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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Die Landwirtschaft im preußischen Vsten

gutsbesitzer möchten ihrem Kapital entsprechend leben und wirtschaften, näher
zu liegen. Es ist ein wahres Unglück, daß der ostdeutsche Landwirt, wenn
er ein Rittergut besitzt, durchaus nicht mehr dem Mittelstande angehören will,
auch wenn er ärmer ist als der Pachter. Im Westen lacht man über diese
Herrlichkeit und führt sehr gut dabei. Wir halten eine Verringerung der Aus¬
dehnung unsrer Großbetriebe, selbst bei gebildeten Besitzern, die nicht bäuerlich
leben, für dringend wünschenswert. Wäre das zu erreichen, so würde viel
gewonnen sein. Künstliche Maßregeln sind dabei gar nichts nütze, am wenigsten
die Schaffung eines kleinern und mittlern, auf die Selbstbewirtschaftnug an¬
gewiesenen Majoratsherrenstands. Gegen die großen, reichen Majorate im
Osten, die viel verschrieenen Latifundien, haben wir weit weniger einzuwenden,
solange sie etwa in der heutigen Ausdehnung bleiben. Professor Backhaus
würde sich unvergleichliche Lorbeeren um die ostpreußischen Landwirte verdienen,
wenn er ihnen das Verständnis und die Gewohnheit dafür anerziehen könnte,
daß die kapitalarmen, stark verschuldeten Gutsbesitzer ebenso anspruchslos wirt¬
schafteten wie Pächter. Dann wird sich ihnen ganz gewiß das zur Hebung der
Produktion nötige Kapital nicht entziehen, und die Vorteile des Eigenbetriebs
brauchten nicht preisgegeben zu werden.

Und kapitalarm und verschuldet sind nun einmal die landwirtschaftlichen
Grundbesitzer des Ostens in hohem Grade. Die Zahlen, die der Verfasser
dafür beibringt, beweisen das -- so wenig sie unter sich übereinstimmen und
statistisch wertvoll sind -- im großen und ganzen schlagend. Aber was
notorisch ist, braucht keinen Beweis.

Wer soll da helfen, und wie soll geholfen werden? Kapitalgeschenke aus
andrer Leute Taschen darf der Staat ihnen doch nicht zuwenden und sollten
von den Gutsbesitzern am wenigsten verlangt werden. Es giebt nun einmal
reiche und arme Leute in der Welt, und auch reiche und arme Grundeigen¬
tümer im Deutschen Reiche. Haben sich die ostpreußischen Landwirte trotz
geringen Barvermögens und vieler Schulden bisher im Staate die Butter
wahrhaftig nicht vom Brote nehmen lassen oder sich durch übertriebne Be¬
scheidenheit etwas vergeben, dann werden sie auch an sozialem Einfluß und
gemeinnütziger Wirksamkeit nicht einbüßen, wenn sie sich in ihrer Wirtschaft
etwas mehr als Mittelstand fühlen.

Die Untersuchungen des Professor Backhaus haben dem Notstandsgeschrei
die Aussichten gründlich verdorben, aber sie haben dem ehrlichen, energischen
/? Streben der ostpreußischen Landwirte umso bessere Aussichten eröffnet.




Die Landwirtschaft im preußischen Vsten

gutsbesitzer möchten ihrem Kapital entsprechend leben und wirtschaften, näher
zu liegen. Es ist ein wahres Unglück, daß der ostdeutsche Landwirt, wenn
er ein Rittergut besitzt, durchaus nicht mehr dem Mittelstande angehören will,
auch wenn er ärmer ist als der Pachter. Im Westen lacht man über diese
Herrlichkeit und führt sehr gut dabei. Wir halten eine Verringerung der Aus¬
dehnung unsrer Großbetriebe, selbst bei gebildeten Besitzern, die nicht bäuerlich
leben, für dringend wünschenswert. Wäre das zu erreichen, so würde viel
gewonnen sein. Künstliche Maßregeln sind dabei gar nichts nütze, am wenigsten
die Schaffung eines kleinern und mittlern, auf die Selbstbewirtschaftnug an¬
gewiesenen Majoratsherrenstands. Gegen die großen, reichen Majorate im
Osten, die viel verschrieenen Latifundien, haben wir weit weniger einzuwenden,
solange sie etwa in der heutigen Ausdehnung bleiben. Professor Backhaus
würde sich unvergleichliche Lorbeeren um die ostpreußischen Landwirte verdienen,
wenn er ihnen das Verständnis und die Gewohnheit dafür anerziehen könnte,
daß die kapitalarmen, stark verschuldeten Gutsbesitzer ebenso anspruchslos wirt¬
schafteten wie Pächter. Dann wird sich ihnen ganz gewiß das zur Hebung der
Produktion nötige Kapital nicht entziehen, und die Vorteile des Eigenbetriebs
brauchten nicht preisgegeben zu werden.

Und kapitalarm und verschuldet sind nun einmal die landwirtschaftlichen
Grundbesitzer des Ostens in hohem Grade. Die Zahlen, die der Verfasser
dafür beibringt, beweisen das — so wenig sie unter sich übereinstimmen und
statistisch wertvoll sind — im großen und ganzen schlagend. Aber was
notorisch ist, braucht keinen Beweis.

Wer soll da helfen, und wie soll geholfen werden? Kapitalgeschenke aus
andrer Leute Taschen darf der Staat ihnen doch nicht zuwenden und sollten
von den Gutsbesitzern am wenigsten verlangt werden. Es giebt nun einmal
reiche und arme Leute in der Welt, und auch reiche und arme Grundeigen¬
tümer im Deutschen Reiche. Haben sich die ostpreußischen Landwirte trotz
geringen Barvermögens und vieler Schulden bisher im Staate die Butter
wahrhaftig nicht vom Brote nehmen lassen oder sich durch übertriebne Be¬
scheidenheit etwas vergeben, dann werden sie auch an sozialem Einfluß und
gemeinnütziger Wirksamkeit nicht einbüßen, wenn sie sich in ihrer Wirtschaft
etwas mehr als Mittelstand fühlen.

Die Untersuchungen des Professor Backhaus haben dem Notstandsgeschrei
die Aussichten gründlich verdorben, aber sie haben dem ehrlichen, energischen
/? Streben der ostpreußischen Landwirte umso bessere Aussichten eröffnet.




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[0144] Die Landwirtschaft im preußischen Vsten gutsbesitzer möchten ihrem Kapital entsprechend leben und wirtschaften, näher zu liegen. Es ist ein wahres Unglück, daß der ostdeutsche Landwirt, wenn er ein Rittergut besitzt, durchaus nicht mehr dem Mittelstande angehören will, auch wenn er ärmer ist als der Pachter. Im Westen lacht man über diese Herrlichkeit und führt sehr gut dabei. Wir halten eine Verringerung der Aus¬ dehnung unsrer Großbetriebe, selbst bei gebildeten Besitzern, die nicht bäuerlich leben, für dringend wünschenswert. Wäre das zu erreichen, so würde viel gewonnen sein. Künstliche Maßregeln sind dabei gar nichts nütze, am wenigsten die Schaffung eines kleinern und mittlern, auf die Selbstbewirtschaftnug an¬ gewiesenen Majoratsherrenstands. Gegen die großen, reichen Majorate im Osten, die viel verschrieenen Latifundien, haben wir weit weniger einzuwenden, solange sie etwa in der heutigen Ausdehnung bleiben. Professor Backhaus würde sich unvergleichliche Lorbeeren um die ostpreußischen Landwirte verdienen, wenn er ihnen das Verständnis und die Gewohnheit dafür anerziehen könnte, daß die kapitalarmen, stark verschuldeten Gutsbesitzer ebenso anspruchslos wirt¬ schafteten wie Pächter. Dann wird sich ihnen ganz gewiß das zur Hebung der Produktion nötige Kapital nicht entziehen, und die Vorteile des Eigenbetriebs brauchten nicht preisgegeben zu werden. Und kapitalarm und verschuldet sind nun einmal die landwirtschaftlichen Grundbesitzer des Ostens in hohem Grade. Die Zahlen, die der Verfasser dafür beibringt, beweisen das — so wenig sie unter sich übereinstimmen und statistisch wertvoll sind — im großen und ganzen schlagend. Aber was notorisch ist, braucht keinen Beweis. Wer soll da helfen, und wie soll geholfen werden? Kapitalgeschenke aus andrer Leute Taschen darf der Staat ihnen doch nicht zuwenden und sollten von den Gutsbesitzern am wenigsten verlangt werden. Es giebt nun einmal reiche und arme Leute in der Welt, und auch reiche und arme Grundeigen¬ tümer im Deutschen Reiche. Haben sich die ostpreußischen Landwirte trotz geringen Barvermögens und vieler Schulden bisher im Staate die Butter wahrhaftig nicht vom Brote nehmen lassen oder sich durch übertriebne Be¬ scheidenheit etwas vergeben, dann werden sie auch an sozialem Einfluß und gemeinnütziger Wirksamkeit nicht einbüßen, wenn sie sich in ihrer Wirtschaft etwas mehr als Mittelstand fühlen. Die Untersuchungen des Professor Backhaus haben dem Notstandsgeschrei die Aussichten gründlich verdorben, aber sie haben dem ehrlichen, energischen /? Streben der ostpreußischen Landwirte umso bessere Aussichten eröffnet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/144>, abgerufen am 12.12.2024.