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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Kirchenpolitik und Zentrum

Satelliten, von denen wir nichts merken, und mit der unermüdlichen Kaplans-
Presse. Daher auch der Haß gegen die "Auchkatholiken," mögen sie es mit
ihren kirchlichen Pflichten noch so ernst nehmen, denn sie gehen in Staats-,
Wirtschafts-, sozialpolitischen Dingen nicht mit, ziehen wohl gar Vereinigungen
vor, an denen Deutsche andrer Bekenntnisse teilnehmen. Das ganze Leben
"katholisch," auf allen Gebieten, in allen seinen mannigfaltigen Formen,
katholisch ohne Beisatz, das ist die soziale Ergänzung zu der Staatsauffassung
einer Partei, die die Bezeichnung als konfessionelle Partei von sich weist-

Etwas ganz neues im heutigen Deutschland, und doch, genauer betrachtet,
etwas allbekanntes: die mittelalterliche Staatsauffassung, nur durch eiuen
modern zurechtgeschnittnen Schleier verhüllt. Die Staatsauffassung, wonach
der Staat seinem Wesen nach auf Heerbann, aävoeatia und Vlutbann be¬
schränkt ist und die Richtung sowohl wie den Inhalt seiner Thätigkeit von
den selbständig gestellten Gesellschaftsmächten empfängt. Welche darunter die
Oberhand hat, den größten Einfluß auf den Staat übt, ist eine Machtfrage.
Daß diese Machtfrage immer möglichst zu Gunsten der katholischen Kirche aus¬
falle, mit allen ihren Ansprüchen, das ist der dauernde Zweck des Zentrums.
Jeder Sieg des Zentrums befestigt die Herrschaft der katholischen Kirche und
dehnt sie aus, und umgekehrt. So ist es wenigstens gedacht, wenn auch
natürlicherweise die Identität nicht immer klappt, und bald der eine, bald
der andre Teil mehr abbekommt. Auch dieses Verhältnis zur katholischen
Kirche steht wieder nicht im Zentrumsprogramm, aber daß es sich so verhält,
weiß oder fühlt jeder; es ist vollständig sicher.

Man ist deshalb versucht, das Zentrum als klassisches Beispiel dafür an¬
zuführen, daß die Sprache den Menschen dazu gegeben sei, ihre Gedanken zu
verbergen. Das Hauptstück wird verschwiegen, bleibt aber immer das Ent¬
scheidende; der Schleier um die Fahne verhüllt sie nur für Nichteingeweihte.
Im Verhältnis dazu sind die offiziell aufgestellten Programmpunkte nur Neben¬
dinge, taktische und Lockmittel, Zwischenstationen zum Endziel. Das gilt gerade
von dem, womit das Zentrum am meisten Staat macht: von der bürgerlichen
Und politischen Freiheit, die es fordert, von der Parität und Selbständigkeit
der andern Kirchen, von der Freiheit der Presse, der Vereine und Versamm¬
lungen, von den wirtschaftlichen Reformbestrebungen. Selbstverständliche Zu¬
gabe ist die Versicherung, daß das Zentrum das Gemeinwohl fördern wolle;
diese Versicherung fehlt ja in keinem Parteiprogramm. Es liegt uns fern,
an ihrer Aufrichtigkeit zu zweifeln.

Bisher hat sich die Taktik des Zentrums sehr gut bewährt, es ist immer
mächtiger geworden, auch nachdem die ausgezeichnete Defensivstellung, die ihm
der Kulturkampf gewährte, den unmittelbar wirkenden Wert verloren hat.
In Windthorst hatte das Zentrum einen Meister der parlamentarischen und
außerparlamentarischen Mache als zuletzt unbestrittnen Führer; sein Beispiel


Grenzboten IV 1808 Z2
Kirchenpolitik und Zentrum

Satelliten, von denen wir nichts merken, und mit der unermüdlichen Kaplans-
Presse. Daher auch der Haß gegen die „Auchkatholiken," mögen sie es mit
ihren kirchlichen Pflichten noch so ernst nehmen, denn sie gehen in Staats-,
Wirtschafts-, sozialpolitischen Dingen nicht mit, ziehen wohl gar Vereinigungen
vor, an denen Deutsche andrer Bekenntnisse teilnehmen. Das ganze Leben
„katholisch," auf allen Gebieten, in allen seinen mannigfaltigen Formen,
katholisch ohne Beisatz, das ist die soziale Ergänzung zu der Staatsauffassung
einer Partei, die die Bezeichnung als konfessionelle Partei von sich weist-

Etwas ganz neues im heutigen Deutschland, und doch, genauer betrachtet,
etwas allbekanntes: die mittelalterliche Staatsauffassung, nur durch eiuen
modern zurechtgeschnittnen Schleier verhüllt. Die Staatsauffassung, wonach
der Staat seinem Wesen nach auf Heerbann, aävoeatia und Vlutbann be¬
schränkt ist und die Richtung sowohl wie den Inhalt seiner Thätigkeit von
den selbständig gestellten Gesellschaftsmächten empfängt. Welche darunter die
Oberhand hat, den größten Einfluß auf den Staat übt, ist eine Machtfrage.
Daß diese Machtfrage immer möglichst zu Gunsten der katholischen Kirche aus¬
falle, mit allen ihren Ansprüchen, das ist der dauernde Zweck des Zentrums.
Jeder Sieg des Zentrums befestigt die Herrschaft der katholischen Kirche und
dehnt sie aus, und umgekehrt. So ist es wenigstens gedacht, wenn auch
natürlicherweise die Identität nicht immer klappt, und bald der eine, bald
der andre Teil mehr abbekommt. Auch dieses Verhältnis zur katholischen
Kirche steht wieder nicht im Zentrumsprogramm, aber daß es sich so verhält,
weiß oder fühlt jeder; es ist vollständig sicher.

Man ist deshalb versucht, das Zentrum als klassisches Beispiel dafür an¬
zuführen, daß die Sprache den Menschen dazu gegeben sei, ihre Gedanken zu
verbergen. Das Hauptstück wird verschwiegen, bleibt aber immer das Ent¬
scheidende; der Schleier um die Fahne verhüllt sie nur für Nichteingeweihte.
Im Verhältnis dazu sind die offiziell aufgestellten Programmpunkte nur Neben¬
dinge, taktische und Lockmittel, Zwischenstationen zum Endziel. Das gilt gerade
von dem, womit das Zentrum am meisten Staat macht: von der bürgerlichen
Und politischen Freiheit, die es fordert, von der Parität und Selbständigkeit
der andern Kirchen, von der Freiheit der Presse, der Vereine und Versamm¬
lungen, von den wirtschaftlichen Reformbestrebungen. Selbstverständliche Zu¬
gabe ist die Versicherung, daß das Zentrum das Gemeinwohl fördern wolle;
diese Versicherung fehlt ja in keinem Parteiprogramm. Es liegt uns fern,
an ihrer Aufrichtigkeit zu zweifeln.

Bisher hat sich die Taktik des Zentrums sehr gut bewährt, es ist immer
mächtiger geworden, auch nachdem die ausgezeichnete Defensivstellung, die ihm
der Kulturkampf gewährte, den unmittelbar wirkenden Wert verloren hat.
In Windthorst hatte das Zentrum einen Meister der parlamentarischen und
außerparlamentarischen Mache als zuletzt unbestrittnen Führer; sein Beispiel


Grenzboten IV 1808 Z2
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[0260] Kirchenpolitik und Zentrum Satelliten, von denen wir nichts merken, und mit der unermüdlichen Kaplans- Presse. Daher auch der Haß gegen die „Auchkatholiken," mögen sie es mit ihren kirchlichen Pflichten noch so ernst nehmen, denn sie gehen in Staats-, Wirtschafts-, sozialpolitischen Dingen nicht mit, ziehen wohl gar Vereinigungen vor, an denen Deutsche andrer Bekenntnisse teilnehmen. Das ganze Leben „katholisch," auf allen Gebieten, in allen seinen mannigfaltigen Formen, katholisch ohne Beisatz, das ist die soziale Ergänzung zu der Staatsauffassung einer Partei, die die Bezeichnung als konfessionelle Partei von sich weist- Etwas ganz neues im heutigen Deutschland, und doch, genauer betrachtet, etwas allbekanntes: die mittelalterliche Staatsauffassung, nur durch eiuen modern zurechtgeschnittnen Schleier verhüllt. Die Staatsauffassung, wonach der Staat seinem Wesen nach auf Heerbann, aävoeatia und Vlutbann be¬ schränkt ist und die Richtung sowohl wie den Inhalt seiner Thätigkeit von den selbständig gestellten Gesellschaftsmächten empfängt. Welche darunter die Oberhand hat, den größten Einfluß auf den Staat übt, ist eine Machtfrage. Daß diese Machtfrage immer möglichst zu Gunsten der katholischen Kirche aus¬ falle, mit allen ihren Ansprüchen, das ist der dauernde Zweck des Zentrums. Jeder Sieg des Zentrums befestigt die Herrschaft der katholischen Kirche und dehnt sie aus, und umgekehrt. So ist es wenigstens gedacht, wenn auch natürlicherweise die Identität nicht immer klappt, und bald der eine, bald der andre Teil mehr abbekommt. Auch dieses Verhältnis zur katholischen Kirche steht wieder nicht im Zentrumsprogramm, aber daß es sich so verhält, weiß oder fühlt jeder; es ist vollständig sicher. Man ist deshalb versucht, das Zentrum als klassisches Beispiel dafür an¬ zuführen, daß die Sprache den Menschen dazu gegeben sei, ihre Gedanken zu verbergen. Das Hauptstück wird verschwiegen, bleibt aber immer das Ent¬ scheidende; der Schleier um die Fahne verhüllt sie nur für Nichteingeweihte. Im Verhältnis dazu sind die offiziell aufgestellten Programmpunkte nur Neben¬ dinge, taktische und Lockmittel, Zwischenstationen zum Endziel. Das gilt gerade von dem, womit das Zentrum am meisten Staat macht: von der bürgerlichen Und politischen Freiheit, die es fordert, von der Parität und Selbständigkeit der andern Kirchen, von der Freiheit der Presse, der Vereine und Versamm¬ lungen, von den wirtschaftlichen Reformbestrebungen. Selbstverständliche Zu¬ gabe ist die Versicherung, daß das Zentrum das Gemeinwohl fördern wolle; diese Versicherung fehlt ja in keinem Parteiprogramm. Es liegt uns fern, an ihrer Aufrichtigkeit zu zweifeln. Bisher hat sich die Taktik des Zentrums sehr gut bewährt, es ist immer mächtiger geworden, auch nachdem die ausgezeichnete Defensivstellung, die ihm der Kulturkampf gewährte, den unmittelbar wirkenden Wert verloren hat. In Windthorst hatte das Zentrum einen Meister der parlamentarischen und außerparlamentarischen Mache als zuletzt unbestrittnen Führer; sein Beispiel Grenzboten IV 1808 Z2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/260>, abgerufen am 12.12.2024.