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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Die deutsche historische Landschaft

gedrängte, durch Lichtungen jeder Form und Größe durch brochne und zer-
schnittne Rest des alten germanischen Urwaldes, der einst undurchdringlich
genannt wurde, kann heute ebenso gut als Kulturland gelten wie Äcker und
Wiesen. Die Waldkultur nützt den Boden aus, der sonst unergiebig wäre,
und ist an andern Stellen unentbehrlich für die Erhaltung eines gesunden
klimatischen und hydrographischen Zustandes. Ja, man wird füglich sagen
dürfen, der Ackerbau sei in vielen Teilen Deutschlands schon weiter gegen den
Wald vorgedrungen, als Boden und Klima zulassen. Die armen, steinigen
Hafer- und Kartoffelfelder auf dem Rücken des Erzgebirges, im Harz, in den
südlichen Borbergen des Thüringerwaldes oder auf manchen steinigen Muschel¬
kalkhochebnen über dem Main und der Tauber bieten ihren Bedauern geringen
Nutzen. In die Landschaft bringen diese kärglich bewachsenen Wölbungen mit
ihren grüngrauer flechtenbewachsenen Felsgraten oder ihren seit Generationen
herausgepflügten und zu breiten Steinwällen aufgeschichteten Kalksteinfladen, die
die geringe Tiefe der Ackererde bezeugen, einen Zug von Armut, den in unsrer
Zone selbst die braune Heide nicht kennt. Sie verkünden das Vorhandensein
einer dichtern Bevölkerung, als dieser Boden verträgt.

Die ältesten Spuren und Neste der Bewohner des deutschen Bodens in
Höhlen, Pfahlbauten, Küchenresten, Gräbern jeder Art zeigen immer nur kleine
Völkchen in weiter Zerstreuung. Sie haben auch keine so zahlreichen Stein¬
pfeiler, Steinkreise und Dolmen aufgerichtet wie in manchen Teilen Westeuropas.
Wir haben auf deutschem Boden kein einziges prähistorisches Denkmal von
wahrhaft monumentalen Charakter. Nur im Tiefland ist noch da und dort
eine Steinsetzung an einsamer Stelle erhalten, die das Grab eines großen
Mannes bedeckt, und wenige Höhen des Mittelgebirges sind von Ringwüllen
umzirkelt, deren schönste Beispiele der Altkönig im Taunus bietet. Auch das
Fichtelgebirge hat schöne Neste davon. Manche, die in einst slawischen Ge¬
bieten gefunden werden, ragen deutlich in die geschichtliche Zeit herein.

Wohl werden auch in grauer Vergangenheit Völkerwellen von Osten,
Süden und Norden her das in der Mitte Europas gelegne Land über¬
schwemmt haben; aber sie konnten dieses Land noch nicht bedecken. Sie breiteten
sich in den natürlichen Lichtungen der Heiden und längs den Flußläufeu
aus. Die ältesten Wege auf deutschem Boden können nur Waldpfade ge¬
wesen sein, die die Lichtungen mit einander verbanden. Sie waren ebenso ver¬
einzelt und abgebrochen, wie sich der Verkehr auf die Verbindung der einander
nächstgelegnen, durch alte, geheiligte Formen die Gemeinsamkeit des Ursprungs
bewahrenden Stämme beschränkte. Selbst diese ließen weite Wildnisse, die
höchstens Jagdgebiete sein konnten, zwischen sich bestehen, in denen an wenig
Stellen bewachte Durchgänge offen gehalten wurden. Im Osten dürfte der
von der Adria zum Samland die kürzesten Entfernungen suchende Bernstein¬
handel am frühesten einzelne Pfade zu einem Wege vereinigt haben, der von


Die deutsche historische Landschaft

gedrängte, durch Lichtungen jeder Form und Größe durch brochne und zer-
schnittne Rest des alten germanischen Urwaldes, der einst undurchdringlich
genannt wurde, kann heute ebenso gut als Kulturland gelten wie Äcker und
Wiesen. Die Waldkultur nützt den Boden aus, der sonst unergiebig wäre,
und ist an andern Stellen unentbehrlich für die Erhaltung eines gesunden
klimatischen und hydrographischen Zustandes. Ja, man wird füglich sagen
dürfen, der Ackerbau sei in vielen Teilen Deutschlands schon weiter gegen den
Wald vorgedrungen, als Boden und Klima zulassen. Die armen, steinigen
Hafer- und Kartoffelfelder auf dem Rücken des Erzgebirges, im Harz, in den
südlichen Borbergen des Thüringerwaldes oder auf manchen steinigen Muschel¬
kalkhochebnen über dem Main und der Tauber bieten ihren Bedauern geringen
Nutzen. In die Landschaft bringen diese kärglich bewachsenen Wölbungen mit
ihren grüngrauer flechtenbewachsenen Felsgraten oder ihren seit Generationen
herausgepflügten und zu breiten Steinwällen aufgeschichteten Kalksteinfladen, die
die geringe Tiefe der Ackererde bezeugen, einen Zug von Armut, den in unsrer
Zone selbst die braune Heide nicht kennt. Sie verkünden das Vorhandensein
einer dichtern Bevölkerung, als dieser Boden verträgt.

Die ältesten Spuren und Neste der Bewohner des deutschen Bodens in
Höhlen, Pfahlbauten, Küchenresten, Gräbern jeder Art zeigen immer nur kleine
Völkchen in weiter Zerstreuung. Sie haben auch keine so zahlreichen Stein¬
pfeiler, Steinkreise und Dolmen aufgerichtet wie in manchen Teilen Westeuropas.
Wir haben auf deutschem Boden kein einziges prähistorisches Denkmal von
wahrhaft monumentalen Charakter. Nur im Tiefland ist noch da und dort
eine Steinsetzung an einsamer Stelle erhalten, die das Grab eines großen
Mannes bedeckt, und wenige Höhen des Mittelgebirges sind von Ringwüllen
umzirkelt, deren schönste Beispiele der Altkönig im Taunus bietet. Auch das
Fichtelgebirge hat schöne Neste davon. Manche, die in einst slawischen Ge¬
bieten gefunden werden, ragen deutlich in die geschichtliche Zeit herein.

Wohl werden auch in grauer Vergangenheit Völkerwellen von Osten,
Süden und Norden her das in der Mitte Europas gelegne Land über¬
schwemmt haben; aber sie konnten dieses Land noch nicht bedecken. Sie breiteten
sich in den natürlichen Lichtungen der Heiden und längs den Flußläufeu
aus. Die ältesten Wege auf deutschem Boden können nur Waldpfade ge¬
wesen sein, die die Lichtungen mit einander verbanden. Sie waren ebenso ver¬
einzelt und abgebrochen, wie sich der Verkehr auf die Verbindung der einander
nächstgelegnen, durch alte, geheiligte Formen die Gemeinsamkeit des Ursprungs
bewahrenden Stämme beschränkte. Selbst diese ließen weite Wildnisse, die
höchstens Jagdgebiete sein konnten, zwischen sich bestehen, in denen an wenig
Stellen bewachte Durchgänge offen gehalten wurden. Im Osten dürfte der
von der Adria zum Samland die kürzesten Entfernungen suchende Bernstein¬
handel am frühesten einzelne Pfade zu einem Wege vereinigt haben, der von


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[0263] Die deutsche historische Landschaft gedrängte, durch Lichtungen jeder Form und Größe durch brochne und zer- schnittne Rest des alten germanischen Urwaldes, der einst undurchdringlich genannt wurde, kann heute ebenso gut als Kulturland gelten wie Äcker und Wiesen. Die Waldkultur nützt den Boden aus, der sonst unergiebig wäre, und ist an andern Stellen unentbehrlich für die Erhaltung eines gesunden klimatischen und hydrographischen Zustandes. Ja, man wird füglich sagen dürfen, der Ackerbau sei in vielen Teilen Deutschlands schon weiter gegen den Wald vorgedrungen, als Boden und Klima zulassen. Die armen, steinigen Hafer- und Kartoffelfelder auf dem Rücken des Erzgebirges, im Harz, in den südlichen Borbergen des Thüringerwaldes oder auf manchen steinigen Muschel¬ kalkhochebnen über dem Main und der Tauber bieten ihren Bedauern geringen Nutzen. In die Landschaft bringen diese kärglich bewachsenen Wölbungen mit ihren grüngrauer flechtenbewachsenen Felsgraten oder ihren seit Generationen herausgepflügten und zu breiten Steinwällen aufgeschichteten Kalksteinfladen, die die geringe Tiefe der Ackererde bezeugen, einen Zug von Armut, den in unsrer Zone selbst die braune Heide nicht kennt. Sie verkünden das Vorhandensein einer dichtern Bevölkerung, als dieser Boden verträgt. Die ältesten Spuren und Neste der Bewohner des deutschen Bodens in Höhlen, Pfahlbauten, Küchenresten, Gräbern jeder Art zeigen immer nur kleine Völkchen in weiter Zerstreuung. Sie haben auch keine so zahlreichen Stein¬ pfeiler, Steinkreise und Dolmen aufgerichtet wie in manchen Teilen Westeuropas. Wir haben auf deutschem Boden kein einziges prähistorisches Denkmal von wahrhaft monumentalen Charakter. Nur im Tiefland ist noch da und dort eine Steinsetzung an einsamer Stelle erhalten, die das Grab eines großen Mannes bedeckt, und wenige Höhen des Mittelgebirges sind von Ringwüllen umzirkelt, deren schönste Beispiele der Altkönig im Taunus bietet. Auch das Fichtelgebirge hat schöne Neste davon. Manche, die in einst slawischen Ge¬ bieten gefunden werden, ragen deutlich in die geschichtliche Zeit herein. Wohl werden auch in grauer Vergangenheit Völkerwellen von Osten, Süden und Norden her das in der Mitte Europas gelegne Land über¬ schwemmt haben; aber sie konnten dieses Land noch nicht bedecken. Sie breiteten sich in den natürlichen Lichtungen der Heiden und längs den Flußläufeu aus. Die ältesten Wege auf deutschem Boden können nur Waldpfade ge¬ wesen sein, die die Lichtungen mit einander verbanden. Sie waren ebenso ver¬ einzelt und abgebrochen, wie sich der Verkehr auf die Verbindung der einander nächstgelegnen, durch alte, geheiligte Formen die Gemeinsamkeit des Ursprungs bewahrenden Stämme beschränkte. Selbst diese ließen weite Wildnisse, die höchstens Jagdgebiete sein konnten, zwischen sich bestehen, in denen an wenig Stellen bewachte Durchgänge offen gehalten wurden. Im Osten dürfte der von der Adria zum Samland die kürzesten Entfernungen suchende Bernstein¬ handel am frühesten einzelne Pfade zu einem Wege vereinigt haben, der von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/263>, abgerufen am 24.07.2024.