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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Die Upanischads

schaft ziemt, sehen wir Paulus, den ersten und erfolgreichsten Verbreiter des
Christentums, von Leidenschaft glühen. Das Christentum hat also den euro¬
päischen Geist keineswegs orientalisirt, sondern ihm seine Lebenskraft, seinen
Lebensmut und seine Lebensfreudigkeit gelassen, wenn auch die starke Betonung
des Jenseits und der Nichtigkeit des Diesseits manchen Trübsinnigen zur Welt¬
flucht verlockt und manchen Furchtsamen hineinscheucht, und wenn auch zugleich
mit dem Christentum manche orientalischen Ideen, namentlich indische und per¬
sische, zu uns gelangt sind. Aber selbst das katholische Mönchs- und Asketen-
tum trägt doch bei aller äußerlichen Ähnlichkeit einen andern Charakter als
das indische. Die Zahl der Orden, die sich ausschließlich der Beschaulichkeit
und Askese widmen und sich der Welt auf keine Weise nützlich zu machen
suchen, ist gering, und sie haben wenig Mitglieder; und selbst deren Thun
und Treiben unterscheidet sich von dem ihrer indischen Brüder noch durch
den oben hervorgehobnen positiven Gemütsinhalt der christlichen Liebe und
Hoffnung.

Den Sanskritgelehrten nehmen wir die Überschätzung ihres Gegenstandes
nicht übel. Ohne einen übertrieben hohen Begriff von seiner Wichtigkeit
würden sie ihm das aufopfernde Studium nicht widmen, das zu seiner Be¬
zwingung erforderlich ist; auch Deußens Buch darf als ein Wunder deutschen
Gelehrtenfleißes bezeichnet werden. Und dankbar muß man diesen Männern
für ihren Fleiß sein, denn es gehört doch eben zur Vollständigkeit unsrer
europäischen Bildung, daß uns ein so merkwürdiges und in vieler Beziehung
lehrreiches Gebiet des menschlichen Geisteslebens nicht unbekannt bleibe. Auch
können diese Bücher, mit Verstand genossen, einen heilsamen Einfluß auf
Gemüt und Charakter üben, indem der Heroismus der Entsagung, von dem
sie erzählen, auch unsrer thätigen Nasse weder als eine ganz überflüssige noch
als eine verächtliche Tugend gelten darf, und die Zartheit und Feinheit der
Empfindung, die aus diesen alten Schriften spricht, ganz geeignet ist, uns
vielfach zu beschämen, die wir nur allzuleicht über dem Lärm, der Geschäftigkeit
und dem bunten Flitter eines ganz verweltlichten und veräußerlichten Treibens
die Pflege der feinern Seelenblüten vernachlässigen und dann unsre Herzens¬
roheit unter glatten und seinen Umgangsformen verbergen. Also wir schätzen
die Leistungen der Durchforscher der indischen Litteratur, aber ihre Aufforde¬
rung, uns zu Brahma oder zu Buddha zu bekehren, müssen wir ablehnen.




Die Upanischads

schaft ziemt, sehen wir Paulus, den ersten und erfolgreichsten Verbreiter des
Christentums, von Leidenschaft glühen. Das Christentum hat also den euro¬
päischen Geist keineswegs orientalisirt, sondern ihm seine Lebenskraft, seinen
Lebensmut und seine Lebensfreudigkeit gelassen, wenn auch die starke Betonung
des Jenseits und der Nichtigkeit des Diesseits manchen Trübsinnigen zur Welt¬
flucht verlockt und manchen Furchtsamen hineinscheucht, und wenn auch zugleich
mit dem Christentum manche orientalischen Ideen, namentlich indische und per¬
sische, zu uns gelangt sind. Aber selbst das katholische Mönchs- und Asketen-
tum trägt doch bei aller äußerlichen Ähnlichkeit einen andern Charakter als
das indische. Die Zahl der Orden, die sich ausschließlich der Beschaulichkeit
und Askese widmen und sich der Welt auf keine Weise nützlich zu machen
suchen, ist gering, und sie haben wenig Mitglieder; und selbst deren Thun
und Treiben unterscheidet sich von dem ihrer indischen Brüder noch durch
den oben hervorgehobnen positiven Gemütsinhalt der christlichen Liebe und
Hoffnung.

Den Sanskritgelehrten nehmen wir die Überschätzung ihres Gegenstandes
nicht übel. Ohne einen übertrieben hohen Begriff von seiner Wichtigkeit
würden sie ihm das aufopfernde Studium nicht widmen, das zu seiner Be¬
zwingung erforderlich ist; auch Deußens Buch darf als ein Wunder deutschen
Gelehrtenfleißes bezeichnet werden. Und dankbar muß man diesen Männern
für ihren Fleiß sein, denn es gehört doch eben zur Vollständigkeit unsrer
europäischen Bildung, daß uns ein so merkwürdiges und in vieler Beziehung
lehrreiches Gebiet des menschlichen Geisteslebens nicht unbekannt bleibe. Auch
können diese Bücher, mit Verstand genossen, einen heilsamen Einfluß auf
Gemüt und Charakter üben, indem der Heroismus der Entsagung, von dem
sie erzählen, auch unsrer thätigen Nasse weder als eine ganz überflüssige noch
als eine verächtliche Tugend gelten darf, und die Zartheit und Feinheit der
Empfindung, die aus diesen alten Schriften spricht, ganz geeignet ist, uns
vielfach zu beschämen, die wir nur allzuleicht über dem Lärm, der Geschäftigkeit
und dem bunten Flitter eines ganz verweltlichten und veräußerlichten Treibens
die Pflege der feinern Seelenblüten vernachlässigen und dann unsre Herzens¬
roheit unter glatten und seinen Umgangsformen verbergen. Also wir schätzen
die Leistungen der Durchforscher der indischen Litteratur, aber ihre Aufforde¬
rung, uns zu Brahma oder zu Buddha zu bekehren, müssen wir ablehnen.




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[0566] Die Upanischads schaft ziemt, sehen wir Paulus, den ersten und erfolgreichsten Verbreiter des Christentums, von Leidenschaft glühen. Das Christentum hat also den euro¬ päischen Geist keineswegs orientalisirt, sondern ihm seine Lebenskraft, seinen Lebensmut und seine Lebensfreudigkeit gelassen, wenn auch die starke Betonung des Jenseits und der Nichtigkeit des Diesseits manchen Trübsinnigen zur Welt¬ flucht verlockt und manchen Furchtsamen hineinscheucht, und wenn auch zugleich mit dem Christentum manche orientalischen Ideen, namentlich indische und per¬ sische, zu uns gelangt sind. Aber selbst das katholische Mönchs- und Asketen- tum trägt doch bei aller äußerlichen Ähnlichkeit einen andern Charakter als das indische. Die Zahl der Orden, die sich ausschließlich der Beschaulichkeit und Askese widmen und sich der Welt auf keine Weise nützlich zu machen suchen, ist gering, und sie haben wenig Mitglieder; und selbst deren Thun und Treiben unterscheidet sich von dem ihrer indischen Brüder noch durch den oben hervorgehobnen positiven Gemütsinhalt der christlichen Liebe und Hoffnung. Den Sanskritgelehrten nehmen wir die Überschätzung ihres Gegenstandes nicht übel. Ohne einen übertrieben hohen Begriff von seiner Wichtigkeit würden sie ihm das aufopfernde Studium nicht widmen, das zu seiner Be¬ zwingung erforderlich ist; auch Deußens Buch darf als ein Wunder deutschen Gelehrtenfleißes bezeichnet werden. Und dankbar muß man diesen Männern für ihren Fleiß sein, denn es gehört doch eben zur Vollständigkeit unsrer europäischen Bildung, daß uns ein so merkwürdiges und in vieler Beziehung lehrreiches Gebiet des menschlichen Geisteslebens nicht unbekannt bleibe. Auch können diese Bücher, mit Verstand genossen, einen heilsamen Einfluß auf Gemüt und Charakter üben, indem der Heroismus der Entsagung, von dem sie erzählen, auch unsrer thätigen Nasse weder als eine ganz überflüssige noch als eine verächtliche Tugend gelten darf, und die Zartheit und Feinheit der Empfindung, die aus diesen alten Schriften spricht, ganz geeignet ist, uns vielfach zu beschämen, die wir nur allzuleicht über dem Lärm, der Geschäftigkeit und dem bunten Flitter eines ganz verweltlichten und veräußerlichten Treibens die Pflege der feinern Seelenblüten vernachlässigen und dann unsre Herzens¬ roheit unter glatten und seinen Umgangsformen verbergen. Also wir schätzen die Leistungen der Durchforscher der indischen Litteratur, aber ihre Aufforde¬ rung, uns zu Brahma oder zu Buddha zu bekehren, müssen wir ablehnen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/566>, abgerufen am 27.07.2024.