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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Aus Württemberg

Zuwachses, geschädigt werden würden. Es hat darauf am 5. April zwar auch
seinerseits dem Entwurf in der ihm schließlich gegebnen Gestalt zugestimmt,
damit das Verfassungswerk überhaupt an die erste Kammer hinüber gelange;
es hat aber gleichzeitig ein paar Punkte des Entwurfs als schließlich unan¬
nehmbar bezeichnet, weil sie den Einfluß der meist katholischen Standesherren
schmälern, und außerdem drei Initiativanträge eingebracht, die der Möglichkeit
vorbeugen sollten, daß gewisse, nicht im katholischen Interesse liegende Än¬
derungen des Bestehenden einmal auch von dem Oberhause gutgeheißen würden
und so Gesetzeskraft erlangten. Der erste Antrag ging dahin, in die Verfassung
die Bestimmung aufzunehmen, daß dem Vischos in sämtlichen, höhern wie
niedern, Schulen die Leitung des katholischen Religionsunterrichts, die Aus¬
wahl der Lehrbücher und die Anstellung der Religionslehrer zustehen solle.
Der zweite Antrag verlangte für den Bischof das Recht, nicht bloß Frauen¬
orden (die längst zugelassen sind), sondern auch Münnerorden einzuführen,
und ließ der Negierung nur an evangelischen Orten das Recht, solche Orden
zu verbieten; an überwiegend katholischen Orten sollte der Staat dagegen nur
noch Nein sagen dürfen, falls ihm der Ort mit Rücksicht auf die evangelische
Minderheit "ungeeignet" oder die Zahl der schon bestehenden Ordensnieder¬
lassungen genügend erscheine. Der dritte Antrag endlich bezweckte die Auf¬
nahme eines Paragraphen in die Verfassung, wonach die Volksschulen für Kon¬
fessionsschulen erklärt und damit ausgesprochen werden sollte, daß die Lehrer
derselben Konfession angehören müßten wie die Mehrheit der Schüler.

Der bisherige Rechtszustand, der auf den Gesetzen von 1862 (Regelung
des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat) und 1836 (Volksschulgesetz) beruht,
ist nun der, daß der Staat den katholischen Religionsunterricht ebenso beauf¬
sichtigt wie den Unterricht überhaupt; daß in den Volksschulen die Ortsgeist¬
lichen den Religionsunterricht mit Genehmigung des Staates erteilen, und in
den höhern Schulen die Religionslehrer von ihm bestellt werden. Bezüglich
der Orden kann der Bischof Antrüge an die Negierung stellen, denen der Staat
seine Genehmigung schlechthin versagen kann, ohne daß er an eine Schranke
gebunden wäre; und so sind thatsächlich bisher alle Gesuche des Bischofs um
die Erlaubnis zur Anlegung von Mönchsklöstern abschlägig beschieden worden.
Die Volksschule endlich ist gesetzlich, aber nicht verfassungsmäßig Konfessions¬
schule und steht durchaus, auf allen Stufen, insofern unter geistlicher Aufsicht,
als das evangelische Konsistorium und der katholische Kirchenrat von Staats
wegen auch zu Oberschulbehörden bestellt siud.

Es leuchtet ein, daß die Zentrumsantrüge, obwohl sie als durchaus im
bisherigen Recht begründet hingestellt wurden, doch an allen Punkten über
dieses Recht hinausstreben. Der katholische Religionsunterricht soll zwar formell
unter staatlicher Aufsicht bleiben, aber thatsächlich gänzlich dem Bischof unter¬
stellt werden, der künftig die Staatsschüler lehren lassen kann, was die Kirche


Aus Württemberg

Zuwachses, geschädigt werden würden. Es hat darauf am 5. April zwar auch
seinerseits dem Entwurf in der ihm schließlich gegebnen Gestalt zugestimmt,
damit das Verfassungswerk überhaupt an die erste Kammer hinüber gelange;
es hat aber gleichzeitig ein paar Punkte des Entwurfs als schließlich unan¬
nehmbar bezeichnet, weil sie den Einfluß der meist katholischen Standesherren
schmälern, und außerdem drei Initiativanträge eingebracht, die der Möglichkeit
vorbeugen sollten, daß gewisse, nicht im katholischen Interesse liegende Än¬
derungen des Bestehenden einmal auch von dem Oberhause gutgeheißen würden
und so Gesetzeskraft erlangten. Der erste Antrag ging dahin, in die Verfassung
die Bestimmung aufzunehmen, daß dem Vischos in sämtlichen, höhern wie
niedern, Schulen die Leitung des katholischen Religionsunterrichts, die Aus¬
wahl der Lehrbücher und die Anstellung der Religionslehrer zustehen solle.
Der zweite Antrag verlangte für den Bischof das Recht, nicht bloß Frauen¬
orden (die längst zugelassen sind), sondern auch Münnerorden einzuführen,
und ließ der Negierung nur an evangelischen Orten das Recht, solche Orden
zu verbieten; an überwiegend katholischen Orten sollte der Staat dagegen nur
noch Nein sagen dürfen, falls ihm der Ort mit Rücksicht auf die evangelische
Minderheit „ungeeignet" oder die Zahl der schon bestehenden Ordensnieder¬
lassungen genügend erscheine. Der dritte Antrag endlich bezweckte die Auf¬
nahme eines Paragraphen in die Verfassung, wonach die Volksschulen für Kon¬
fessionsschulen erklärt und damit ausgesprochen werden sollte, daß die Lehrer
derselben Konfession angehören müßten wie die Mehrheit der Schüler.

Der bisherige Rechtszustand, der auf den Gesetzen von 1862 (Regelung
des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat) und 1836 (Volksschulgesetz) beruht,
ist nun der, daß der Staat den katholischen Religionsunterricht ebenso beauf¬
sichtigt wie den Unterricht überhaupt; daß in den Volksschulen die Ortsgeist¬
lichen den Religionsunterricht mit Genehmigung des Staates erteilen, und in
den höhern Schulen die Religionslehrer von ihm bestellt werden. Bezüglich
der Orden kann der Bischof Antrüge an die Negierung stellen, denen der Staat
seine Genehmigung schlechthin versagen kann, ohne daß er an eine Schranke
gebunden wäre; und so sind thatsächlich bisher alle Gesuche des Bischofs um
die Erlaubnis zur Anlegung von Mönchsklöstern abschlägig beschieden worden.
Die Volksschule endlich ist gesetzlich, aber nicht verfassungsmäßig Konfessions¬
schule und steht durchaus, auf allen Stufen, insofern unter geistlicher Aufsicht,
als das evangelische Konsistorium und der katholische Kirchenrat von Staats
wegen auch zu Oberschulbehörden bestellt siud.

Es leuchtet ein, daß die Zentrumsantrüge, obwohl sie als durchaus im
bisherigen Recht begründet hingestellt wurden, doch an allen Punkten über
dieses Recht hinausstreben. Der katholische Religionsunterricht soll zwar formell
unter staatlicher Aufsicht bleiben, aber thatsächlich gänzlich dem Bischof unter¬
stellt werden, der künftig die Staatsschüler lehren lassen kann, was die Kirche


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[0076] Aus Württemberg Zuwachses, geschädigt werden würden. Es hat darauf am 5. April zwar auch seinerseits dem Entwurf in der ihm schließlich gegebnen Gestalt zugestimmt, damit das Verfassungswerk überhaupt an die erste Kammer hinüber gelange; es hat aber gleichzeitig ein paar Punkte des Entwurfs als schließlich unan¬ nehmbar bezeichnet, weil sie den Einfluß der meist katholischen Standesherren schmälern, und außerdem drei Initiativanträge eingebracht, die der Möglichkeit vorbeugen sollten, daß gewisse, nicht im katholischen Interesse liegende Än¬ derungen des Bestehenden einmal auch von dem Oberhause gutgeheißen würden und so Gesetzeskraft erlangten. Der erste Antrag ging dahin, in die Verfassung die Bestimmung aufzunehmen, daß dem Vischos in sämtlichen, höhern wie niedern, Schulen die Leitung des katholischen Religionsunterrichts, die Aus¬ wahl der Lehrbücher und die Anstellung der Religionslehrer zustehen solle. Der zweite Antrag verlangte für den Bischof das Recht, nicht bloß Frauen¬ orden (die längst zugelassen sind), sondern auch Münnerorden einzuführen, und ließ der Negierung nur an evangelischen Orten das Recht, solche Orden zu verbieten; an überwiegend katholischen Orten sollte der Staat dagegen nur noch Nein sagen dürfen, falls ihm der Ort mit Rücksicht auf die evangelische Minderheit „ungeeignet" oder die Zahl der schon bestehenden Ordensnieder¬ lassungen genügend erscheine. Der dritte Antrag endlich bezweckte die Auf¬ nahme eines Paragraphen in die Verfassung, wonach die Volksschulen für Kon¬ fessionsschulen erklärt und damit ausgesprochen werden sollte, daß die Lehrer derselben Konfession angehören müßten wie die Mehrheit der Schüler. Der bisherige Rechtszustand, der auf den Gesetzen von 1862 (Regelung des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat) und 1836 (Volksschulgesetz) beruht, ist nun der, daß der Staat den katholischen Religionsunterricht ebenso beauf¬ sichtigt wie den Unterricht überhaupt; daß in den Volksschulen die Ortsgeist¬ lichen den Religionsunterricht mit Genehmigung des Staates erteilen, und in den höhern Schulen die Religionslehrer von ihm bestellt werden. Bezüglich der Orden kann der Bischof Antrüge an die Negierung stellen, denen der Staat seine Genehmigung schlechthin versagen kann, ohne daß er an eine Schranke gebunden wäre; und so sind thatsächlich bisher alle Gesuche des Bischofs um die Erlaubnis zur Anlegung von Mönchsklöstern abschlägig beschieden worden. Die Volksschule endlich ist gesetzlich, aber nicht verfassungsmäßig Konfessions¬ schule und steht durchaus, auf allen Stufen, insofern unter geistlicher Aufsicht, als das evangelische Konsistorium und der katholische Kirchenrat von Staats wegen auch zu Oberschulbehörden bestellt siud. Es leuchtet ein, daß die Zentrumsantrüge, obwohl sie als durchaus im bisherigen Recht begründet hingestellt wurden, doch an allen Punkten über dieses Recht hinausstreben. Der katholische Religionsunterricht soll zwar formell unter staatlicher Aufsicht bleiben, aber thatsächlich gänzlich dem Bischof unter¬ stellt werden, der künftig die Staatsschüler lehren lassen kann, was die Kirche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/76>, abgerufen am 28.07.2024.