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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Die Sozialdemokratie im Beamtentum

Wohlwollen und persönlichem Interesse bei den höhern Beamten die Haupt¬
schuld an der zunehmenden Unzufriedenheit trügt, und daß es auf die Hebung
dieses Mangels bei einer ersprießlichen Reform vor allem ankommt. Die
subalterne Lieblosigkeit, die selbst viel mehr dnrch Angstmeierei als durch Ge¬
fühlsroheit erzeugt wird, aber den gerügten Fehler der höhern Beamten jetzt
in gewaltigen Progressionen steigert, wird nur dann, aber dann auch sofort
weichen, wenn die Herren der höhern Rangklassen ihr Verhalten ändern, d. h.
auf gut deutsch gesagt, ihrem ganz unberechtigten, lächerlichen, verletzenden
Standes- und Rangesdünkel entsagen. Zuerst gilt das natürlich von dem in
Preußen besonders konservirten Juristendünkel, aber auch von dem ihm nicht
um ein Haar nachstehenden Dünkel der akademisch diplomirten Ingenieure und
Baumeister. Man spricht und schreibt heute so viel über die Vorbildung der
höhern Verwaltungsbeamten in Preußen. Es ist zum Erschrecken, wie die
verwahrloste Erziehung zur richtigen Behandlung der Untergebnen selbst in
den Reformporschlägen verwahrlost wird. Die jungen Herren im Osten
werden geradezu dazu erzogen, durch ihre Manieren, selbst in der Herab¬
lassung, die Verbitterung der untern Beamten herauszufordern. Von dem
geringsten eigenen Verständnis und Interesse dafür, wie es in den Herzen
und Köpfen der subaltern- und Unterbeamten aussieht, was sie bedrückt und
erfreut, wie sie leben, und was sie für sich und für ihre Kinder erstreben und
hoffen, ist bei diesen Herren, in der Verwaltung wie in der Justiz keine Rede.
Die ganze Kunst der Behandlung besteht in Überhebung und Unnahbarkeit. Wir
erinnern uns eines altpreußischen Hauptmanns aus vornehmer Adelsfamilie,
der von seinem Nekrntenosfizicr vier Wochen nach der Einstellung der jungen
Mannschaften als selbstverständlich die Kenntnis der Familienverhültnisse usw.
jedes Einzelnen voraussetzte. Der Offizier müsse sich für alles interessiren,
was den Mann angehe, den er ausbilden wolle, und der ihm vertrauensvoll
gehorchen solle. Das war natürlich vor 1870; aber es wäre zu wünschen,
daß alle, die höhere Vorgesetzte werden wollen, im Zivildienst wie in der
Armee, auch jetzt noch die Schule dieses Hauptmanns und wahrhaft vornehmen
Edelmanns durchmachen müßten. Sie würden dann einen Begriff davon be¬
kommen, was das persönliche Wohlwollen für eine Riesenmacht ist, wo immer
es gilt, die Disziplin zu erhalten oder wieder zu befestigen.

Nun ist allerdings zuzugeben, daß manche von Natur nicht dazu angelegt
sind, deu Untergebnen überhaupt näher zu treten, daß ihnen der Blick fehlt
für andrer Leute Interessen, namentlich solcher der andern Bildungsgrade.
Für sie aber sind doch immer noch Plätze genug im Staate vorhanden, wo
sie nicht schaden können. Die Ausnahmen, in denen leitende Beamte patriar¬
chalisch im besten Sinne des Worts den Untergebnen gegenüber ihres Amtes
walten, sind selten geworden, aber sie lehren deutlich, was damit auch heute
noch erreicht wird, und daß wir nichts unmögliches verlangen.


Die Sozialdemokratie im Beamtentum

Wohlwollen und persönlichem Interesse bei den höhern Beamten die Haupt¬
schuld an der zunehmenden Unzufriedenheit trügt, und daß es auf die Hebung
dieses Mangels bei einer ersprießlichen Reform vor allem ankommt. Die
subalterne Lieblosigkeit, die selbst viel mehr dnrch Angstmeierei als durch Ge¬
fühlsroheit erzeugt wird, aber den gerügten Fehler der höhern Beamten jetzt
in gewaltigen Progressionen steigert, wird nur dann, aber dann auch sofort
weichen, wenn die Herren der höhern Rangklassen ihr Verhalten ändern, d. h.
auf gut deutsch gesagt, ihrem ganz unberechtigten, lächerlichen, verletzenden
Standes- und Rangesdünkel entsagen. Zuerst gilt das natürlich von dem in
Preußen besonders konservirten Juristendünkel, aber auch von dem ihm nicht
um ein Haar nachstehenden Dünkel der akademisch diplomirten Ingenieure und
Baumeister. Man spricht und schreibt heute so viel über die Vorbildung der
höhern Verwaltungsbeamten in Preußen. Es ist zum Erschrecken, wie die
verwahrloste Erziehung zur richtigen Behandlung der Untergebnen selbst in
den Reformporschlägen verwahrlost wird. Die jungen Herren im Osten
werden geradezu dazu erzogen, durch ihre Manieren, selbst in der Herab¬
lassung, die Verbitterung der untern Beamten herauszufordern. Von dem
geringsten eigenen Verständnis und Interesse dafür, wie es in den Herzen
und Köpfen der subaltern- und Unterbeamten aussieht, was sie bedrückt und
erfreut, wie sie leben, und was sie für sich und für ihre Kinder erstreben und
hoffen, ist bei diesen Herren, in der Verwaltung wie in der Justiz keine Rede.
Die ganze Kunst der Behandlung besteht in Überhebung und Unnahbarkeit. Wir
erinnern uns eines altpreußischen Hauptmanns aus vornehmer Adelsfamilie,
der von seinem Nekrntenosfizicr vier Wochen nach der Einstellung der jungen
Mannschaften als selbstverständlich die Kenntnis der Familienverhültnisse usw.
jedes Einzelnen voraussetzte. Der Offizier müsse sich für alles interessiren,
was den Mann angehe, den er ausbilden wolle, und der ihm vertrauensvoll
gehorchen solle. Das war natürlich vor 1870; aber es wäre zu wünschen,
daß alle, die höhere Vorgesetzte werden wollen, im Zivildienst wie in der
Armee, auch jetzt noch die Schule dieses Hauptmanns und wahrhaft vornehmen
Edelmanns durchmachen müßten. Sie würden dann einen Begriff davon be¬
kommen, was das persönliche Wohlwollen für eine Riesenmacht ist, wo immer
es gilt, die Disziplin zu erhalten oder wieder zu befestigen.

Nun ist allerdings zuzugeben, daß manche von Natur nicht dazu angelegt
sind, deu Untergebnen überhaupt näher zu treten, daß ihnen der Blick fehlt
für andrer Leute Interessen, namentlich solcher der andern Bildungsgrade.
Für sie aber sind doch immer noch Plätze genug im Staate vorhanden, wo
sie nicht schaden können. Die Ausnahmen, in denen leitende Beamte patriar¬
chalisch im besten Sinne des Worts den Untergebnen gegenüber ihres Amtes
walten, sind selten geworden, aber sie lehren deutlich, was damit auch heute
noch erreicht wird, und daß wir nichts unmögliches verlangen.


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[0072] Die Sozialdemokratie im Beamtentum Wohlwollen und persönlichem Interesse bei den höhern Beamten die Haupt¬ schuld an der zunehmenden Unzufriedenheit trügt, und daß es auf die Hebung dieses Mangels bei einer ersprießlichen Reform vor allem ankommt. Die subalterne Lieblosigkeit, die selbst viel mehr dnrch Angstmeierei als durch Ge¬ fühlsroheit erzeugt wird, aber den gerügten Fehler der höhern Beamten jetzt in gewaltigen Progressionen steigert, wird nur dann, aber dann auch sofort weichen, wenn die Herren der höhern Rangklassen ihr Verhalten ändern, d. h. auf gut deutsch gesagt, ihrem ganz unberechtigten, lächerlichen, verletzenden Standes- und Rangesdünkel entsagen. Zuerst gilt das natürlich von dem in Preußen besonders konservirten Juristendünkel, aber auch von dem ihm nicht um ein Haar nachstehenden Dünkel der akademisch diplomirten Ingenieure und Baumeister. Man spricht und schreibt heute so viel über die Vorbildung der höhern Verwaltungsbeamten in Preußen. Es ist zum Erschrecken, wie die verwahrloste Erziehung zur richtigen Behandlung der Untergebnen selbst in den Reformporschlägen verwahrlost wird. Die jungen Herren im Osten werden geradezu dazu erzogen, durch ihre Manieren, selbst in der Herab¬ lassung, die Verbitterung der untern Beamten herauszufordern. Von dem geringsten eigenen Verständnis und Interesse dafür, wie es in den Herzen und Köpfen der subaltern- und Unterbeamten aussieht, was sie bedrückt und erfreut, wie sie leben, und was sie für sich und für ihre Kinder erstreben und hoffen, ist bei diesen Herren, in der Verwaltung wie in der Justiz keine Rede. Die ganze Kunst der Behandlung besteht in Überhebung und Unnahbarkeit. Wir erinnern uns eines altpreußischen Hauptmanns aus vornehmer Adelsfamilie, der von seinem Nekrntenosfizicr vier Wochen nach der Einstellung der jungen Mannschaften als selbstverständlich die Kenntnis der Familienverhültnisse usw. jedes Einzelnen voraussetzte. Der Offizier müsse sich für alles interessiren, was den Mann angehe, den er ausbilden wolle, und der ihm vertrauensvoll gehorchen solle. Das war natürlich vor 1870; aber es wäre zu wünschen, daß alle, die höhere Vorgesetzte werden wollen, im Zivildienst wie in der Armee, auch jetzt noch die Schule dieses Hauptmanns und wahrhaft vornehmen Edelmanns durchmachen müßten. Sie würden dann einen Begriff davon be¬ kommen, was das persönliche Wohlwollen für eine Riesenmacht ist, wo immer es gilt, die Disziplin zu erhalten oder wieder zu befestigen. Nun ist allerdings zuzugeben, daß manche von Natur nicht dazu angelegt sind, deu Untergebnen überhaupt näher zu treten, daß ihnen der Blick fehlt für andrer Leute Interessen, namentlich solcher der andern Bildungsgrade. Für sie aber sind doch immer noch Plätze genug im Staate vorhanden, wo sie nicht schaden können. Die Ausnahmen, in denen leitende Beamte patriar¬ chalisch im besten Sinne des Worts den Untergebnen gegenüber ihres Amtes walten, sind selten geworden, aber sie lehren deutlich, was damit auch heute noch erreicht wird, und daß wir nichts unmögliches verlangen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/72>, abgerufen am 27.07.2024.