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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Die Gedichte Michelangelos

Freunde gewidmete Sonette erinnert- Es sind Liebesgedichte in den herkömm¬
lichen Formen der italienischen Lyrik, in die er aber seine eignen Gedanken,
Künstlergedanken von fremdartiger Größe gießt, eingekleidet in Bilder von
Platonischen Gepräge.

Während er noch diesem Kultus des männlich Schönen huldigt, für den
sich auch in seinen Kunstschöpfungen Analogien finden, tritt ihm Vittoria Co-
lonna nahe, und für ein Jahrzehnt nimmt sie einen breiten, wenn auch nicht
ausschließlichen Raum in seinem dichterischen Schaffen ein. Auch jetzt em¬
pfindet er die Liebe als eine überirdische Macht, die ihm Kunde aus einer
jenseitigen Welt bringt. Gedichte, die die Macht des Gottes Amor über sein
Herz bezeugen, ziehen sich aber auch nach dem Tode der Vittoria Colonna bis
in sein hohes Greisenalter. Er ist, wie er selbst sagt, niemals ohne Liebe
gewesen, und wir erkennen in diesem Eros, der ihn sein ganzes Leben hin¬
durch beherrscht, nichts andres als die durch einzelne schöne Gestalten und
Persönlichkeiten erweckte Leidenschaft für die Schönheit, die die Leuchte seiner
Kunst, seines Lebensberufes ist. Der Eros ist für ihn, echt platonisch, der
Inbegriff der begeisterten Empfindungen, die durch die irdischen Abbilder des
Ewigen in der empfänglichen Seele geweckt werden. Doch dies ist nicht das
letzte Ziel, worin der Ruhelose Befriedigung findet. Von Natur für religiöse
Stimmungen empfänglich, und unter dem Einfluß von Krankheit und Mühsal,
Alter und Todesruhe beginnt er an seinem künstlerischen Ideal irre zu werden,
ein heftiger Widerstreit entspinnt sich zwischen der Macht der Gewohnheit und
einem tiefern Seelenverlangen, zwischen Gott Amor und dem am Kreuze, und
wenn wir seinen Gedichten Glauben schenken, hat zuletzt das religiöse Be¬
dürfnis die Übermacht und den Sieg davongetragen. Der Greis beklagt den
Glauben an die Kunst als eine Verirrung, als Götzendienst und wirft sich
reuevoll dem Gekreuzigten in die Arme.

Nicht für jedes einzelne Gedicht werden wir uns anmaßen dürfen, eine
bestimmte Beziehung festzustellen. Aber doch hat man eine hinreichende Zahl
deutlich redender, charakteristischer Zeugnisse, die ein annäherndes Bild von
den Leidenschaften des großen Meisters, seiner psychischen Welt und der Ent¬
wicklung seines Innenlebens erlauben, und die außerordentliche Arbeit von
Karl Frey erlaubt jetzt, die Grundzüge dieser Entwicklung mit größerer Sicher¬
heit festzustellen. In das Innerste zu schauen, dazu reichen auch die Gedichte
acht aus. Je mehr man sich mit ihnen beschäftigt, um so behutsamer wird
das Urteil werden. Manches bleibt dunkel und unsicher. Über die Jugend¬
jahre Michelangelos wissen wir gar nichts, und was ist das letzte Wort seiner
von Varchi gepriesenen "Liebeskunst"? Haben wir den Amor richtig gedeutet,
der ihn bis ins hohe Greisenalter verfolgt? Wo ist die Grenzlinie zwischen
wirklicher Empfindung und Nachahmung des Zeitgeschmacks oder spielender
Kunstübung? Was ist bei ihm persönliches Erlebnis, was der Anteil einer


Die Gedichte Michelangelos

Freunde gewidmete Sonette erinnert- Es sind Liebesgedichte in den herkömm¬
lichen Formen der italienischen Lyrik, in die er aber seine eignen Gedanken,
Künstlergedanken von fremdartiger Größe gießt, eingekleidet in Bilder von
Platonischen Gepräge.

Während er noch diesem Kultus des männlich Schönen huldigt, für den
sich auch in seinen Kunstschöpfungen Analogien finden, tritt ihm Vittoria Co-
lonna nahe, und für ein Jahrzehnt nimmt sie einen breiten, wenn auch nicht
ausschließlichen Raum in seinem dichterischen Schaffen ein. Auch jetzt em¬
pfindet er die Liebe als eine überirdische Macht, die ihm Kunde aus einer
jenseitigen Welt bringt. Gedichte, die die Macht des Gottes Amor über sein
Herz bezeugen, ziehen sich aber auch nach dem Tode der Vittoria Colonna bis
in sein hohes Greisenalter. Er ist, wie er selbst sagt, niemals ohne Liebe
gewesen, und wir erkennen in diesem Eros, der ihn sein ganzes Leben hin¬
durch beherrscht, nichts andres als die durch einzelne schöne Gestalten und
Persönlichkeiten erweckte Leidenschaft für die Schönheit, die die Leuchte seiner
Kunst, seines Lebensberufes ist. Der Eros ist für ihn, echt platonisch, der
Inbegriff der begeisterten Empfindungen, die durch die irdischen Abbilder des
Ewigen in der empfänglichen Seele geweckt werden. Doch dies ist nicht das
letzte Ziel, worin der Ruhelose Befriedigung findet. Von Natur für religiöse
Stimmungen empfänglich, und unter dem Einfluß von Krankheit und Mühsal,
Alter und Todesruhe beginnt er an seinem künstlerischen Ideal irre zu werden,
ein heftiger Widerstreit entspinnt sich zwischen der Macht der Gewohnheit und
einem tiefern Seelenverlangen, zwischen Gott Amor und dem am Kreuze, und
wenn wir seinen Gedichten Glauben schenken, hat zuletzt das religiöse Be¬
dürfnis die Übermacht und den Sieg davongetragen. Der Greis beklagt den
Glauben an die Kunst als eine Verirrung, als Götzendienst und wirft sich
reuevoll dem Gekreuzigten in die Arme.

Nicht für jedes einzelne Gedicht werden wir uns anmaßen dürfen, eine
bestimmte Beziehung festzustellen. Aber doch hat man eine hinreichende Zahl
deutlich redender, charakteristischer Zeugnisse, die ein annäherndes Bild von
den Leidenschaften des großen Meisters, seiner psychischen Welt und der Ent¬
wicklung seines Innenlebens erlauben, und die außerordentliche Arbeit von
Karl Frey erlaubt jetzt, die Grundzüge dieser Entwicklung mit größerer Sicher¬
heit festzustellen. In das Innerste zu schauen, dazu reichen auch die Gedichte
acht aus. Je mehr man sich mit ihnen beschäftigt, um so behutsamer wird
das Urteil werden. Manches bleibt dunkel und unsicher. Über die Jugend¬
jahre Michelangelos wissen wir gar nichts, und was ist das letzte Wort seiner
von Varchi gepriesenen „Liebeskunst"? Haben wir den Amor richtig gedeutet,
der ihn bis ins hohe Greisenalter verfolgt? Wo ist die Grenzlinie zwischen
wirklicher Empfindung und Nachahmung des Zeitgeschmacks oder spielender
Kunstübung? Was ist bei ihm persönliches Erlebnis, was der Anteil einer


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[0575] Die Gedichte Michelangelos Freunde gewidmete Sonette erinnert- Es sind Liebesgedichte in den herkömm¬ lichen Formen der italienischen Lyrik, in die er aber seine eignen Gedanken, Künstlergedanken von fremdartiger Größe gießt, eingekleidet in Bilder von Platonischen Gepräge. Während er noch diesem Kultus des männlich Schönen huldigt, für den sich auch in seinen Kunstschöpfungen Analogien finden, tritt ihm Vittoria Co- lonna nahe, und für ein Jahrzehnt nimmt sie einen breiten, wenn auch nicht ausschließlichen Raum in seinem dichterischen Schaffen ein. Auch jetzt em¬ pfindet er die Liebe als eine überirdische Macht, die ihm Kunde aus einer jenseitigen Welt bringt. Gedichte, die die Macht des Gottes Amor über sein Herz bezeugen, ziehen sich aber auch nach dem Tode der Vittoria Colonna bis in sein hohes Greisenalter. Er ist, wie er selbst sagt, niemals ohne Liebe gewesen, und wir erkennen in diesem Eros, der ihn sein ganzes Leben hin¬ durch beherrscht, nichts andres als die durch einzelne schöne Gestalten und Persönlichkeiten erweckte Leidenschaft für die Schönheit, die die Leuchte seiner Kunst, seines Lebensberufes ist. Der Eros ist für ihn, echt platonisch, der Inbegriff der begeisterten Empfindungen, die durch die irdischen Abbilder des Ewigen in der empfänglichen Seele geweckt werden. Doch dies ist nicht das letzte Ziel, worin der Ruhelose Befriedigung findet. Von Natur für religiöse Stimmungen empfänglich, und unter dem Einfluß von Krankheit und Mühsal, Alter und Todesruhe beginnt er an seinem künstlerischen Ideal irre zu werden, ein heftiger Widerstreit entspinnt sich zwischen der Macht der Gewohnheit und einem tiefern Seelenverlangen, zwischen Gott Amor und dem am Kreuze, und wenn wir seinen Gedichten Glauben schenken, hat zuletzt das religiöse Be¬ dürfnis die Übermacht und den Sieg davongetragen. Der Greis beklagt den Glauben an die Kunst als eine Verirrung, als Götzendienst und wirft sich reuevoll dem Gekreuzigten in die Arme. Nicht für jedes einzelne Gedicht werden wir uns anmaßen dürfen, eine bestimmte Beziehung festzustellen. Aber doch hat man eine hinreichende Zahl deutlich redender, charakteristischer Zeugnisse, die ein annäherndes Bild von den Leidenschaften des großen Meisters, seiner psychischen Welt und der Ent¬ wicklung seines Innenlebens erlauben, und die außerordentliche Arbeit von Karl Frey erlaubt jetzt, die Grundzüge dieser Entwicklung mit größerer Sicher¬ heit festzustellen. In das Innerste zu schauen, dazu reichen auch die Gedichte acht aus. Je mehr man sich mit ihnen beschäftigt, um so behutsamer wird das Urteil werden. Manches bleibt dunkel und unsicher. Über die Jugend¬ jahre Michelangelos wissen wir gar nichts, und was ist das letzte Wort seiner von Varchi gepriesenen „Liebeskunst"? Haben wir den Amor richtig gedeutet, der ihn bis ins hohe Greisenalter verfolgt? Wo ist die Grenzlinie zwischen wirklicher Empfindung und Nachahmung des Zeitgeschmacks oder spielender Kunstübung? Was ist bei ihm persönliches Erlebnis, was der Anteil einer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/575>, abgerufen am 28.07.2024.