Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.Die Wortfamilien der lebenden hochdeutschen Sprache als Grundlage für ein System der Bedeutungslehre. Nach 5>eures Deutschem Wörterbuch bearbeitet von Dr. Bruno Liebrch. Erste und zweite Lieferung. Breslau, Preusz und Jünger, 1898 Wundt but den Wissenschaften folgende methodische Reihenfolge angewiesen. Die Wortfamilien der lebenden hochdeutschen Sprache als Grundlage für ein System der Bedeutungslehre. Nach 5>eures Deutschem Wörterbuch bearbeitet von Dr. Bruno Liebrch. Erste und zweite Lieferung. Breslau, Preusz und Jünger, 1898 Wundt but den Wissenschaften folgende methodische Reihenfolge angewiesen. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0234" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/229183"/> </div> <div n="2"> <head> Die Wortfamilien der lebenden hochdeutschen Sprache als Grundlage für ein System<lb/> der Bedeutungslehre. Nach 5>eures Deutschem Wörterbuch bearbeitet von Dr. Bruno Liebrch.<lb/> Erste und zweite Lieferung. Breslau, Preusz und Jünger, 1898</head><lb/> <p xml:id="ID_647" next="#ID_648"> Wundt but den Wissenschaften folgende methodische Reihenfolge angewiesen.<lb/> Naturwissenschaften: Physik, die mit der Mechanik zu beginnen hat, Chemie, Bio¬<lb/> logie; Geisteswissenschaften: Psychologie. Geschichte, Gesellschaftswissenschaften, Philo¬<lb/> sophie; zwischen den Natur- und den Geisteswissenschaften steht beider Helferin, die<lb/> Mathematik. Liebig will im Gegensatz dazu die Psychologie als Ziel- und Gipfel-<lb/> Punkt der Geisteswissenschaften, die Philosophie als die Zusammenfassung beider<lb/> Zweige des menschlichen Wissens behandelt haben und hält die Sprachwissenschaft,<lb/> »die mit der Philologie keineswegs identisch ist," für die Grundlage der Geistes¬<lb/> wissenschaften. Keine der übrigen Geisteswissenschaften könne die Sprachwissenschaft<lb/> entbehren. Er weist in der höchst interessanten Einleitung zu seinem Wörterbuch<lb/> darauf hin, „wie die Feststellung des Wortschatzes der Urgemeinschcift uns Rück¬<lb/> schlüsse auf die sozialen Verhältnisse unsrer primitiven Vorfahren gestattet, die auf<lb/> keine andre Weise, auch nicht durch Archäologie und Prähistorie zu gewinnen wären;<lb/> wie selbst zu den Künsten, den feinsten Blüten des Menschengeistes, mehr oder<lb/> minder deutliche Fäden führen, „indem die Dichtkunst sich des Wortes als ihres<lb/> Instruments bedient, die Sprache selbst mit ihrem Rhythmus und ihrer Melodie<lb/> gleichsam eine herabgestimmte, zwischen engen Grenzen sich bewegende Musik ist,<lb/> Während sich die Schrift, der stete Begleiter der Sprache, dem Auge des Forschers<lb/> als ein stilisirtes Gemälde enthüllt, hervorgegangen aus einer Bilderschrift, die, die<lb/> rohe bildende Kunst eines Naturvolks, ursprünglich die durch das Wort bezeichneten<lb/> Gegenstände wiederzugeben und dem Gedächtnis der Nachkommen aufzubewahren<lb/> trachtete." Während um für den einen der beiden Zweige der Sprachwissenschaft,<lb/> die Lautlehre, schon eine brauchbare Grundlage geschaffen sei, müsse der andre, die<lb/> Bedeutungslehre, noch als Neuland bezeichnet werden. Das System dieser Wissen¬<lb/> schaft sei gegeben im Wortschatz, in den Wurzeln. Die Vorarbeit für eine voll¬<lb/> ständige Bedeutungslehre habe also darin zu bestehen, daß für jede Sprache ein<lb/> Verzeichnis angefertigt werde, das die aus derselbe» Wurzel entsprossenen Wörter<lb/> zusammenstellt. Er habe, um mit dieser Vorarbeit einen Anfang zu machen, das<lb/> Hochdeutsche gewählt, dessen Wortschatz hinlänglich durchforscht sei und daher bei<lb/> der Arbeit des Aufsuchens der Wurzeln Erfolg verspreche, nicht das noch zu wenig<lb/> durchforschte Sanskrit, das seine Spezialität ist. Und er habe bei der alphabetischen<lb/> Anordnung nicht die Wurzeln zu Grunde gelegt, die ja eben erst ermittelt werden<lb/> sollen, und die, soweit welche genannt werden, meist hypothetisch sind, sondern die<lb/> heut gebräuchlichen Wörter. Die Fremdwörter, die nun einmal thatsächlich zu<lb/> unsrer Sprache gehören, konnten nicht ausgeschlossen werden. „Die Scheidung von<lb/> Lehn- und Fremdwörten mag pädagogische Vorteile haben, wissenschaftlich ist sie<lb/> hinfällig, und wo ist die Grenze zwischen Lehnwörter und wirklich einheimischen<lb/> Sprachgut? . . . Kier können wir von den Botanikern lernen. Der Unterschied<lb/> zwischen einheimischen, Lehn- und Fremdwörten kehrt dort in dem Gegensatz der<lb/> einheimischen, angebauten und eigentlichen Park- und Gartenpflanzen wieder." Diese<lb/> letzten seien in den ältern deutschen Floren ausgeschlossen gewesen, in die neuern<lb/> habe man sie endlich aufnehmen müssen. Das Werk ist ja wohl für Sprachforscher<lb/> geschrieben, aber auch der Laie interessirt sich doch für solche Dinge, und dem wird</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0234]
Die Wortfamilien der lebenden hochdeutschen Sprache als Grundlage für ein System
der Bedeutungslehre. Nach 5>eures Deutschem Wörterbuch bearbeitet von Dr. Bruno Liebrch.
Erste und zweite Lieferung. Breslau, Preusz und Jünger, 1898
Wundt but den Wissenschaften folgende methodische Reihenfolge angewiesen.
Naturwissenschaften: Physik, die mit der Mechanik zu beginnen hat, Chemie, Bio¬
logie; Geisteswissenschaften: Psychologie. Geschichte, Gesellschaftswissenschaften, Philo¬
sophie; zwischen den Natur- und den Geisteswissenschaften steht beider Helferin, die
Mathematik. Liebig will im Gegensatz dazu die Psychologie als Ziel- und Gipfel-
Punkt der Geisteswissenschaften, die Philosophie als die Zusammenfassung beider
Zweige des menschlichen Wissens behandelt haben und hält die Sprachwissenschaft,
»die mit der Philologie keineswegs identisch ist," für die Grundlage der Geistes¬
wissenschaften. Keine der übrigen Geisteswissenschaften könne die Sprachwissenschaft
entbehren. Er weist in der höchst interessanten Einleitung zu seinem Wörterbuch
darauf hin, „wie die Feststellung des Wortschatzes der Urgemeinschcift uns Rück¬
schlüsse auf die sozialen Verhältnisse unsrer primitiven Vorfahren gestattet, die auf
keine andre Weise, auch nicht durch Archäologie und Prähistorie zu gewinnen wären;
wie selbst zu den Künsten, den feinsten Blüten des Menschengeistes, mehr oder
minder deutliche Fäden führen, „indem die Dichtkunst sich des Wortes als ihres
Instruments bedient, die Sprache selbst mit ihrem Rhythmus und ihrer Melodie
gleichsam eine herabgestimmte, zwischen engen Grenzen sich bewegende Musik ist,
Während sich die Schrift, der stete Begleiter der Sprache, dem Auge des Forschers
als ein stilisirtes Gemälde enthüllt, hervorgegangen aus einer Bilderschrift, die, die
rohe bildende Kunst eines Naturvolks, ursprünglich die durch das Wort bezeichneten
Gegenstände wiederzugeben und dem Gedächtnis der Nachkommen aufzubewahren
trachtete." Während um für den einen der beiden Zweige der Sprachwissenschaft,
die Lautlehre, schon eine brauchbare Grundlage geschaffen sei, müsse der andre, die
Bedeutungslehre, noch als Neuland bezeichnet werden. Das System dieser Wissen¬
schaft sei gegeben im Wortschatz, in den Wurzeln. Die Vorarbeit für eine voll¬
ständige Bedeutungslehre habe also darin zu bestehen, daß für jede Sprache ein
Verzeichnis angefertigt werde, das die aus derselbe» Wurzel entsprossenen Wörter
zusammenstellt. Er habe, um mit dieser Vorarbeit einen Anfang zu machen, das
Hochdeutsche gewählt, dessen Wortschatz hinlänglich durchforscht sei und daher bei
der Arbeit des Aufsuchens der Wurzeln Erfolg verspreche, nicht das noch zu wenig
durchforschte Sanskrit, das seine Spezialität ist. Und er habe bei der alphabetischen
Anordnung nicht die Wurzeln zu Grunde gelegt, die ja eben erst ermittelt werden
sollen, und die, soweit welche genannt werden, meist hypothetisch sind, sondern die
heut gebräuchlichen Wörter. Die Fremdwörter, die nun einmal thatsächlich zu
unsrer Sprache gehören, konnten nicht ausgeschlossen werden. „Die Scheidung von
Lehn- und Fremdwörten mag pädagogische Vorteile haben, wissenschaftlich ist sie
hinfällig, und wo ist die Grenze zwischen Lehnwörter und wirklich einheimischen
Sprachgut? . . . Kier können wir von den Botanikern lernen. Der Unterschied
zwischen einheimischen, Lehn- und Fremdwörten kehrt dort in dem Gegensatz der
einheimischen, angebauten und eigentlichen Park- und Gartenpflanzen wieder." Diese
letzten seien in den ältern deutschen Floren ausgeschlossen gewesen, in die neuern
habe man sie endlich aufnehmen müssen. Das Werk ist ja wohl für Sprachforscher
geschrieben, aber auch der Laie interessirt sich doch für solche Dinge, und dem wird
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