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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Below gegen Lamprecht

aus der Sprachwissenschaft oder der Kirchengeschichte bringt -- es ist immer
dasselbe Lied mit der fatalen Dissonanz. Das folgende Beispiel sei nur noch
wörtlich angeführt, damit der Leser sich selbst, ohne ein Wort unsrerseits, dah-
in den vorhergehenden Abschnitten dargelegte bestätigt.

Süßmilch hatte im achtzehnten Jahrhundert noch die Meinung vorgetragen,
daß die Sprache ein von Gott deu Menschen fertig gegebnes Geschenk sei. Man
sah sie als ein starres, ein für allemal fertiges Instrument an, das die Grammatik
beschreibt.*) Allein "die geschichtliche Betrachtungsweise, die sich um die Wende
des achtzehnten Jahrhunderts unter dein Einfluß des großen und allgemeinen Rück¬
schlags gegen den starren Rationalismus erhob, und der auf dem Gebiete der
Sprachforschung durch Männer wie W. v. Humboldt, Bopp, die beideu Grimm
die Bahn gebrochen worden ist,""*) hat gelehrt, daß eine allmähliche Entwicklung
und Umbildung der Sprachformen stattgefunden hat.

Wir sehen nun ab von der Bedeutung des Wortes Entwicklung in allen
diesen Beispielen und werfen noch einen Blick auf Belows Zitirmcthode.
Scheint er nicht zu glauben, daß man eine neue wissenschaftliche Ansicht
dadurch abthun könne, daß man möglichst viele Zungen die alte Ansicht wieder¬
holen läßt?

Below schließt seinen verunglückten Abschnitt über den Begriff der Ent¬
wicklung mit dem Hinweis darauf, daß Lamprecht auf die Erinnerung von
Buchholz, die Geschichtswissenschaft sei seit Herder "entwickelnd" thätig, mit
einem ausführlichen Aufsatz über Herder geantwortet habe, aus dem man nichts
neues habe lernen können.***) Er knüpft daran die Verallgemeinerung, über¬
haupt sei Lamprecht auf gewisse Punkte erst nachträglich eingegangen. "Wir
haben das eigentümliche Schauspiel vor uns, daß zuerst die Phrase da ist,
und daß ihr erst im Laufe der Zeit etwas Inhalt gegeben wird." Das ist
eine ebensolche Umdrehung der Wahrheit zum Schlüsse des Abschnitts wie die
zu Anfang. Wer sich die Mühe genommen hat, Lamprechts Deutsche Geschichte
zu verstehen, kannte Lamprechts Anschauungen und Methode und ihren Ab¬
stand von der ältern Geschichtswissenschaft, ehe der theoretische Streit aus¬
brach. Lamprecht ist sich darüber aber wohl mindestens ebenso klar gewesen
wie seine Leser.

Kritik, Präzision, Penetration hat Ranke vom Historiker gefordert. Below
wirft Lamprecht vor, daß ihm diese Eigenschaften abgingen. Hat sie Below
etwa gezeigt, indem er über den Begriff der Entwicklung gegen Lamprecht
schrieb? Er mißversteht seinen Gegner, mißversteht seine eignen Quellen, führt





Vgl. L,s "deskriptives Verfahren" -- merkt Below um, ebenso verkehrt wie in der
vorigen Anmerkung, Sprachgeschichte haben wir seit' jener Zeit bekommen, aber nur be¬
schreibende, nicht evolutionistische,
Zitat uns Paniscus Einleitung in die Philosophie, Belows Quelle für die Geschichte
der Sprachwissenschaft.
--) Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 1807.
Below gegen Lamprecht

aus der Sprachwissenschaft oder der Kirchengeschichte bringt — es ist immer
dasselbe Lied mit der fatalen Dissonanz. Das folgende Beispiel sei nur noch
wörtlich angeführt, damit der Leser sich selbst, ohne ein Wort unsrerseits, dah-
in den vorhergehenden Abschnitten dargelegte bestätigt.

Süßmilch hatte im achtzehnten Jahrhundert noch die Meinung vorgetragen,
daß die Sprache ein von Gott deu Menschen fertig gegebnes Geschenk sei. Man
sah sie als ein starres, ein für allemal fertiges Instrument an, das die Grammatik
beschreibt.*) Allein „die geschichtliche Betrachtungsweise, die sich um die Wende
des achtzehnten Jahrhunderts unter dein Einfluß des großen und allgemeinen Rück¬
schlags gegen den starren Rationalismus erhob, und der auf dem Gebiete der
Sprachforschung durch Männer wie W. v. Humboldt, Bopp, die beideu Grimm
die Bahn gebrochen worden ist,""*) hat gelehrt, daß eine allmähliche Entwicklung
und Umbildung der Sprachformen stattgefunden hat.

Wir sehen nun ab von der Bedeutung des Wortes Entwicklung in allen
diesen Beispielen und werfen noch einen Blick auf Belows Zitirmcthode.
Scheint er nicht zu glauben, daß man eine neue wissenschaftliche Ansicht
dadurch abthun könne, daß man möglichst viele Zungen die alte Ansicht wieder¬
holen läßt?

Below schließt seinen verunglückten Abschnitt über den Begriff der Ent¬
wicklung mit dem Hinweis darauf, daß Lamprecht auf die Erinnerung von
Buchholz, die Geschichtswissenschaft sei seit Herder „entwickelnd" thätig, mit
einem ausführlichen Aufsatz über Herder geantwortet habe, aus dem man nichts
neues habe lernen können.***) Er knüpft daran die Verallgemeinerung, über¬
haupt sei Lamprecht auf gewisse Punkte erst nachträglich eingegangen. „Wir
haben das eigentümliche Schauspiel vor uns, daß zuerst die Phrase da ist,
und daß ihr erst im Laufe der Zeit etwas Inhalt gegeben wird." Das ist
eine ebensolche Umdrehung der Wahrheit zum Schlüsse des Abschnitts wie die
zu Anfang. Wer sich die Mühe genommen hat, Lamprechts Deutsche Geschichte
zu verstehen, kannte Lamprechts Anschauungen und Methode und ihren Ab¬
stand von der ältern Geschichtswissenschaft, ehe der theoretische Streit aus¬
brach. Lamprecht ist sich darüber aber wohl mindestens ebenso klar gewesen
wie seine Leser.

Kritik, Präzision, Penetration hat Ranke vom Historiker gefordert. Below
wirft Lamprecht vor, daß ihm diese Eigenschaften abgingen. Hat sie Below
etwa gezeigt, indem er über den Begriff der Entwicklung gegen Lamprecht
schrieb? Er mißversteht seinen Gegner, mißversteht seine eignen Quellen, führt





Vgl. L,s „deskriptives Verfahren" — merkt Below um, ebenso verkehrt wie in der
vorigen Anmerkung, Sprachgeschichte haben wir seit' jener Zeit bekommen, aber nur be¬
schreibende, nicht evolutionistische,
Zitat uns Paniscus Einleitung in die Philosophie, Belows Quelle für die Geschichte
der Sprachwissenschaft.
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[0628] Below gegen Lamprecht aus der Sprachwissenschaft oder der Kirchengeschichte bringt — es ist immer dasselbe Lied mit der fatalen Dissonanz. Das folgende Beispiel sei nur noch wörtlich angeführt, damit der Leser sich selbst, ohne ein Wort unsrerseits, dah- in den vorhergehenden Abschnitten dargelegte bestätigt. Süßmilch hatte im achtzehnten Jahrhundert noch die Meinung vorgetragen, daß die Sprache ein von Gott deu Menschen fertig gegebnes Geschenk sei. Man sah sie als ein starres, ein für allemal fertiges Instrument an, das die Grammatik beschreibt.*) Allein „die geschichtliche Betrachtungsweise, die sich um die Wende des achtzehnten Jahrhunderts unter dein Einfluß des großen und allgemeinen Rück¬ schlags gegen den starren Rationalismus erhob, und der auf dem Gebiete der Sprachforschung durch Männer wie W. v. Humboldt, Bopp, die beideu Grimm die Bahn gebrochen worden ist,""*) hat gelehrt, daß eine allmähliche Entwicklung und Umbildung der Sprachformen stattgefunden hat. Wir sehen nun ab von der Bedeutung des Wortes Entwicklung in allen diesen Beispielen und werfen noch einen Blick auf Belows Zitirmcthode. Scheint er nicht zu glauben, daß man eine neue wissenschaftliche Ansicht dadurch abthun könne, daß man möglichst viele Zungen die alte Ansicht wieder¬ holen läßt? Below schließt seinen verunglückten Abschnitt über den Begriff der Ent¬ wicklung mit dem Hinweis darauf, daß Lamprecht auf die Erinnerung von Buchholz, die Geschichtswissenschaft sei seit Herder „entwickelnd" thätig, mit einem ausführlichen Aufsatz über Herder geantwortet habe, aus dem man nichts neues habe lernen können.***) Er knüpft daran die Verallgemeinerung, über¬ haupt sei Lamprecht auf gewisse Punkte erst nachträglich eingegangen. „Wir haben das eigentümliche Schauspiel vor uns, daß zuerst die Phrase da ist, und daß ihr erst im Laufe der Zeit etwas Inhalt gegeben wird." Das ist eine ebensolche Umdrehung der Wahrheit zum Schlüsse des Abschnitts wie die zu Anfang. Wer sich die Mühe genommen hat, Lamprechts Deutsche Geschichte zu verstehen, kannte Lamprechts Anschauungen und Methode und ihren Ab¬ stand von der ältern Geschichtswissenschaft, ehe der theoretische Streit aus¬ brach. Lamprecht ist sich darüber aber wohl mindestens ebenso klar gewesen wie seine Leser. Kritik, Präzision, Penetration hat Ranke vom Historiker gefordert. Below wirft Lamprecht vor, daß ihm diese Eigenschaften abgingen. Hat sie Below etwa gezeigt, indem er über den Begriff der Entwicklung gegen Lamprecht schrieb? Er mißversteht seinen Gegner, mißversteht seine eignen Quellen, führt Vgl. L,s „deskriptives Verfahren" — merkt Below um, ebenso verkehrt wie in der vorigen Anmerkung, Sprachgeschichte haben wir seit' jener Zeit bekommen, aber nur be¬ schreibende, nicht evolutionistische, Zitat uns Paniscus Einleitung in die Philosophie, Belows Quelle für die Geschichte der Sprachwissenschaft. —) Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 1807.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/628>, abgerufen am 27.07.2024.