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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Was ist uns Anatolien?

Die anatolische Ballgesellschaft hat denn anch auf Landkonzessionen nahezu
vollständig verzichtet und Garantien vorgezogen. Trotzdem zeigt sie ein ge¬
wisses Interesse an der Steigerung der Urproduktion. Wie schon erwähnt
worden ist, will sie die Bauern durch Belehrung und materielle Unterstützung
zu einer mehr europäischen Wirtschaftsweise bringen in der Hoffnung, daß
irgendwann einmal sich diese Wohlthaten in einer Steigerung der Verkehrs-
cinnahmen belohnen werden. Das scheint mir mehr menschenfreundlich als
kaufmännisch gedacht. Sie thäte vielleicht besser, sich selbst an der Urproduktion
zu beteiligen. Bei uns in Deutschland steht der Grundwert zu hoch, nachdem
die Getreidepreise so andauernd gefallen sind: da müssen Vermögen verloren
gehen. Hier in Anatolien sind die Getreidepreise plötzlich bedeutend gehoben
worden, und das Land ist noch billig, weil es reichlich zu haben ist: da
müssen Vermögen zu gewinnen sein. Es ist die Bahnunternehmung gewesen,
die den Getreidepreis in die Höhe gebracht hat. Will sie sich nicht am Gewinn
beteiligen, sür den sie doch die Opfer gebracht hat? Sie hat, ohne sich vor
politischen Gefahren zu fürchten, in diesem Lande viele Millionen verbaut, die
erst in Jahrzehnten als flüssiges Kapital wiederkehren werden. So kann sie
es auch wagen, eine halbe Million in landwirtschaftlichen Unternehmungen
festzulegen; denn diese kommt schon nach wenigen Jahren vollständig in ihre
Hand zurück.

Sollte die Kompagnie zögern, so finden sich vielleicht andre Finanzleute,
die einmal einen Versuch machen wollen. Am Bodenwert ist nichts zu verlieren.
Denn das Land ist billig und wird im Werte steigen."') Kostspielige Gebäude
sind in diesem Lande weniger nötig als bei uns. Was man ins Geschäft
steckt, bleibt leicht bewegliches Kapital und kommt schon nach einigen Ernten
wieder heraus. Gegen die Unzuverlässigkeit der Grundbücher und die Ver¬
worrenheit der Vesitzverhältnisse, die dem kleinen Manne so gefährlich sind,
würden sich größere Unternehmungen wohl schützen können. Es muß nur als
Grundsatz gelten, daß so wenig Kapital als möglich in den Boden gesteckt
wird dnrch große Kanalanlagen, Bewässerungen und Häuserbcmten, wodurch



Ein kleines Gut vor Eskischehir war, als ich dort war, zum Preise von sechzig Mark
der Hektar käuflich. Unbenutzte Stnntslnndcreien, die in großen Flachen vorhanden sind,
mußten eigentlich umsonst zu haben sein, weil der Staat von ihnen erst, wenn sie benutzt
werden, den Zehnten haben kann. Sechzig Mark sür den Hektar kann man im Innern als
eine An Maximalpreis ansehen. Aber wie beim orientalischen Aazargcschäft sür jedes Stück
Baumwolle der Preis erst durch langes Feilschen bis auf die Hälfte hinunter festgestellt wird,
so sind gewiß erst recht die Gütcrpreise in diesem Lande sehr unbestimmt. Der Europäer wird
leicht zu viel zahlen. Die große Waffe des Orientalen ist die Verzögerung. Weil er niemals
etwas will, so hat er Zeit, und weil wir immer etwas wollen, so haben nur Eile. Damit
sind wir schon im Nachteil, besonders wenn nur es uns merken lassen. Ist der Europäer erst
du der Arbeit, so ist er der stärkere, weil es dem Orientalen Mühe löste" würde, ihn wieder
davon zu bringen.
Grenzboten lit 18W 75
Was ist uns Anatolien?

Die anatolische Ballgesellschaft hat denn anch auf Landkonzessionen nahezu
vollständig verzichtet und Garantien vorgezogen. Trotzdem zeigt sie ein ge¬
wisses Interesse an der Steigerung der Urproduktion. Wie schon erwähnt
worden ist, will sie die Bauern durch Belehrung und materielle Unterstützung
zu einer mehr europäischen Wirtschaftsweise bringen in der Hoffnung, daß
irgendwann einmal sich diese Wohlthaten in einer Steigerung der Verkehrs-
cinnahmen belohnen werden. Das scheint mir mehr menschenfreundlich als
kaufmännisch gedacht. Sie thäte vielleicht besser, sich selbst an der Urproduktion
zu beteiligen. Bei uns in Deutschland steht der Grundwert zu hoch, nachdem
die Getreidepreise so andauernd gefallen sind: da müssen Vermögen verloren
gehen. Hier in Anatolien sind die Getreidepreise plötzlich bedeutend gehoben
worden, und das Land ist noch billig, weil es reichlich zu haben ist: da
müssen Vermögen zu gewinnen sein. Es ist die Bahnunternehmung gewesen,
die den Getreidepreis in die Höhe gebracht hat. Will sie sich nicht am Gewinn
beteiligen, sür den sie doch die Opfer gebracht hat? Sie hat, ohne sich vor
politischen Gefahren zu fürchten, in diesem Lande viele Millionen verbaut, die
erst in Jahrzehnten als flüssiges Kapital wiederkehren werden. So kann sie
es auch wagen, eine halbe Million in landwirtschaftlichen Unternehmungen
festzulegen; denn diese kommt schon nach wenigen Jahren vollständig in ihre
Hand zurück.

Sollte die Kompagnie zögern, so finden sich vielleicht andre Finanzleute,
die einmal einen Versuch machen wollen. Am Bodenwert ist nichts zu verlieren.
Denn das Land ist billig und wird im Werte steigen."') Kostspielige Gebäude
sind in diesem Lande weniger nötig als bei uns. Was man ins Geschäft
steckt, bleibt leicht bewegliches Kapital und kommt schon nach einigen Ernten
wieder heraus. Gegen die Unzuverlässigkeit der Grundbücher und die Ver¬
worrenheit der Vesitzverhältnisse, die dem kleinen Manne so gefährlich sind,
würden sich größere Unternehmungen wohl schützen können. Es muß nur als
Grundsatz gelten, daß so wenig Kapital als möglich in den Boden gesteckt
wird dnrch große Kanalanlagen, Bewässerungen und Häuserbcmten, wodurch



Ein kleines Gut vor Eskischehir war, als ich dort war, zum Preise von sechzig Mark
der Hektar käuflich. Unbenutzte Stnntslnndcreien, die in großen Flachen vorhanden sind,
mußten eigentlich umsonst zu haben sein, weil der Staat von ihnen erst, wenn sie benutzt
werden, den Zehnten haben kann. Sechzig Mark sür den Hektar kann man im Innern als
eine An Maximalpreis ansehen. Aber wie beim orientalischen Aazargcschäft sür jedes Stück
Baumwolle der Preis erst durch langes Feilschen bis auf die Hälfte hinunter festgestellt wird,
so sind gewiß erst recht die Gütcrpreise in diesem Lande sehr unbestimmt. Der Europäer wird
leicht zu viel zahlen. Die große Waffe des Orientalen ist die Verzögerung. Weil er niemals
etwas will, so hat er Zeit, und weil wir immer etwas wollen, so haben nur Eile. Damit
sind wir schon im Nachteil, besonders wenn nur es uns merken lassen. Ist der Europäer erst
du der Arbeit, so ist er der stärkere, weil es dem Orientalen Mühe löste» würde, ihn wieder
davon zu bringen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/597>, abgerufen am 28.07.2024.