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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Der japanische Farbenholzschnitt

Das Plakat schreit uns mit seinen grellen Farben, seinen exzentrischen
Kompositionen -- ich habe besonders die gräßlichen, aber allgemein bewunderten
Plakate Cherets im Auge -- von den Straßenecken, von den Litfaßsäulen ent¬
gegen: Da seht, kauft diese Seife, kauft diesen Punschextrakt, kauft diesen Likör!
Ihr sollt und müßt kaufen! Das Plakat muß, wenn es seinen Zweck erfüllen
soll, exzentrisch sein, von den Nachbarplakaten abstechen. Es muß grelle Farben
haben, es muß originell sein, entweder durch seine barocke Übertreibung oder --
durch seine barocke Einfachheit. Und diese Kunstrichtung preist man uns als
die Pforte an, durch die wir in den Tempel der wahren Kunst einziehen sollen!
Man veranstaltet Plakatausstellungen, man hält Vorträge über Plakate, man
publizirt Leitartikel über das Plakatwesen, ja man giebt sogar Plakatzeitschriften
heraus. Nun ist es ja recht gut, daß die Kunst sich auch dieses Zweiges
bemächtigt, daß auch das Plakat künstlerisch ausgestaltet und dadurch unsern
Künstlern Gelegenheit geboten wird, durch Entwerfen von Plataeer Geld zu ver¬
dienen. Aber deu Stil des Plakats, also einen dem kaufmännischen Reklame¬
bedürfnis dienenden Stil als maßgebend für unsre ganze Malerei auszugeben,
das blieb wahrhaftig dem Ende des neunzehnten Jahrhunderts vorbehalten.
Und noch dazu für unsre deutsche Malerei, diese intime, gemütvolle, anspruchs¬
lose deutsche Malerei, die am besten am häuslichen Herd, im stillen Kämmer¬
lein genossen wird, die den intimen Holzschnitt und Kupferstich, die ganze herr¬
liche altdeutsche Kleinkunst hervorgebracht hat! Heiliger Dürer, wie würdest
du dich im Grabe umdrehen, wenn du das hörtest!

Das zweite, was uns an den zitirten Worten befremdet, ist die abfällige
Bemerkung über die Kunst unsrer eignen Vergangenheit. Wenn die letztere
an lebendigem Einfluß hinter dem japanischen Farbenholzschnitt zurückstehen
soll, so kann der Verfasser nach dem ganzen Zusammenhang seines Buches
und nach der Grundanschauung, die es beherrscht, nur die realistische Richtung
der nordischen Malerei meinen, wie sie sich seit dem fünfzehnten Jahrhundert
mit wenigen reaktionären Unterbrechungen bis in die Gegenwart hinein ent¬
wickelt hat. Es will fast scheinen, als ob Seidlitz in dieser Richtung einen
Verfall der Kunst sähe: "Das Bemühen, die Natur treu nachzuahmen, führt von
den eigentlichen Zielen der Kunst ab, indem es den Künstler nur zu leicht
vergessen läßt, daß er der Schöpfer, nicht aber der Abschreiber der Welt ist."
Ein kühner Ausspruch, der ganz an die schönen Tage der idealistischen Philo¬
sophie, der Philosophie des absoluten Geistes erinnert! Ähnliches haben ja
unsre Klassizisten und Romantiker, die auf dem Boden dieser Philosophie
standen, auch schon behauptet. Und wir haben sie früher -- vor etwa zehn
Jahren noch -- tüchtig dafür ausgescholten, daß sie über der Verachtung der
objektiven und ewig gleichen Außenwelt, aus der nun einmal jede Kunst schöpfen
muß, der individuellen Willkür so viel Spielraum gewährt hätten. Auch steht
ja heutzutage wohl kein ernst zu nehmender Philosoph mehr auf dem Stand¬
punkte, daß die reale Außenwelt eine Schöpfung des menschlichen Geistes sei.


Der japanische Farbenholzschnitt

Das Plakat schreit uns mit seinen grellen Farben, seinen exzentrischen
Kompositionen — ich habe besonders die gräßlichen, aber allgemein bewunderten
Plakate Cherets im Auge — von den Straßenecken, von den Litfaßsäulen ent¬
gegen: Da seht, kauft diese Seife, kauft diesen Punschextrakt, kauft diesen Likör!
Ihr sollt und müßt kaufen! Das Plakat muß, wenn es seinen Zweck erfüllen
soll, exzentrisch sein, von den Nachbarplakaten abstechen. Es muß grelle Farben
haben, es muß originell sein, entweder durch seine barocke Übertreibung oder —
durch seine barocke Einfachheit. Und diese Kunstrichtung preist man uns als
die Pforte an, durch die wir in den Tempel der wahren Kunst einziehen sollen!
Man veranstaltet Plakatausstellungen, man hält Vorträge über Plakate, man
publizirt Leitartikel über das Plakatwesen, ja man giebt sogar Plakatzeitschriften
heraus. Nun ist es ja recht gut, daß die Kunst sich auch dieses Zweiges
bemächtigt, daß auch das Plakat künstlerisch ausgestaltet und dadurch unsern
Künstlern Gelegenheit geboten wird, durch Entwerfen von Plataeer Geld zu ver¬
dienen. Aber deu Stil des Plakats, also einen dem kaufmännischen Reklame¬
bedürfnis dienenden Stil als maßgebend für unsre ganze Malerei auszugeben,
das blieb wahrhaftig dem Ende des neunzehnten Jahrhunderts vorbehalten.
Und noch dazu für unsre deutsche Malerei, diese intime, gemütvolle, anspruchs¬
lose deutsche Malerei, die am besten am häuslichen Herd, im stillen Kämmer¬
lein genossen wird, die den intimen Holzschnitt und Kupferstich, die ganze herr¬
liche altdeutsche Kleinkunst hervorgebracht hat! Heiliger Dürer, wie würdest
du dich im Grabe umdrehen, wenn du das hörtest!

Das zweite, was uns an den zitirten Worten befremdet, ist die abfällige
Bemerkung über die Kunst unsrer eignen Vergangenheit. Wenn die letztere
an lebendigem Einfluß hinter dem japanischen Farbenholzschnitt zurückstehen
soll, so kann der Verfasser nach dem ganzen Zusammenhang seines Buches
und nach der Grundanschauung, die es beherrscht, nur die realistische Richtung
der nordischen Malerei meinen, wie sie sich seit dem fünfzehnten Jahrhundert
mit wenigen reaktionären Unterbrechungen bis in die Gegenwart hinein ent¬
wickelt hat. Es will fast scheinen, als ob Seidlitz in dieser Richtung einen
Verfall der Kunst sähe: „Das Bemühen, die Natur treu nachzuahmen, führt von
den eigentlichen Zielen der Kunst ab, indem es den Künstler nur zu leicht
vergessen läßt, daß er der Schöpfer, nicht aber der Abschreiber der Welt ist."
Ein kühner Ausspruch, der ganz an die schönen Tage der idealistischen Philo¬
sophie, der Philosophie des absoluten Geistes erinnert! Ähnliches haben ja
unsre Klassizisten und Romantiker, die auf dem Boden dieser Philosophie
standen, auch schon behauptet. Und wir haben sie früher — vor etwa zehn
Jahren noch — tüchtig dafür ausgescholten, daß sie über der Verachtung der
objektiven und ewig gleichen Außenwelt, aus der nun einmal jede Kunst schöpfen
muß, der individuellen Willkür so viel Spielraum gewährt hätten. Auch steht
ja heutzutage wohl kein ernst zu nehmender Philosoph mehr auf dem Stand¬
punkte, daß die reale Außenwelt eine Schöpfung des menschlichen Geistes sei.


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[0098] Der japanische Farbenholzschnitt Das Plakat schreit uns mit seinen grellen Farben, seinen exzentrischen Kompositionen — ich habe besonders die gräßlichen, aber allgemein bewunderten Plakate Cherets im Auge — von den Straßenecken, von den Litfaßsäulen ent¬ gegen: Da seht, kauft diese Seife, kauft diesen Punschextrakt, kauft diesen Likör! Ihr sollt und müßt kaufen! Das Plakat muß, wenn es seinen Zweck erfüllen soll, exzentrisch sein, von den Nachbarplakaten abstechen. Es muß grelle Farben haben, es muß originell sein, entweder durch seine barocke Übertreibung oder — durch seine barocke Einfachheit. Und diese Kunstrichtung preist man uns als die Pforte an, durch die wir in den Tempel der wahren Kunst einziehen sollen! Man veranstaltet Plakatausstellungen, man hält Vorträge über Plakate, man publizirt Leitartikel über das Plakatwesen, ja man giebt sogar Plakatzeitschriften heraus. Nun ist es ja recht gut, daß die Kunst sich auch dieses Zweiges bemächtigt, daß auch das Plakat künstlerisch ausgestaltet und dadurch unsern Künstlern Gelegenheit geboten wird, durch Entwerfen von Plataeer Geld zu ver¬ dienen. Aber deu Stil des Plakats, also einen dem kaufmännischen Reklame¬ bedürfnis dienenden Stil als maßgebend für unsre ganze Malerei auszugeben, das blieb wahrhaftig dem Ende des neunzehnten Jahrhunderts vorbehalten. Und noch dazu für unsre deutsche Malerei, diese intime, gemütvolle, anspruchs¬ lose deutsche Malerei, die am besten am häuslichen Herd, im stillen Kämmer¬ lein genossen wird, die den intimen Holzschnitt und Kupferstich, die ganze herr¬ liche altdeutsche Kleinkunst hervorgebracht hat! Heiliger Dürer, wie würdest du dich im Grabe umdrehen, wenn du das hörtest! Das zweite, was uns an den zitirten Worten befremdet, ist die abfällige Bemerkung über die Kunst unsrer eignen Vergangenheit. Wenn die letztere an lebendigem Einfluß hinter dem japanischen Farbenholzschnitt zurückstehen soll, so kann der Verfasser nach dem ganzen Zusammenhang seines Buches und nach der Grundanschauung, die es beherrscht, nur die realistische Richtung der nordischen Malerei meinen, wie sie sich seit dem fünfzehnten Jahrhundert mit wenigen reaktionären Unterbrechungen bis in die Gegenwart hinein ent¬ wickelt hat. Es will fast scheinen, als ob Seidlitz in dieser Richtung einen Verfall der Kunst sähe: „Das Bemühen, die Natur treu nachzuahmen, führt von den eigentlichen Zielen der Kunst ab, indem es den Künstler nur zu leicht vergessen läßt, daß er der Schöpfer, nicht aber der Abschreiber der Welt ist." Ein kühner Ausspruch, der ganz an die schönen Tage der idealistischen Philo¬ sophie, der Philosophie des absoluten Geistes erinnert! Ähnliches haben ja unsre Klassizisten und Romantiker, die auf dem Boden dieser Philosophie standen, auch schon behauptet. Und wir haben sie früher — vor etwa zehn Jahren noch — tüchtig dafür ausgescholten, daß sie über der Verachtung der objektiven und ewig gleichen Außenwelt, aus der nun einmal jede Kunst schöpfen muß, der individuellen Willkür so viel Spielraum gewährt hätten. Auch steht ja heutzutage wohl kein ernst zu nehmender Philosoph mehr auf dem Stand¬ punkte, daß die reale Außenwelt eine Schöpfung des menschlichen Geistes sei.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/98>, abgerufen am 01.09.2024.