Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.Der Rede Sinn gesetz durchbricht, ist falsch, denn wir kennen die Naturgesetze nicht vollständig. Ich breche diese Gedankenreihe ab, um mich dem Kapitel über Raum, Der Rede Sinn gesetz durchbricht, ist falsch, denn wir kennen die Naturgesetze nicht vollständig. Ich breche diese Gedankenreihe ab, um mich dem Kapitel über Raum, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0113" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/229061"/> <fw type="header" place="top"> Der Rede Sinn</fw><lb/> <p xml:id="ID_231" prev="#ID_230"> gesetz durchbricht, ist falsch, denn wir kennen die Naturgesetze nicht vollständig.<lb/> Nennt man aber das ein Wunder, was den bis jetzt erkannten Naturgesetzen<lb/> widerspricht, so hat die Leugnung des Wunders keinen Sinn mehr, denn was<lb/> den hente erkannten Gesetzen widerspricht, wird vielleicht später bei tieferer Er¬<lb/> kenntnis keinen Widerspruch mehr erfahren. Es giebt in der Biologie und in<lb/> der Physik Thatsachen genug, denen keine Theorie gerecht geworden ist, die also<lb/> wunderbar erscheinen, und wenn das Wunder ein Ereignis ist, das keinen<lb/> Platz in der Kausalreihe hat. dann muß die Naturwissenschaft nicht bloß die<lb/> Möglichkeit, sondern sogar die Thatsächlichkeit von Wundern zugeben. Die<lb/> Kausalität ist ein Glaubensartikel. Alles, was mathematisch unmöglich ist. ist<lb/> überhaupt unmöglich, und alles, was mathematisch möglich ist, ist überhaupt<lb/> möglich. Der Gegensatz zwischen Wunder und Natur kann sich also nicht auf<lb/> die apodiktische Gewißheit beziehen, sondern er muß sich auf das Gebiet des<lb/> Thatsächlichen gründen. Die Definition müßte also lauten: ein Wunder ist,<lb/> was sich in ähnlicher Weise vorher noch nicht zugetragen hat, oder was<lb/> wenigstens noch nicht beobachtet worden ist. Dann ist aber der ganze Unter¬<lb/> schied hinfällig.</p><lb/> <p xml:id="ID_232" next="#ID_233"> Ich breche diese Gedankenreihe ab, um mich dem Kapitel über Raum,<lb/> Zeit und höhere Dimension zuzuwenden. Die Art, wie sich der Verfasser mit<lb/> der „vierten Dimension" abfindet, hat viel Ansprechendes. Es ist gar nicht<lb/> wahr, daß der Raum drei besondre Dimensionen hat, er ist allseitig ausge¬<lb/> dehnt, es giebt von jedem Punkte aus unendlich viele Richtungen. Der Be¬<lb/> griff der Dimension, sofern darunter etwas andres verstanden wird als die<lb/> allseitige räumliche Ausdehnung, sofern man also von einem eindimensionalen<lb/> linearen, zweidimensionalen ebenen und dreidimensionalen räumlichen System<lb/> spricht, ist nichts weiter als ein brauchbarer wissenschaftlicher Hilfsbegriff.<lb/> die stillschweigende Bestimmung enthält, daß es nur drei Dimensionen<lb/> giebt. Ausdrücke wie vierte Dimension, n-Dimensionen, sind also leere Worte,<lb/> inhaltlose Scheinbegriffe. Es ist ebenfalls falsch, daß nur das Zweidimen¬<lb/> sionale oder Flächenhafte durch unsre räumlichen Sinne. Tahl- und Gesichts¬<lb/> sinn, gegeben, d. i. wirkliche elementare Bewußtseinssache, die dritte Dimension<lb/> ^gegen eine Schlußfolgerung auf Grund der Erfahrung sei (Zöllner). Denn<lb/> die Wahrnehmung einer Flüche ist ohne die dritte Dimension, d. i. volle all¬<lb/> seitige Ausdehnung gar nicht denkbar. Eine Flüche liegt stets in einer Ent¬<lb/> fernung, diese mag unbestimmt sein, aber sie ist nie gleich Null. Durch Er¬<lb/> fahrung erlangen wir nicht die dritte Dimension, sondern nur deren unzwei¬<lb/> deutige Lokalisirung. die Fähigkeit der Entfernungsschützung. Das rst oav<lb/> °U'zige Wahre an dem sogenannten zweidimensionalen Sehen der Kinder, wovon<lb/> unsre Kinderstubenpsychologen soviel Wesens machen. - Raum und Zelt sind<lb/> elementare Bewußtseinsfuuktionen, deren wir uns nie entäußern können, .ln-<lb/> schauungsformen. durch die wir alle Dinge betrachten, und die uns, wie eme</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0113]
Der Rede Sinn
gesetz durchbricht, ist falsch, denn wir kennen die Naturgesetze nicht vollständig.
Nennt man aber das ein Wunder, was den bis jetzt erkannten Naturgesetzen
widerspricht, so hat die Leugnung des Wunders keinen Sinn mehr, denn was
den hente erkannten Gesetzen widerspricht, wird vielleicht später bei tieferer Er¬
kenntnis keinen Widerspruch mehr erfahren. Es giebt in der Biologie und in
der Physik Thatsachen genug, denen keine Theorie gerecht geworden ist, die also
wunderbar erscheinen, und wenn das Wunder ein Ereignis ist, das keinen
Platz in der Kausalreihe hat. dann muß die Naturwissenschaft nicht bloß die
Möglichkeit, sondern sogar die Thatsächlichkeit von Wundern zugeben. Die
Kausalität ist ein Glaubensartikel. Alles, was mathematisch unmöglich ist. ist
überhaupt unmöglich, und alles, was mathematisch möglich ist, ist überhaupt
möglich. Der Gegensatz zwischen Wunder und Natur kann sich also nicht auf
die apodiktische Gewißheit beziehen, sondern er muß sich auf das Gebiet des
Thatsächlichen gründen. Die Definition müßte also lauten: ein Wunder ist,
was sich in ähnlicher Weise vorher noch nicht zugetragen hat, oder was
wenigstens noch nicht beobachtet worden ist. Dann ist aber der ganze Unter¬
schied hinfällig.
Ich breche diese Gedankenreihe ab, um mich dem Kapitel über Raum,
Zeit und höhere Dimension zuzuwenden. Die Art, wie sich der Verfasser mit
der „vierten Dimension" abfindet, hat viel Ansprechendes. Es ist gar nicht
wahr, daß der Raum drei besondre Dimensionen hat, er ist allseitig ausge¬
dehnt, es giebt von jedem Punkte aus unendlich viele Richtungen. Der Be¬
griff der Dimension, sofern darunter etwas andres verstanden wird als die
allseitige räumliche Ausdehnung, sofern man also von einem eindimensionalen
linearen, zweidimensionalen ebenen und dreidimensionalen räumlichen System
spricht, ist nichts weiter als ein brauchbarer wissenschaftlicher Hilfsbegriff.
die stillschweigende Bestimmung enthält, daß es nur drei Dimensionen
giebt. Ausdrücke wie vierte Dimension, n-Dimensionen, sind also leere Worte,
inhaltlose Scheinbegriffe. Es ist ebenfalls falsch, daß nur das Zweidimen¬
sionale oder Flächenhafte durch unsre räumlichen Sinne. Tahl- und Gesichts¬
sinn, gegeben, d. i. wirkliche elementare Bewußtseinssache, die dritte Dimension
^gegen eine Schlußfolgerung auf Grund der Erfahrung sei (Zöllner). Denn
die Wahrnehmung einer Flüche ist ohne die dritte Dimension, d. i. volle all¬
seitige Ausdehnung gar nicht denkbar. Eine Flüche liegt stets in einer Ent¬
fernung, diese mag unbestimmt sein, aber sie ist nie gleich Null. Durch Er¬
fahrung erlangen wir nicht die dritte Dimension, sondern nur deren unzwei¬
deutige Lokalisirung. die Fähigkeit der Entfernungsschützung. Das rst oav
°U'zige Wahre an dem sogenannten zweidimensionalen Sehen der Kinder, wovon
unsre Kinderstubenpsychologen soviel Wesens machen. - Raum und Zelt sind
elementare Bewußtseinsfuuktionen, deren wir uns nie entäußern können, .ln-
schauungsformen. durch die wir alle Dinge betrachten, und die uns, wie eme
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