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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Gin mittelstaatlicher Minister in der Zeit der Reichsgründung

gegenüber; in ihm war der strenge hugenottische Zug eigentümlich ausgeprägt:
gewissenhaft, pünktlich, konsequent in der Verfolgung der durch scharfes wissen¬
schaftliches Denken festgestellten Ziele, strebte er überall den Dingen auf den
Grund zu gehen, von kleinlichen oder auch wohl von erheblichen Rücksichten
unbeirrt." Roggenbach, in katholischen Traditionen aufgewachsen, war vor allem
ein UMä seiZneur, sehr liebenswürdig, formgewandt, gedankenreich, aber ohne
genügende Fachkenntnisse und der Bindung durch amtliche Pflichten im Grunde
abgeneigt, daher auch gewöhnt, einen guten Teil der Zeit auf Reisen zuzu¬
bringen und mit auswärtigen Staatsmännern rege Beziehungen zu unterhalten.
In liberalen Kreisen genoß er überall großes Ansehen; es gab damals auch
in Norddeutschland Leute, die ihn gern an der Spitze des preußischen Mini¬
steriums gesehen Hütten, als der "Konflikt" ausgebrochen war. In politischer
Beziehung stand für Roggenbach und Jolly das Bestreben, zur Errichtung
eines deutschen Vundesstaats uuter preußischer Führung durch liberale Mittel
anzuregen und das möglichste dazu beizutragen, allen andern voran; Lamey,
als Liberaler in der süddeutschen Abneigung gegen Preußen befangen, hielt
davou gar nichts, und er wich auch in der augenblicklich sehr wichtigen Kirchen-
Politik insofern von Jolly ab. als dieser alle Übertretungen der vom Staate
gegebnen Vorschriften durch gerichtliche Klage geahndet wissen wollte, während
Lamey die Unterordnung der Kirche unter den Staat im Verwaltungswege zu
erreichen und ohne offnen Konflikt durchzukommen hoffte. Unzweifelhaft stand
hinter Lamey die große Mehrheit des Landes und des wesentlich liberal den¬
kenden Beamtentums; die natiomlgesinnten Liberalen waren eine kleine Minder¬
heit. Erst als sich Baden mit dem Antrage an den Bundestag, die kurhessische
Verfassung von 1331 wiederherzustellen (4. Juli 1861). an die Spitze der
liberalen Bewegung in Deutschland gestellt hatte, da siegte die Richtung der
Negierung bei den Neuwahlen im Oktober 1861. und Jolly erlebte die Genug¬
thuung, daß ihn die Universität Heidelberg als ihren Vertreter in die Erste
Kammer sandte. Die Berufung Karl Mathys in den badischen Staatsdienst
im Herbst 1862 verstärkte Roggenbachs und Jollys Stellung noch; aber der
preußische Konflikt, der mit Bismarcks Berufung seinen Höhepunkt erreichte,
schien alle nationalen Hoffnungen der badischen Liberalen zu vereiteln. Auch
Jolly urteilte über den neuen Minister nicht anders als die Liberalen über¬
haupt; er nannte ihn gelegentlich einen "abenteuernden Junker."

Trotzdem schwankten er und seine Freunde, als Österreich im August 1363
den Fürstentag nach Frankfurt berief, inmitten der lodernden großdeutschen
Begeisterung ringsum, keinen Augenblick in der entschlossenen Ablehnung dieses
..Taschenspielerkunststücks," und Jolly, der seinen Großherzog nach Frankfurt
begleitete, verfaßte die Erklärungen, die dieser gegen die österreichischen Anträge
abgab. So half er verhüten, daß die deutsche Entwicklung in ganz verkehrte
Bahnen gelenkt wurde, und war einer der besten Bundesgenossen Bismarcks,


Gin mittelstaatlicher Minister in der Zeit der Reichsgründung

gegenüber; in ihm war der strenge hugenottische Zug eigentümlich ausgeprägt:
gewissenhaft, pünktlich, konsequent in der Verfolgung der durch scharfes wissen¬
schaftliches Denken festgestellten Ziele, strebte er überall den Dingen auf den
Grund zu gehen, von kleinlichen oder auch wohl von erheblichen Rücksichten
unbeirrt." Roggenbach, in katholischen Traditionen aufgewachsen, war vor allem
ein UMä seiZneur, sehr liebenswürdig, formgewandt, gedankenreich, aber ohne
genügende Fachkenntnisse und der Bindung durch amtliche Pflichten im Grunde
abgeneigt, daher auch gewöhnt, einen guten Teil der Zeit auf Reisen zuzu¬
bringen und mit auswärtigen Staatsmännern rege Beziehungen zu unterhalten.
In liberalen Kreisen genoß er überall großes Ansehen; es gab damals auch
in Norddeutschland Leute, die ihn gern an der Spitze des preußischen Mini¬
steriums gesehen Hütten, als der „Konflikt" ausgebrochen war. In politischer
Beziehung stand für Roggenbach und Jolly das Bestreben, zur Errichtung
eines deutschen Vundesstaats uuter preußischer Führung durch liberale Mittel
anzuregen und das möglichste dazu beizutragen, allen andern voran; Lamey,
als Liberaler in der süddeutschen Abneigung gegen Preußen befangen, hielt
davou gar nichts, und er wich auch in der augenblicklich sehr wichtigen Kirchen-
Politik insofern von Jolly ab. als dieser alle Übertretungen der vom Staate
gegebnen Vorschriften durch gerichtliche Klage geahndet wissen wollte, während
Lamey die Unterordnung der Kirche unter den Staat im Verwaltungswege zu
erreichen und ohne offnen Konflikt durchzukommen hoffte. Unzweifelhaft stand
hinter Lamey die große Mehrheit des Landes und des wesentlich liberal den¬
kenden Beamtentums; die natiomlgesinnten Liberalen waren eine kleine Minder¬
heit. Erst als sich Baden mit dem Antrage an den Bundestag, die kurhessische
Verfassung von 1331 wiederherzustellen (4. Juli 1861). an die Spitze der
liberalen Bewegung in Deutschland gestellt hatte, da siegte die Richtung der
Negierung bei den Neuwahlen im Oktober 1861. und Jolly erlebte die Genug¬
thuung, daß ihn die Universität Heidelberg als ihren Vertreter in die Erste
Kammer sandte. Die Berufung Karl Mathys in den badischen Staatsdienst
im Herbst 1862 verstärkte Roggenbachs und Jollys Stellung noch; aber der
preußische Konflikt, der mit Bismarcks Berufung seinen Höhepunkt erreichte,
schien alle nationalen Hoffnungen der badischen Liberalen zu vereiteln. Auch
Jolly urteilte über den neuen Minister nicht anders als die Liberalen über¬
haupt; er nannte ihn gelegentlich einen „abenteuernden Junker."

Trotzdem schwankten er und seine Freunde, als Österreich im August 1363
den Fürstentag nach Frankfurt berief, inmitten der lodernden großdeutschen
Begeisterung ringsum, keinen Augenblick in der entschlossenen Ablehnung dieses
..Taschenspielerkunststücks," und Jolly, der seinen Großherzog nach Frankfurt
begleitete, verfaßte die Erklärungen, die dieser gegen die österreichischen Anträge
abgab. So half er verhüten, daß die deutsche Entwicklung in ganz verkehrte
Bahnen gelenkt wurde, und war einer der besten Bundesgenossen Bismarcks,


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[0019] Gin mittelstaatlicher Minister in der Zeit der Reichsgründung gegenüber; in ihm war der strenge hugenottische Zug eigentümlich ausgeprägt: gewissenhaft, pünktlich, konsequent in der Verfolgung der durch scharfes wissen¬ schaftliches Denken festgestellten Ziele, strebte er überall den Dingen auf den Grund zu gehen, von kleinlichen oder auch wohl von erheblichen Rücksichten unbeirrt." Roggenbach, in katholischen Traditionen aufgewachsen, war vor allem ein UMä seiZneur, sehr liebenswürdig, formgewandt, gedankenreich, aber ohne genügende Fachkenntnisse und der Bindung durch amtliche Pflichten im Grunde abgeneigt, daher auch gewöhnt, einen guten Teil der Zeit auf Reisen zuzu¬ bringen und mit auswärtigen Staatsmännern rege Beziehungen zu unterhalten. In liberalen Kreisen genoß er überall großes Ansehen; es gab damals auch in Norddeutschland Leute, die ihn gern an der Spitze des preußischen Mini¬ steriums gesehen Hütten, als der „Konflikt" ausgebrochen war. In politischer Beziehung stand für Roggenbach und Jolly das Bestreben, zur Errichtung eines deutschen Vundesstaats uuter preußischer Führung durch liberale Mittel anzuregen und das möglichste dazu beizutragen, allen andern voran; Lamey, als Liberaler in der süddeutschen Abneigung gegen Preußen befangen, hielt davou gar nichts, und er wich auch in der augenblicklich sehr wichtigen Kirchen- Politik insofern von Jolly ab. als dieser alle Übertretungen der vom Staate gegebnen Vorschriften durch gerichtliche Klage geahndet wissen wollte, während Lamey die Unterordnung der Kirche unter den Staat im Verwaltungswege zu erreichen und ohne offnen Konflikt durchzukommen hoffte. Unzweifelhaft stand hinter Lamey die große Mehrheit des Landes und des wesentlich liberal den¬ kenden Beamtentums; die natiomlgesinnten Liberalen waren eine kleine Minder¬ heit. Erst als sich Baden mit dem Antrage an den Bundestag, die kurhessische Verfassung von 1331 wiederherzustellen (4. Juli 1861). an die Spitze der liberalen Bewegung in Deutschland gestellt hatte, da siegte die Richtung der Negierung bei den Neuwahlen im Oktober 1861. und Jolly erlebte die Genug¬ thuung, daß ihn die Universität Heidelberg als ihren Vertreter in die Erste Kammer sandte. Die Berufung Karl Mathys in den badischen Staatsdienst im Herbst 1862 verstärkte Roggenbachs und Jollys Stellung noch; aber der preußische Konflikt, der mit Bismarcks Berufung seinen Höhepunkt erreichte, schien alle nationalen Hoffnungen der badischen Liberalen zu vereiteln. Auch Jolly urteilte über den neuen Minister nicht anders als die Liberalen über¬ haupt; er nannte ihn gelegentlich einen „abenteuernden Junker." Trotzdem schwankten er und seine Freunde, als Österreich im August 1363 den Fürstentag nach Frankfurt berief, inmitten der lodernden großdeutschen Begeisterung ringsum, keinen Augenblick in der entschlossenen Ablehnung dieses ..Taschenspielerkunststücks," und Jolly, der seinen Großherzog nach Frankfurt begleitete, verfaßte die Erklärungen, die dieser gegen die österreichischen Anträge abgab. So half er verhüten, daß die deutsche Entwicklung in ganz verkehrte Bahnen gelenkt wurde, und war einer der besten Bundesgenossen Bismarcks,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/19>, abgerufen am 12.12.2024.