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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Die Epoche der südafrikanischen Völkerwanderung

Der Kern der Bantustämme aber wandte sich nach Süden, zog über den
Zambese und hat dann ein unruhiges Leben geführt, das von Kämpfen und
Wanderungen angefüllt war, die ganz Südafrika bis auf den heutigen Tag in
Bewegung gesetzt und ihren Abschluß nur dadurch gefunden haben, daß eine
stärkere Invasion, die europäische, ihnen Halt gebot. Das Eigentümliche an
dieser Wanderung der Kernbantu ist, daß die Völkerwogen, am Kapland zurück¬
geworfen, wieder, wenigstens zum Teil, dahin zurückbrandeten, von wo sie in
Bewegung gesetzt waren, nach dem Zwischenseegebiet: zu Beginn des sechzehnten
Jahrhunderts waren die Bauen aus dem jetzt deutschen Gebiet gewandert, in
den sechziger Jahren dieses Jahrhunderts kehrte ein Teil von ihnen, die Mazitu
(Wahehe usw.), wieder dahin zurück. Schon im sechzehnten Jahrhundert hatte
ein Bcmtustamm, die Wasimba, diese rückläufige Bewegung ausgeführt. Der
Stamm war bis über den Zambesi vorgedrungen, hatte sich dann aber an der
Küste entlang nordwärts bis nach Malindi gezogen. Dort nahm er in den
achtziger Jahren des sechzehnten Jahrhunderts an den Kämpfen der Araber¬
stadt Malindi und der Portugiesen gegen den Türken Ali Bey teil, der zweimal
von Ägypten aus die Sansibarküste beunruhigt hatte, ließ sich dann, nachdem
Ali Bey vernichtet worden war, bei Malindi nieder und führte ein fried¬
liches Dasein.

Die Folgen der Völkerwanderung des sechzehnten Jahrhunderts hat
Deutschostafrika heute noch nicht verwinden können. Als Vasko de Gama 1498
auf seiner Fahrt nach Indien die Mozambique- und Sansibarküste berührte,
sand er dort reiche blühende Städte. Kiloa soll dreihundert Moscheen gehabt
haben, und die Geschichte von Bagamoyo und besonders von Mombas beweist,
daß die ostafrikanischen Küstenstädte eine Zeit des Glanzes und der Pracht
gehabt haben, die an die Blüte der Hansestädte erinnert. Heute hat nur noch
Sansibar einige Bedeutung, aber diese Jnselstadt ist modernen Ursprungs, und
ihr Aufschwung beruht auf andern Verhältnissen, als die waren, denen die
arabischen Küstenkolonien von Malindi, Kiloa usw. bis Mombas ihre frühere
Blüte verdankten. Man wird annehmen müssen, daß vor jener Wanderung
der Bauen ein inniger Zusammenhang der Küste mit dem reichen Hinterkante
bestanden hat, der den arabischen Kolonien den großen Reichtum brachte, von
dem die Portugiesen so viel zu erzählen wissen, und den sie dann in ent¬
sprechender Weise brandschatzten. Auch heute sind die Bantustämme keineswegs
armselig und kulturfremd, obwohl sie ein Jahrhunderte währendes Nomaden-
tum hinter sich haben. Ohne Zweifel hat dieses Volk einen nicht unbedeu¬
tenden Kulturstand gehabt, als es noch in seinen alten Wohnsitzen im jetzigen
Deutschostafrika eine friedliche Entwicklung nehmen konnte. Durch den Andrang
der halbsemitischen Stämme ist Deutschostafrika jetzt entvölkert und in seiner
Kultur zurückgekommen -- wie in ähnlicher Weise auch für manche Land¬
strecken in Deutschland der dreißigjährige Krieg noch nicht beseitigte Schäden


Die Epoche der südafrikanischen Völkerwanderung

Der Kern der Bantustämme aber wandte sich nach Süden, zog über den
Zambese und hat dann ein unruhiges Leben geführt, das von Kämpfen und
Wanderungen angefüllt war, die ganz Südafrika bis auf den heutigen Tag in
Bewegung gesetzt und ihren Abschluß nur dadurch gefunden haben, daß eine
stärkere Invasion, die europäische, ihnen Halt gebot. Das Eigentümliche an
dieser Wanderung der Kernbantu ist, daß die Völkerwogen, am Kapland zurück¬
geworfen, wieder, wenigstens zum Teil, dahin zurückbrandeten, von wo sie in
Bewegung gesetzt waren, nach dem Zwischenseegebiet: zu Beginn des sechzehnten
Jahrhunderts waren die Bauen aus dem jetzt deutschen Gebiet gewandert, in
den sechziger Jahren dieses Jahrhunderts kehrte ein Teil von ihnen, die Mazitu
(Wahehe usw.), wieder dahin zurück. Schon im sechzehnten Jahrhundert hatte
ein Bcmtustamm, die Wasimba, diese rückläufige Bewegung ausgeführt. Der
Stamm war bis über den Zambesi vorgedrungen, hatte sich dann aber an der
Küste entlang nordwärts bis nach Malindi gezogen. Dort nahm er in den
achtziger Jahren des sechzehnten Jahrhunderts an den Kämpfen der Araber¬
stadt Malindi und der Portugiesen gegen den Türken Ali Bey teil, der zweimal
von Ägypten aus die Sansibarküste beunruhigt hatte, ließ sich dann, nachdem
Ali Bey vernichtet worden war, bei Malindi nieder und führte ein fried¬
liches Dasein.

Die Folgen der Völkerwanderung des sechzehnten Jahrhunderts hat
Deutschostafrika heute noch nicht verwinden können. Als Vasko de Gama 1498
auf seiner Fahrt nach Indien die Mozambique- und Sansibarküste berührte,
sand er dort reiche blühende Städte. Kiloa soll dreihundert Moscheen gehabt
haben, und die Geschichte von Bagamoyo und besonders von Mombas beweist,
daß die ostafrikanischen Küstenstädte eine Zeit des Glanzes und der Pracht
gehabt haben, die an die Blüte der Hansestädte erinnert. Heute hat nur noch
Sansibar einige Bedeutung, aber diese Jnselstadt ist modernen Ursprungs, und
ihr Aufschwung beruht auf andern Verhältnissen, als die waren, denen die
arabischen Küstenkolonien von Malindi, Kiloa usw. bis Mombas ihre frühere
Blüte verdankten. Man wird annehmen müssen, daß vor jener Wanderung
der Bauen ein inniger Zusammenhang der Küste mit dem reichen Hinterkante
bestanden hat, der den arabischen Kolonien den großen Reichtum brachte, von
dem die Portugiesen so viel zu erzählen wissen, und den sie dann in ent¬
sprechender Weise brandschatzten. Auch heute sind die Bantustämme keineswegs
armselig und kulturfremd, obwohl sie ein Jahrhunderte währendes Nomaden-
tum hinter sich haben. Ohne Zweifel hat dieses Volk einen nicht unbedeu¬
tenden Kulturstand gehabt, als es noch in seinen alten Wohnsitzen im jetzigen
Deutschostafrika eine friedliche Entwicklung nehmen konnte. Durch den Andrang
der halbsemitischen Stämme ist Deutschostafrika jetzt entvölkert und in seiner
Kultur zurückgekommen — wie in ähnlicher Weise auch für manche Land¬
strecken in Deutschland der dreißigjährige Krieg noch nicht beseitigte Schäden


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[0341] Die Epoche der südafrikanischen Völkerwanderung Der Kern der Bantustämme aber wandte sich nach Süden, zog über den Zambese und hat dann ein unruhiges Leben geführt, das von Kämpfen und Wanderungen angefüllt war, die ganz Südafrika bis auf den heutigen Tag in Bewegung gesetzt und ihren Abschluß nur dadurch gefunden haben, daß eine stärkere Invasion, die europäische, ihnen Halt gebot. Das Eigentümliche an dieser Wanderung der Kernbantu ist, daß die Völkerwogen, am Kapland zurück¬ geworfen, wieder, wenigstens zum Teil, dahin zurückbrandeten, von wo sie in Bewegung gesetzt waren, nach dem Zwischenseegebiet: zu Beginn des sechzehnten Jahrhunderts waren die Bauen aus dem jetzt deutschen Gebiet gewandert, in den sechziger Jahren dieses Jahrhunderts kehrte ein Teil von ihnen, die Mazitu (Wahehe usw.), wieder dahin zurück. Schon im sechzehnten Jahrhundert hatte ein Bcmtustamm, die Wasimba, diese rückläufige Bewegung ausgeführt. Der Stamm war bis über den Zambesi vorgedrungen, hatte sich dann aber an der Küste entlang nordwärts bis nach Malindi gezogen. Dort nahm er in den achtziger Jahren des sechzehnten Jahrhunderts an den Kämpfen der Araber¬ stadt Malindi und der Portugiesen gegen den Türken Ali Bey teil, der zweimal von Ägypten aus die Sansibarküste beunruhigt hatte, ließ sich dann, nachdem Ali Bey vernichtet worden war, bei Malindi nieder und führte ein fried¬ liches Dasein. Die Folgen der Völkerwanderung des sechzehnten Jahrhunderts hat Deutschostafrika heute noch nicht verwinden können. Als Vasko de Gama 1498 auf seiner Fahrt nach Indien die Mozambique- und Sansibarküste berührte, sand er dort reiche blühende Städte. Kiloa soll dreihundert Moscheen gehabt haben, und die Geschichte von Bagamoyo und besonders von Mombas beweist, daß die ostafrikanischen Küstenstädte eine Zeit des Glanzes und der Pracht gehabt haben, die an die Blüte der Hansestädte erinnert. Heute hat nur noch Sansibar einige Bedeutung, aber diese Jnselstadt ist modernen Ursprungs, und ihr Aufschwung beruht auf andern Verhältnissen, als die waren, denen die arabischen Küstenkolonien von Malindi, Kiloa usw. bis Mombas ihre frühere Blüte verdankten. Man wird annehmen müssen, daß vor jener Wanderung der Bauen ein inniger Zusammenhang der Küste mit dem reichen Hinterkante bestanden hat, der den arabischen Kolonien den großen Reichtum brachte, von dem die Portugiesen so viel zu erzählen wissen, und den sie dann in ent¬ sprechender Weise brandschatzten. Auch heute sind die Bantustämme keineswegs armselig und kulturfremd, obwohl sie ein Jahrhunderte währendes Nomaden- tum hinter sich haben. Ohne Zweifel hat dieses Volk einen nicht unbedeu¬ tenden Kulturstand gehabt, als es noch in seinen alten Wohnsitzen im jetzigen Deutschostafrika eine friedliche Entwicklung nehmen konnte. Durch den Andrang der halbsemitischen Stämme ist Deutschostafrika jetzt entvölkert und in seiner Kultur zurückgekommen — wie in ähnlicher Weise auch für manche Land¬ strecken in Deutschland der dreißigjährige Krieg noch nicht beseitigte Schäden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/341>, abgerufen am 24.07.2024.