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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Ebenbürtigkeit

Immerhin dürfte nicht zu verkennen sein, daß in den außerdeutschen Mo¬
narchien, außer in Nußland, wo schon ein sehr strenges Hausgesetz besteht, die
Frage der Ebenbürtigkeit einer zu schließenden Ehe und der Suceessionsfähig-
keit der etwaigen Nachkommenschaft zur Zeit noch mehr den Charakter einer
von Fall zu Fall zu prüfenden Frage hat, über die lediglich das Familien¬
oberhaupt entscheidet, während in den regierenden Familien Deutschlands zwar
einerseits die Genehmigung des Oberhaupts erforderlich ist, andrerseits dieses
sich über bestehende gemeinrechtliche oder hausrechtliche Normen nicht hinweg¬
setzen kann. Daß sich in den großen regierenden Familien Deutschlands schon
jetzt die Rechtsüberzeugung gebildet hat, es sei zur Erzielung einer thronfolge-
sähigen Nachkommenschaft eine Eheschließung mit einer Dame aus regierenden
Hause erforderlich, ist ganz zweifellos. Man denke nur an das preußische
Königshaus und das österreichische Kaiserhaus. Und diese Meinung wird sich
zu einer ooriununis opinio der regierenden christlichen Häuser Europas durch¬
ringen und somit völkerrechtlichen Charakter annehmen.

Das schließt nicht aus, daß, um das regierende Haus vor dem Aus¬
sterben zu bewahren, die Nachkommen einer an sich unebenbürtiger Ehe durch
Landesgesetz, aber wohlgemerkt, unter Zustimmung aller Agnaten, zur Thron¬
folge berufen werden. So ist es früher in Baden, so jüngst in Schwarzburg
geschehen. Daß seinerzeit in Baden (1819) die Zustimmung der Großmächte
Nußland, Österreich, England und Preußen für nötig gehalten wurde, ist nur
ein Beweis dafür, daß schon im Anfange des neunzehnten Jahrhunderts die
Ebenbürtigkeitsfragen einen völkerrechtlichen Charakter anzunehmen begannen.

Daß aber eine derartige, alles bisherige an Strenge übertreffende Eben¬
bürtigkeitsbeschränkung ebenso zum Heile der monarchischen Familien wie der
Staaten und der Unterthanen sein würde, haben die frühern Betrachtungen
ergeben. Diese Überzeugung dürfte auch nicht zum wenigsten der Beweggrund
des Mannes gewesen sein, der sich den ersten Diener des Staates nannte, das
am Anfang dieser Abhandlung mitgeteilte Schreiben an den Kaiser des heiligen
römischen Reichs deutscher Nation zu richten.




Ebenbürtigkeit

Immerhin dürfte nicht zu verkennen sein, daß in den außerdeutschen Mo¬
narchien, außer in Nußland, wo schon ein sehr strenges Hausgesetz besteht, die
Frage der Ebenbürtigkeit einer zu schließenden Ehe und der Suceessionsfähig-
keit der etwaigen Nachkommenschaft zur Zeit noch mehr den Charakter einer
von Fall zu Fall zu prüfenden Frage hat, über die lediglich das Familien¬
oberhaupt entscheidet, während in den regierenden Familien Deutschlands zwar
einerseits die Genehmigung des Oberhaupts erforderlich ist, andrerseits dieses
sich über bestehende gemeinrechtliche oder hausrechtliche Normen nicht hinweg¬
setzen kann. Daß sich in den großen regierenden Familien Deutschlands schon
jetzt die Rechtsüberzeugung gebildet hat, es sei zur Erzielung einer thronfolge-
sähigen Nachkommenschaft eine Eheschließung mit einer Dame aus regierenden
Hause erforderlich, ist ganz zweifellos. Man denke nur an das preußische
Königshaus und das österreichische Kaiserhaus. Und diese Meinung wird sich
zu einer ooriununis opinio der regierenden christlichen Häuser Europas durch¬
ringen und somit völkerrechtlichen Charakter annehmen.

Das schließt nicht aus, daß, um das regierende Haus vor dem Aus¬
sterben zu bewahren, die Nachkommen einer an sich unebenbürtiger Ehe durch
Landesgesetz, aber wohlgemerkt, unter Zustimmung aller Agnaten, zur Thron¬
folge berufen werden. So ist es früher in Baden, so jüngst in Schwarzburg
geschehen. Daß seinerzeit in Baden (1819) die Zustimmung der Großmächte
Nußland, Österreich, England und Preußen für nötig gehalten wurde, ist nur
ein Beweis dafür, daß schon im Anfange des neunzehnten Jahrhunderts die
Ebenbürtigkeitsfragen einen völkerrechtlichen Charakter anzunehmen begannen.

Daß aber eine derartige, alles bisherige an Strenge übertreffende Eben¬
bürtigkeitsbeschränkung ebenso zum Heile der monarchischen Familien wie der
Staaten und der Unterthanen sein würde, haben die frühern Betrachtungen
ergeben. Diese Überzeugung dürfte auch nicht zum wenigsten der Beweggrund
des Mannes gewesen sein, der sich den ersten Diener des Staates nannte, das
am Anfang dieser Abhandlung mitgeteilte Schreiben an den Kaiser des heiligen
römischen Reichs deutscher Nation zu richten.




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[0555] Ebenbürtigkeit Immerhin dürfte nicht zu verkennen sein, daß in den außerdeutschen Mo¬ narchien, außer in Nußland, wo schon ein sehr strenges Hausgesetz besteht, die Frage der Ebenbürtigkeit einer zu schließenden Ehe und der Suceessionsfähig- keit der etwaigen Nachkommenschaft zur Zeit noch mehr den Charakter einer von Fall zu Fall zu prüfenden Frage hat, über die lediglich das Familien¬ oberhaupt entscheidet, während in den regierenden Familien Deutschlands zwar einerseits die Genehmigung des Oberhaupts erforderlich ist, andrerseits dieses sich über bestehende gemeinrechtliche oder hausrechtliche Normen nicht hinweg¬ setzen kann. Daß sich in den großen regierenden Familien Deutschlands schon jetzt die Rechtsüberzeugung gebildet hat, es sei zur Erzielung einer thronfolge- sähigen Nachkommenschaft eine Eheschließung mit einer Dame aus regierenden Hause erforderlich, ist ganz zweifellos. Man denke nur an das preußische Königshaus und das österreichische Kaiserhaus. Und diese Meinung wird sich zu einer ooriununis opinio der regierenden christlichen Häuser Europas durch¬ ringen und somit völkerrechtlichen Charakter annehmen. Das schließt nicht aus, daß, um das regierende Haus vor dem Aus¬ sterben zu bewahren, die Nachkommen einer an sich unebenbürtiger Ehe durch Landesgesetz, aber wohlgemerkt, unter Zustimmung aller Agnaten, zur Thron¬ folge berufen werden. So ist es früher in Baden, so jüngst in Schwarzburg geschehen. Daß seinerzeit in Baden (1819) die Zustimmung der Großmächte Nußland, Österreich, England und Preußen für nötig gehalten wurde, ist nur ein Beweis dafür, daß schon im Anfange des neunzehnten Jahrhunderts die Ebenbürtigkeitsfragen einen völkerrechtlichen Charakter anzunehmen begannen. Daß aber eine derartige, alles bisherige an Strenge übertreffende Eben¬ bürtigkeitsbeschränkung ebenso zum Heile der monarchischen Familien wie der Staaten und der Unterthanen sein würde, haben die frühern Betrachtungen ergeben. Diese Überzeugung dürfte auch nicht zum wenigsten der Beweggrund des Mannes gewesen sein, der sich den ersten Diener des Staates nannte, das am Anfang dieser Abhandlung mitgeteilte Schreiben an den Kaiser des heiligen römischen Reichs deutscher Nation zu richten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/555>, abgerufen am 01.09.2024.