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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Ebenbürtigkeit

Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß im neunzehnten Jahrhundert
die Klassen- oder Gradesunterschiede zwischen altfürstlichen und neufürstlichen
oder gar altreichsgräflichen und neureichsgräflichen Häusern dem Gefühle der
gesunden Mehrheit des Volks ebenso fremd sind, wie der Gedanke, daß die
Unterschiede in der bloßen Titulatur zwischen dem einfachen Edelmann, dem
Freiherrn, dem Grafen, dem Titularfürsten und Titularherzog in irgend einer
Richtung sollen erheblich sein können. Das geht so weit, daß die Volks¬
menge es nicht begreifen kann, daß alte Rechtsnormen, die an das Vorhanden¬
sein eines bestimmten Adelsgrades rechtliche Folgen knüpfen, bis in das Ende
des neunzehnten Jahrhunderts hinein ihre Wirksamkeit äußern können. Dieser
Irrtum beruht auf einem in die Augen springenden Denkfehler, aber das
diesen Denkfehler veranlassende Gefühl ist unzweifelhaft richtig. Für einen
andern thatsächlichen und sehr greifbaren Unterschied hat dagegen der gesunde
Menschenverstand volles Verständnis. Das ist der Unterschied zwischen dem
Herrscher und den Unterthanen. In jeder Erbmonarchie kann es nur eine
einzige herrschende Familie geben, der die große Masse der Staatsbürger,
der Regierten, der Unterthanen gegenübersteht.

Das regierende Haus ist das einzige unabhängige, ohne Sonderinteressen
dastehende, unparteiische, nur auf das Wohl der Gesamtheit bedachte. Ihm
gegenüber stehen der einzelne Staatsbürger und die Familien der Staatsbürger,
die der Natur der Sache nach abhängig sind, Sonderinteressen verfolgen,
notwendig irgend einer Partei angehören und in erster Linie auf das eigne
Wohl bedacht sind. Nach meiner Meinung muß der wahre Monarchist
sowohl auf Grund der Thatsachen als wegen der von Röscher und Schulze
geltend gemachten Nützlichkeitsgründe notwendig zu dem Schlüsse kommen, daß
den Herren aus regierenden Häusern streng genommen nur Damen aus gleich¬
falls regierenden Häusern ebenbürtig sein können. Man wird auch, wenn man
nur konsequent ist, ehrlich genug sein müssen, einzugestehen, daß es auf das
Alter der betreffenden regierenden Familie, aus der die Frau erkoren werden
soll, gar nicht ankommen kann. Dagegen ist die christliche Religion ein
wesentliches Erfordernis. Nur um christliche Häuser kann es sich hier handeln.
Nun glaube ich, daß sich von diesem Standpunkte aus auch mit dem Libera¬
lismus wegen der vielgeschmähten Ebenbürtigkeit zu einer Verständigung ge¬
langen ließe. Was dem Liberalismus nicht in den Kopf will, das ist die auch
mir überwunden scheinende Meinung, daß die verschiednen Stufen des Adels
und die nur noch in der Phantasie bestehende "Kluft" zwischen dem niedern
Adel und dem Bürgerstande kastenmäßige Unterschiede bewirken sollen.

Den thatsächlichen Unterschied zwischen den Regierenden und den Regierten
wird kein noch so eingefleischter Liberaler leugnen wollen; und wenn er auch
nur noch Vernunftmonarchist ist, d. h. zu denen gehört, die die Monarchie
Zur Zeit für die beste Staatsform ansehen, so wird er nicht leugnen können,


Ebenbürtigkeit

Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß im neunzehnten Jahrhundert
die Klassen- oder Gradesunterschiede zwischen altfürstlichen und neufürstlichen
oder gar altreichsgräflichen und neureichsgräflichen Häusern dem Gefühle der
gesunden Mehrheit des Volks ebenso fremd sind, wie der Gedanke, daß die
Unterschiede in der bloßen Titulatur zwischen dem einfachen Edelmann, dem
Freiherrn, dem Grafen, dem Titularfürsten und Titularherzog in irgend einer
Richtung sollen erheblich sein können. Das geht so weit, daß die Volks¬
menge es nicht begreifen kann, daß alte Rechtsnormen, die an das Vorhanden¬
sein eines bestimmten Adelsgrades rechtliche Folgen knüpfen, bis in das Ende
des neunzehnten Jahrhunderts hinein ihre Wirksamkeit äußern können. Dieser
Irrtum beruht auf einem in die Augen springenden Denkfehler, aber das
diesen Denkfehler veranlassende Gefühl ist unzweifelhaft richtig. Für einen
andern thatsächlichen und sehr greifbaren Unterschied hat dagegen der gesunde
Menschenverstand volles Verständnis. Das ist der Unterschied zwischen dem
Herrscher und den Unterthanen. In jeder Erbmonarchie kann es nur eine
einzige herrschende Familie geben, der die große Masse der Staatsbürger,
der Regierten, der Unterthanen gegenübersteht.

Das regierende Haus ist das einzige unabhängige, ohne Sonderinteressen
dastehende, unparteiische, nur auf das Wohl der Gesamtheit bedachte. Ihm
gegenüber stehen der einzelne Staatsbürger und die Familien der Staatsbürger,
die der Natur der Sache nach abhängig sind, Sonderinteressen verfolgen,
notwendig irgend einer Partei angehören und in erster Linie auf das eigne
Wohl bedacht sind. Nach meiner Meinung muß der wahre Monarchist
sowohl auf Grund der Thatsachen als wegen der von Röscher und Schulze
geltend gemachten Nützlichkeitsgründe notwendig zu dem Schlüsse kommen, daß
den Herren aus regierenden Häusern streng genommen nur Damen aus gleich¬
falls regierenden Häusern ebenbürtig sein können. Man wird auch, wenn man
nur konsequent ist, ehrlich genug sein müssen, einzugestehen, daß es auf das
Alter der betreffenden regierenden Familie, aus der die Frau erkoren werden
soll, gar nicht ankommen kann. Dagegen ist die christliche Religion ein
wesentliches Erfordernis. Nur um christliche Häuser kann es sich hier handeln.
Nun glaube ich, daß sich von diesem Standpunkte aus auch mit dem Libera¬
lismus wegen der vielgeschmähten Ebenbürtigkeit zu einer Verständigung ge¬
langen ließe. Was dem Liberalismus nicht in den Kopf will, das ist die auch
mir überwunden scheinende Meinung, daß die verschiednen Stufen des Adels
und die nur noch in der Phantasie bestehende „Kluft" zwischen dem niedern
Adel und dem Bürgerstande kastenmäßige Unterschiede bewirken sollen.

Den thatsächlichen Unterschied zwischen den Regierenden und den Regierten
wird kein noch so eingefleischter Liberaler leugnen wollen; und wenn er auch
nur noch Vernunftmonarchist ist, d. h. zu denen gehört, die die Monarchie
Zur Zeit für die beste Staatsform ansehen, so wird er nicht leugnen können,


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[0551] Ebenbürtigkeit Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß im neunzehnten Jahrhundert die Klassen- oder Gradesunterschiede zwischen altfürstlichen und neufürstlichen oder gar altreichsgräflichen und neureichsgräflichen Häusern dem Gefühle der gesunden Mehrheit des Volks ebenso fremd sind, wie der Gedanke, daß die Unterschiede in der bloßen Titulatur zwischen dem einfachen Edelmann, dem Freiherrn, dem Grafen, dem Titularfürsten und Titularherzog in irgend einer Richtung sollen erheblich sein können. Das geht so weit, daß die Volks¬ menge es nicht begreifen kann, daß alte Rechtsnormen, die an das Vorhanden¬ sein eines bestimmten Adelsgrades rechtliche Folgen knüpfen, bis in das Ende des neunzehnten Jahrhunderts hinein ihre Wirksamkeit äußern können. Dieser Irrtum beruht auf einem in die Augen springenden Denkfehler, aber das diesen Denkfehler veranlassende Gefühl ist unzweifelhaft richtig. Für einen andern thatsächlichen und sehr greifbaren Unterschied hat dagegen der gesunde Menschenverstand volles Verständnis. Das ist der Unterschied zwischen dem Herrscher und den Unterthanen. In jeder Erbmonarchie kann es nur eine einzige herrschende Familie geben, der die große Masse der Staatsbürger, der Regierten, der Unterthanen gegenübersteht. Das regierende Haus ist das einzige unabhängige, ohne Sonderinteressen dastehende, unparteiische, nur auf das Wohl der Gesamtheit bedachte. Ihm gegenüber stehen der einzelne Staatsbürger und die Familien der Staatsbürger, die der Natur der Sache nach abhängig sind, Sonderinteressen verfolgen, notwendig irgend einer Partei angehören und in erster Linie auf das eigne Wohl bedacht sind. Nach meiner Meinung muß der wahre Monarchist sowohl auf Grund der Thatsachen als wegen der von Röscher und Schulze geltend gemachten Nützlichkeitsgründe notwendig zu dem Schlüsse kommen, daß den Herren aus regierenden Häusern streng genommen nur Damen aus gleich¬ falls regierenden Häusern ebenbürtig sein können. Man wird auch, wenn man nur konsequent ist, ehrlich genug sein müssen, einzugestehen, daß es auf das Alter der betreffenden regierenden Familie, aus der die Frau erkoren werden soll, gar nicht ankommen kann. Dagegen ist die christliche Religion ein wesentliches Erfordernis. Nur um christliche Häuser kann es sich hier handeln. Nun glaube ich, daß sich von diesem Standpunkte aus auch mit dem Libera¬ lismus wegen der vielgeschmähten Ebenbürtigkeit zu einer Verständigung ge¬ langen ließe. Was dem Liberalismus nicht in den Kopf will, das ist die auch mir überwunden scheinende Meinung, daß die verschiednen Stufen des Adels und die nur noch in der Phantasie bestehende „Kluft" zwischen dem niedern Adel und dem Bürgerstande kastenmäßige Unterschiede bewirken sollen. Den thatsächlichen Unterschied zwischen den Regierenden und den Regierten wird kein noch so eingefleischter Liberaler leugnen wollen; und wenn er auch nur noch Vernunftmonarchist ist, d. h. zu denen gehört, die die Monarchie Zur Zeit für die beste Staatsform ansehen, so wird er nicht leugnen können,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/551>, abgerufen am 01.09.2024.