt wie auf dem Lande Ausbeutung. Bodensperre und Bodenwucher
austreten. Eine der verschiednen Annahmen Oppenheimers fällt mit der Grund¬
ansicht von Rodbertus zusammen, den Oppenheimer nicht nennt und vielleicht
nicht kennt, er ist ja auch auf ganz anderm Wege zu seiner Auffassung gelangt
als Rodbertus, der sie nicht deduzirt, sondern der Erfahrung entnommen hat.
Oppenheimer betrachtet also, wie die Dinge verlaufen würden, wenn der Er¬
oberer den Besiegten ihr gegenwärtiges Einkommen ungeschmälert ließe und
nur die „Zuwachsrente" beanspruchte, das, was sie in Zukunft durch den
technischen Fortschritt mehr erwerben würden; wenn er also ähnlich handelte
wie der heutige Hausagrarier, der seinem Ladenmieter jeden Mehrverdienst
durch eine Mietsteigerung abnimmt. Rodbertus hat bekanntlich behauptet,
aller Mehrertrag der immer produktiver werdenden Arbeit fließe der Rente zu,
und die Arbeiter blieben trotz alles technischen Fortschritts auf den notwendigen
Unterhalt beschränkt. An die Stelle des einen Eroberers tritt nach Oppenheimer
in der Weltgeschichte der grundbesitzende Adel. Genau so wie in der Hypothese
der Eroberer wirke das agrarische Großgrundeigentum. Unter agrarischen Gro߬
grundeigentum versteht er „jedes landwirtschaftlich genutzte Stück Boden, dessen


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[0357] [Abbildung] Verbesserter ^mithianismus (Schluß) achten Oppenheimer die Physiologie und Biologie der reinen Tauschgesellschaft entwickelt hat, untersucht er die der gestörten, liefert also eine Pathologie der Tauschgcsellschaft. Er nimmt an, daß an der Grenze des Staates, der sich bis dahin der vollen wirtschaftlichen Harmonie erfreut hat, ein Eroberer er¬ scheine, den Staat unterjoche (was, nebenbei bemerkt, einem Staate, der eine Tauschgesellschaft und sonst nichts sein will, sehr leicht begegnen kann) und den Einwohnern einen Tribut auflege. Verteilt er den Tribut gleichmäßig, so wird der Organismus zwar geschwächt und kann erdrückt werden, aber er wird nicht krank (als ob nicht Schwäche auch schon eine Krankheit wäre!). Legt der Eroberer aber nur den Bauern einen Tribut auf, so übt er dadurch einen einseitigen Druck auf diesen Stand, der das Land entvölkert und die Stadt übervölkert; der Organismus erkrankt dann. Es wird nun sehr scharfsinnig entwickelt, welche verschiednen Übelstände sich ergeben, wenn der Tribut in dieser oder jener Form eingezogen wird; das gemeinsame Ergebnis ist, daß in der Stadt wie auf dem Lande Ausbeutung. Bodensperre und Bodenwucher austreten. Eine der verschiednen Annahmen Oppenheimers fällt mit der Grund¬ ansicht von Rodbertus zusammen, den Oppenheimer nicht nennt und vielleicht nicht kennt, er ist ja auch auf ganz anderm Wege zu seiner Auffassung gelangt als Rodbertus, der sie nicht deduzirt, sondern der Erfahrung entnommen hat. Oppenheimer betrachtet also, wie die Dinge verlaufen würden, wenn der Er¬ oberer den Besiegten ihr gegenwärtiges Einkommen ungeschmälert ließe und nur die „Zuwachsrente" beanspruchte, das, was sie in Zukunft durch den technischen Fortschritt mehr erwerben würden; wenn er also ähnlich handelte wie der heutige Hausagrarier, der seinem Ladenmieter jeden Mehrverdienst durch eine Mietsteigerung abnimmt. Rodbertus hat bekanntlich behauptet, aller Mehrertrag der immer produktiver werdenden Arbeit fließe der Rente zu, und die Arbeiter blieben trotz alles technischen Fortschritts auf den notwendigen Unterhalt beschränkt. An die Stelle des einen Eroberers tritt nach Oppenheimer in der Weltgeschichte der grundbesitzende Adel. Genau so wie in der Hypothese der Eroberer wirke das agrarische Großgrundeigentum. Unter agrarischen Gro߬ grundeigentum versteht er „jedes landwirtschaftlich genutzte Stück Boden, dessen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/357>, abgerufen am 12.12.2024.