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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Theodor von Bernhard! als Nationalökonom

heit der Gleichgiltigkeit gegen Ideale immer näher rücken, die die eigentliche
Bildung ist. Die höhern Stände wollen vor den untern einfach Ruhe haben.
Wenn diese Lehre in England nicht das größte Unheil angerichtet hat, so liegt
das wesentlich in dem durch alle Stände verbreiteten aristokratischen Sinn des
englischen Volks und seinem praktischen Geist, in der Achtung vor dem Gesetz und
der politischen Reife, die diese Nation vor den Nationen des Kontinents aus¬
zeichnen. Wo diese Gegengewichte fehlen, da muß die Herrschaft dieser Theorie
geradezu Verheerungen anrichten. A. Smith spricht seine Grundansicht vom
Wesen und Zweck des Staats nirgends ausdrücklich aus; in seinen Ausfüh¬
rungen folgt er bald der mittelalterlichen Ansicht, nach der der Staat als ein
für eigne Rechnung selbstsüchtiges Wesen dem Volke gegenübersteht, bald nimmt
er ihn einfach als eine Institution, die der Selbstsucht der herrschenden Klassen
zu dienen hat. Der Staat erstrebt Macht und als deren Grundlage Reichtum,
denn Macht erscheint nur als das Ergebnis materieller Verhältnisse. Infolge
dieser Anschauung faßt auch die englische Staatswirtschaftslehre ausschließlich
eine immer gesteigerte Vermehrung des Kapitals und des Einkommens vom
Kapital ins Auge. Ob die Verteilung des Einkommens billig und gerecht ist,
ob alle Teilnehmer der gewonnenen Güter in gerechtem Maße froh werden,
darnach wird niemals gefragt.

Demgegenüber hebt nun Bernhardi hervor, daß der das ganze Gebiet
beherrschende Geist des Menschen weniger durch die Natur der Dinge an sich,
als durch die Richtung seines Strebens überhaupt bestimmt wird. Von dieser
Richtung hängt es großenteils ab, welchen Dingen Wert beigelegt wird. So
wirkt der Geist, der örtlich und in der Zeit herrscht, gestaltend auf die Güter¬
welt, er bestimmt auch auf diesem Wege das Schicksal der Nationen und macht
sich in seiner weltgeschichtlichen Bedeutung geltend. Das Nationalvermögen
und Nationaleinkommen besteht keineswegs aus einer Summe von gleichgiltig
wie entstandnen Werten, es gestaltet sich vielmehr zu einem bestimmt gegliederten
Ganzen, das sich gleichsam dem Bedarf, wie ihn die herrschenden Verhältnisse
und der herrschende Geist regeln, nachentwickelt und anpaßt. Was sich in diesen
Organismus nicht gehörig einfügt, ist wertlos, und wer dergleichen erzeugt,
der produzirt eigentlich nicht. Und deshalb, weil hier nicht eine unbedingte
Notwendigkeit allein waltet, kann der bestimmende Wille des Menschen in mehr
als einer Weise Keime der Krankheit und Verwesung in den Organismus legen.

Von A. Smith ist der Unterschied von Gebrauchswert und Tauschwert
zwar hervorgehoben worden; der erste kommt aber ungebührlich zu kurz, wenn
weiter ausgeführt wird, daß nur ein geringer, verhältnismäßig unbedeutender
Teil der hervorgebrachten Güter den Erzeugern unmittelbar dient, und sich nur
bei diesem Teil der Gebrauchswert allein geltend mache. Da die Haupt¬
masse bestimmt sei, von Hand zu Hand zu gehen, so ist sie das wert, was
dagegen eingetauscht werden kann. Der Wohlstand jedes Einzelnen hängt von


Theodor von Bernhard! als Nationalökonom

heit der Gleichgiltigkeit gegen Ideale immer näher rücken, die die eigentliche
Bildung ist. Die höhern Stände wollen vor den untern einfach Ruhe haben.
Wenn diese Lehre in England nicht das größte Unheil angerichtet hat, so liegt
das wesentlich in dem durch alle Stände verbreiteten aristokratischen Sinn des
englischen Volks und seinem praktischen Geist, in der Achtung vor dem Gesetz und
der politischen Reife, die diese Nation vor den Nationen des Kontinents aus¬
zeichnen. Wo diese Gegengewichte fehlen, da muß die Herrschaft dieser Theorie
geradezu Verheerungen anrichten. A. Smith spricht seine Grundansicht vom
Wesen und Zweck des Staats nirgends ausdrücklich aus; in seinen Ausfüh¬
rungen folgt er bald der mittelalterlichen Ansicht, nach der der Staat als ein
für eigne Rechnung selbstsüchtiges Wesen dem Volke gegenübersteht, bald nimmt
er ihn einfach als eine Institution, die der Selbstsucht der herrschenden Klassen
zu dienen hat. Der Staat erstrebt Macht und als deren Grundlage Reichtum,
denn Macht erscheint nur als das Ergebnis materieller Verhältnisse. Infolge
dieser Anschauung faßt auch die englische Staatswirtschaftslehre ausschließlich
eine immer gesteigerte Vermehrung des Kapitals und des Einkommens vom
Kapital ins Auge. Ob die Verteilung des Einkommens billig und gerecht ist,
ob alle Teilnehmer der gewonnenen Güter in gerechtem Maße froh werden,
darnach wird niemals gefragt.

Demgegenüber hebt nun Bernhardi hervor, daß der das ganze Gebiet
beherrschende Geist des Menschen weniger durch die Natur der Dinge an sich,
als durch die Richtung seines Strebens überhaupt bestimmt wird. Von dieser
Richtung hängt es großenteils ab, welchen Dingen Wert beigelegt wird. So
wirkt der Geist, der örtlich und in der Zeit herrscht, gestaltend auf die Güter¬
welt, er bestimmt auch auf diesem Wege das Schicksal der Nationen und macht
sich in seiner weltgeschichtlichen Bedeutung geltend. Das Nationalvermögen
und Nationaleinkommen besteht keineswegs aus einer Summe von gleichgiltig
wie entstandnen Werten, es gestaltet sich vielmehr zu einem bestimmt gegliederten
Ganzen, das sich gleichsam dem Bedarf, wie ihn die herrschenden Verhältnisse
und der herrschende Geist regeln, nachentwickelt und anpaßt. Was sich in diesen
Organismus nicht gehörig einfügt, ist wertlos, und wer dergleichen erzeugt,
der produzirt eigentlich nicht. Und deshalb, weil hier nicht eine unbedingte
Notwendigkeit allein waltet, kann der bestimmende Wille des Menschen in mehr
als einer Weise Keime der Krankheit und Verwesung in den Organismus legen.

Von A. Smith ist der Unterschied von Gebrauchswert und Tauschwert
zwar hervorgehoben worden; der erste kommt aber ungebührlich zu kurz, wenn
weiter ausgeführt wird, daß nur ein geringer, verhältnismäßig unbedeutender
Teil der hervorgebrachten Güter den Erzeugern unmittelbar dient, und sich nur
bei diesem Teil der Gebrauchswert allein geltend mache. Da die Haupt¬
masse bestimmt sei, von Hand zu Hand zu gehen, so ist sie das wert, was
dagegen eingetauscht werden kann. Der Wohlstand jedes Einzelnen hängt von


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[0211] Theodor von Bernhard! als Nationalökonom heit der Gleichgiltigkeit gegen Ideale immer näher rücken, die die eigentliche Bildung ist. Die höhern Stände wollen vor den untern einfach Ruhe haben. Wenn diese Lehre in England nicht das größte Unheil angerichtet hat, so liegt das wesentlich in dem durch alle Stände verbreiteten aristokratischen Sinn des englischen Volks und seinem praktischen Geist, in der Achtung vor dem Gesetz und der politischen Reife, die diese Nation vor den Nationen des Kontinents aus¬ zeichnen. Wo diese Gegengewichte fehlen, da muß die Herrschaft dieser Theorie geradezu Verheerungen anrichten. A. Smith spricht seine Grundansicht vom Wesen und Zweck des Staats nirgends ausdrücklich aus; in seinen Ausfüh¬ rungen folgt er bald der mittelalterlichen Ansicht, nach der der Staat als ein für eigne Rechnung selbstsüchtiges Wesen dem Volke gegenübersteht, bald nimmt er ihn einfach als eine Institution, die der Selbstsucht der herrschenden Klassen zu dienen hat. Der Staat erstrebt Macht und als deren Grundlage Reichtum, denn Macht erscheint nur als das Ergebnis materieller Verhältnisse. Infolge dieser Anschauung faßt auch die englische Staatswirtschaftslehre ausschließlich eine immer gesteigerte Vermehrung des Kapitals und des Einkommens vom Kapital ins Auge. Ob die Verteilung des Einkommens billig und gerecht ist, ob alle Teilnehmer der gewonnenen Güter in gerechtem Maße froh werden, darnach wird niemals gefragt. Demgegenüber hebt nun Bernhardi hervor, daß der das ganze Gebiet beherrschende Geist des Menschen weniger durch die Natur der Dinge an sich, als durch die Richtung seines Strebens überhaupt bestimmt wird. Von dieser Richtung hängt es großenteils ab, welchen Dingen Wert beigelegt wird. So wirkt der Geist, der örtlich und in der Zeit herrscht, gestaltend auf die Güter¬ welt, er bestimmt auch auf diesem Wege das Schicksal der Nationen und macht sich in seiner weltgeschichtlichen Bedeutung geltend. Das Nationalvermögen und Nationaleinkommen besteht keineswegs aus einer Summe von gleichgiltig wie entstandnen Werten, es gestaltet sich vielmehr zu einem bestimmt gegliederten Ganzen, das sich gleichsam dem Bedarf, wie ihn die herrschenden Verhältnisse und der herrschende Geist regeln, nachentwickelt und anpaßt. Was sich in diesen Organismus nicht gehörig einfügt, ist wertlos, und wer dergleichen erzeugt, der produzirt eigentlich nicht. Und deshalb, weil hier nicht eine unbedingte Notwendigkeit allein waltet, kann der bestimmende Wille des Menschen in mehr als einer Weise Keime der Krankheit und Verwesung in den Organismus legen. Von A. Smith ist der Unterschied von Gebrauchswert und Tauschwert zwar hervorgehoben worden; der erste kommt aber ungebührlich zu kurz, wenn weiter ausgeführt wird, daß nur ein geringer, verhältnismäßig unbedeutender Teil der hervorgebrachten Güter den Erzeugern unmittelbar dient, und sich nur bei diesem Teil der Gebrauchswert allein geltend mache. Da die Haupt¬ masse bestimmt sei, von Hand zu Hand zu gehen, so ist sie das wert, was dagegen eingetauscht werden kann. Der Wohlstand jedes Einzelnen hängt von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/211>, abgerufen am 24.07.2024.