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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Der deutsche Boden und die deutsche Geschichte

Süden erlittnen Verluste wenigstens zum Teil ausglich. Brandenburg griff
jetzt von dem die großen ostelbischen Thalwege beherrschenden Gebiet zwischen
Elbe und Oder nach Osten und an die Ostsee hinüber, zugleich aber bereitete
es durch die Ausbreitung nach der Altmark die Verbindung mit dem Nord¬
westen vor. Von dem weitesten Wachstum nach Osten (1795) bis zum Bug
wieder zurückgedrängt, ist Preußen immer noch fast zu zwei Dritteilen ostelbisch.

Preußens Entwicklung wird nun ein Aufsammeln staatenbildender Kräfte in
dem geschichtlich jüngsten, die größten Möglichkeiten räumlicher Ausbreitung
noch in sich bergenden Nordosten Deutschlands und ein Zurückwirken dieser
durch Jahrhunderte zusammengefaßten Kräfte nach Westen und nach Süden. Im
Innern Deutschlands zeigt sich dabei die große herehnische Gebirgsschranke
wieder als eine natürliche Grenze zwischen der neuen norddeutschen Tiefland¬
macht und dem Süden. Aber auch in diesem Falle durchbricht der Rhein
diese Abgrenzung, und schon die Demarkationslinie von 1795 zeigt, wie Süd¬
deutschland durch die Flankcnstellung Erfurt-Saarlouis gedeckt wird. Später
läßt das System der Bundesfestungen, die Erwerbung Hohenzollerns, die
Militärkonvention mit Baden und endlich die Zurückerwerbung des Elsasses
und Lothringens Preußen im Rheingebiet tief in den Süden eindringen, wie
es im Odergebiet schon früher bis zu den äußersten alten Grenzen des Reichs
vordringend den Süden von Osten her umfaßt hatte. Diese Wege bereiteten
ihm die beiden am weitesten gegen den mitteleuropäischen Gebirgswall süd¬
wärts vordringenden Tiefländer am Rhein und an der Oder, von denen
das letzte trotz seiner südlichen Lage nach Norddeutschland gravitirt, mit dem
es durch den allmählichen Übergang Schlesiens ins norddeutsche Tiefland
und durch das Flußgeflecht der Spree zwischen Elbe und Oder verbunden ist,
während zwischen Schlesien und Süddeutschland Böhmen wie ein Keil ein¬
dringt. Dergestalt trennt Böhmen nicht bloß den Südwesten vom Südosten,
sondern drängt den Südosten dem Norden zu: eine weitere Ursache der
Schwäche Süddeutschlands gegenüber Norddeutschland und des Ganges der
Neugestaltung Deutschlands von Norden her durch Preußen von dem Augen¬
blick an, wo Preußen alle die Vorteile des norddeutschen Tieflandes samt
dessen südwestlichen und südöstlichen Ausläufern kräftig zusammenfaßte und zur
Geltung brachte.




Der deutsche Boden und die deutsche Geschichte

Süden erlittnen Verluste wenigstens zum Teil ausglich. Brandenburg griff
jetzt von dem die großen ostelbischen Thalwege beherrschenden Gebiet zwischen
Elbe und Oder nach Osten und an die Ostsee hinüber, zugleich aber bereitete
es durch die Ausbreitung nach der Altmark die Verbindung mit dem Nord¬
westen vor. Von dem weitesten Wachstum nach Osten (1795) bis zum Bug
wieder zurückgedrängt, ist Preußen immer noch fast zu zwei Dritteilen ostelbisch.

Preußens Entwicklung wird nun ein Aufsammeln staatenbildender Kräfte in
dem geschichtlich jüngsten, die größten Möglichkeiten räumlicher Ausbreitung
noch in sich bergenden Nordosten Deutschlands und ein Zurückwirken dieser
durch Jahrhunderte zusammengefaßten Kräfte nach Westen und nach Süden. Im
Innern Deutschlands zeigt sich dabei die große herehnische Gebirgsschranke
wieder als eine natürliche Grenze zwischen der neuen norddeutschen Tiefland¬
macht und dem Süden. Aber auch in diesem Falle durchbricht der Rhein
diese Abgrenzung, und schon die Demarkationslinie von 1795 zeigt, wie Süd¬
deutschland durch die Flankcnstellung Erfurt-Saarlouis gedeckt wird. Später
läßt das System der Bundesfestungen, die Erwerbung Hohenzollerns, die
Militärkonvention mit Baden und endlich die Zurückerwerbung des Elsasses
und Lothringens Preußen im Rheingebiet tief in den Süden eindringen, wie
es im Odergebiet schon früher bis zu den äußersten alten Grenzen des Reichs
vordringend den Süden von Osten her umfaßt hatte. Diese Wege bereiteten
ihm die beiden am weitesten gegen den mitteleuropäischen Gebirgswall süd¬
wärts vordringenden Tiefländer am Rhein und an der Oder, von denen
das letzte trotz seiner südlichen Lage nach Norddeutschland gravitirt, mit dem
es durch den allmählichen Übergang Schlesiens ins norddeutsche Tiefland
und durch das Flußgeflecht der Spree zwischen Elbe und Oder verbunden ist,
während zwischen Schlesien und Süddeutschland Böhmen wie ein Keil ein¬
dringt. Dergestalt trennt Böhmen nicht bloß den Südwesten vom Südosten,
sondern drängt den Südosten dem Norden zu: eine weitere Ursache der
Schwäche Süddeutschlands gegenüber Norddeutschland und des Ganges der
Neugestaltung Deutschlands von Norden her durch Preußen von dem Augen¬
blick an, wo Preußen alle die Vorteile des norddeutschen Tieflandes samt
dessen südwestlichen und südöstlichen Ausläufern kräftig zusammenfaßte und zur
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[0608] Der deutsche Boden und die deutsche Geschichte Süden erlittnen Verluste wenigstens zum Teil ausglich. Brandenburg griff jetzt von dem die großen ostelbischen Thalwege beherrschenden Gebiet zwischen Elbe und Oder nach Osten und an die Ostsee hinüber, zugleich aber bereitete es durch die Ausbreitung nach der Altmark die Verbindung mit dem Nord¬ westen vor. Von dem weitesten Wachstum nach Osten (1795) bis zum Bug wieder zurückgedrängt, ist Preußen immer noch fast zu zwei Dritteilen ostelbisch. Preußens Entwicklung wird nun ein Aufsammeln staatenbildender Kräfte in dem geschichtlich jüngsten, die größten Möglichkeiten räumlicher Ausbreitung noch in sich bergenden Nordosten Deutschlands und ein Zurückwirken dieser durch Jahrhunderte zusammengefaßten Kräfte nach Westen und nach Süden. Im Innern Deutschlands zeigt sich dabei die große herehnische Gebirgsschranke wieder als eine natürliche Grenze zwischen der neuen norddeutschen Tiefland¬ macht und dem Süden. Aber auch in diesem Falle durchbricht der Rhein diese Abgrenzung, und schon die Demarkationslinie von 1795 zeigt, wie Süd¬ deutschland durch die Flankcnstellung Erfurt-Saarlouis gedeckt wird. Später läßt das System der Bundesfestungen, die Erwerbung Hohenzollerns, die Militärkonvention mit Baden und endlich die Zurückerwerbung des Elsasses und Lothringens Preußen im Rheingebiet tief in den Süden eindringen, wie es im Odergebiet schon früher bis zu den äußersten alten Grenzen des Reichs vordringend den Süden von Osten her umfaßt hatte. Diese Wege bereiteten ihm die beiden am weitesten gegen den mitteleuropäischen Gebirgswall süd¬ wärts vordringenden Tiefländer am Rhein und an der Oder, von denen das letzte trotz seiner südlichen Lage nach Norddeutschland gravitirt, mit dem es durch den allmählichen Übergang Schlesiens ins norddeutsche Tiefland und durch das Flußgeflecht der Spree zwischen Elbe und Oder verbunden ist, während zwischen Schlesien und Süddeutschland Böhmen wie ein Keil ein¬ dringt. Dergestalt trennt Böhmen nicht bloß den Südwesten vom Südosten, sondern drängt den Südosten dem Norden zu: eine weitere Ursache der Schwäche Süddeutschlands gegenüber Norddeutschland und des Ganges der Neugestaltung Deutschlands von Norden her durch Preußen von dem Augen¬ blick an, wo Preußen alle die Vorteile des norddeutschen Tieflandes samt dessen südwestlichen und südöstlichen Ausläufern kräftig zusammenfaßte und zur Geltung brachte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/608>, abgerufen am 27.07.2024.