Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Gedichte Michelangelos

Teil dieselben Gedanken, denen wir schon in den erotischen Gedichten begegnet
sind. Was ihm in der Freundin übermächtig entgegentrat, wirkte auf ihn nicht
anders als die übermenschliche Schönheit, die ihn so oft in die Seele getroffen
hatte. Er braucht dieselben ihm geläufigen Gleichnisse. Auch der Eindruck
ihrer äußern Reize ist wiederholt erwähnt. Aber doch tritt in den meisten
das ethische Moment der Liebe, das ja auch in den Frenndschaftsgedichten nicht
fehlt, noch ausdrücklicher hervor. Er spricht von der wilden Glut, die von
der Freundin gezügelt und gesünftigt wird, und zwischen Sünde und Tugend
schwankend vergleicht er sich mit dem leeren Blatte, das er ihr reicht, damit
sie darauf schreibe, ob der reuige Sünder im Himmel willkommner sei oder
der stolze Gerechte. Das Gefühl für die Freundin ist ihm der Weg zum
ewigen Heil, und in so unnahbarer Ferne steht sie über ihm, daß er Gaben,
die er von ihr empfangen hat, nicht erwidert, weil dies den Schein der Gleich¬
heit erwecken würde. Gern wendet er in diesen Gedichten Gleichnisse an, die
er seiner Kunst entlehnt. Er vergleicht sich dem rohen Modell, das, wie das
Thonbild erst im harten Stein durch des Künstlers Hammerschläge Leben
gewinnt, so durch sie erst zum wahren Leben erweckt, durch die Hammerschläge
ihres Geistes erst vollkommen gemacht wird. Und an dasselbe Bild klingt es
an, wenn er der Freundin nach ihrem Tode nachrnft: Du stiegst zum Himmel
auf, weil ja der Hammer aus größerer Höhe auch mit größerer Stärke den
Amboß trifft; ein rohes Stückwerk würd ich immer bleiben, wenn nicht des
Himmels Schmiede mich vollendete.

Das alles klingt immerhin, wie es häufig seine Art ist, gesucht und ge¬
künstelt. In einem Briefe, den er nicht lange nach dem Tode der Marchesa
an einen Florentiner Freund richtete, schrieb er die einfachen Worte, die aber
doch mehr sagen als die poetischen Bilder: "Sie ist mir herzlich gut gewesen,
und ich nicht minder ihr. Der Tod hat mir einen großen Freund geraubt."
^rancls Miioo -- der Ausdruck ist bezeichnend für den Trauernden, der das
Ideal zeitlebens in männlicher Schönheit, Kraft und Anmut gesehen hat. "Ein
Mann in einem Weibe, ja ein Gott spricht aus ihrem Munde," so in einem
der Madrigale. Er weiß für die Freundin, die einzige weibliche Seele, die
is" wirklich gefesselt hat, kein höheres Prädikat als: ein Mann in einem Weibe.

(Schluß folgt)




Die Gedichte Michelangelos

Teil dieselben Gedanken, denen wir schon in den erotischen Gedichten begegnet
sind. Was ihm in der Freundin übermächtig entgegentrat, wirkte auf ihn nicht
anders als die übermenschliche Schönheit, die ihn so oft in die Seele getroffen
hatte. Er braucht dieselben ihm geläufigen Gleichnisse. Auch der Eindruck
ihrer äußern Reize ist wiederholt erwähnt. Aber doch tritt in den meisten
das ethische Moment der Liebe, das ja auch in den Frenndschaftsgedichten nicht
fehlt, noch ausdrücklicher hervor. Er spricht von der wilden Glut, die von
der Freundin gezügelt und gesünftigt wird, und zwischen Sünde und Tugend
schwankend vergleicht er sich mit dem leeren Blatte, das er ihr reicht, damit
sie darauf schreibe, ob der reuige Sünder im Himmel willkommner sei oder
der stolze Gerechte. Das Gefühl für die Freundin ist ihm der Weg zum
ewigen Heil, und in so unnahbarer Ferne steht sie über ihm, daß er Gaben,
die er von ihr empfangen hat, nicht erwidert, weil dies den Schein der Gleich¬
heit erwecken würde. Gern wendet er in diesen Gedichten Gleichnisse an, die
er seiner Kunst entlehnt. Er vergleicht sich dem rohen Modell, das, wie das
Thonbild erst im harten Stein durch des Künstlers Hammerschläge Leben
gewinnt, so durch sie erst zum wahren Leben erweckt, durch die Hammerschläge
ihres Geistes erst vollkommen gemacht wird. Und an dasselbe Bild klingt es
an, wenn er der Freundin nach ihrem Tode nachrnft: Du stiegst zum Himmel
auf, weil ja der Hammer aus größerer Höhe auch mit größerer Stärke den
Amboß trifft; ein rohes Stückwerk würd ich immer bleiben, wenn nicht des
Himmels Schmiede mich vollendete.

Das alles klingt immerhin, wie es häufig seine Art ist, gesucht und ge¬
künstelt. In einem Briefe, den er nicht lange nach dem Tode der Marchesa
an einen Florentiner Freund richtete, schrieb er die einfachen Worte, die aber
doch mehr sagen als die poetischen Bilder: „Sie ist mir herzlich gut gewesen,
und ich nicht minder ihr. Der Tod hat mir einen großen Freund geraubt."
^rancls Miioo — der Ausdruck ist bezeichnend für den Trauernden, der das
Ideal zeitlebens in männlicher Schönheit, Kraft und Anmut gesehen hat. „Ein
Mann in einem Weibe, ja ein Gott spricht aus ihrem Munde," so in einem
der Madrigale. Er weiß für die Freundin, die einzige weibliche Seele, die
is" wirklich gefesselt hat, kein höheres Prädikat als: ein Mann in einem Weibe.

(Schluß folgt)




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0525" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/228827"/>
            <fw type="header" place="top"> Die Gedichte Michelangelos</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1774" prev="#ID_1773"> Teil dieselben Gedanken, denen wir schon in den erotischen Gedichten begegnet<lb/>
sind. Was ihm in der Freundin übermächtig entgegentrat, wirkte auf ihn nicht<lb/>
anders als die übermenschliche Schönheit, die ihn so oft in die Seele getroffen<lb/>
hatte. Er braucht dieselben ihm geläufigen Gleichnisse. Auch der Eindruck<lb/>
ihrer äußern Reize ist wiederholt erwähnt. Aber doch tritt in den meisten<lb/>
das ethische Moment der Liebe, das ja auch in den Frenndschaftsgedichten nicht<lb/>
fehlt, noch ausdrücklicher hervor. Er spricht von der wilden Glut, die von<lb/>
der Freundin gezügelt und gesünftigt wird, und zwischen Sünde und Tugend<lb/>
schwankend vergleicht er sich mit dem leeren Blatte, das er ihr reicht, damit<lb/>
sie darauf schreibe, ob der reuige Sünder im Himmel willkommner sei oder<lb/>
der stolze Gerechte. Das Gefühl für die Freundin ist ihm der Weg zum<lb/>
ewigen Heil, und in so unnahbarer Ferne steht sie über ihm, daß er Gaben,<lb/>
die er von ihr empfangen hat, nicht erwidert, weil dies den Schein der Gleich¬<lb/>
heit erwecken würde. Gern wendet er in diesen Gedichten Gleichnisse an, die<lb/>
er seiner Kunst entlehnt. Er vergleicht sich dem rohen Modell, das, wie das<lb/>
Thonbild erst im harten Stein durch des Künstlers Hammerschläge Leben<lb/>
gewinnt, so durch sie erst zum wahren Leben erweckt, durch die Hammerschläge<lb/>
ihres Geistes erst vollkommen gemacht wird. Und an dasselbe Bild klingt es<lb/>
an, wenn er der Freundin nach ihrem Tode nachrnft: Du stiegst zum Himmel<lb/>
auf, weil ja der Hammer aus größerer Höhe auch mit größerer Stärke den<lb/>
Amboß trifft; ein rohes Stückwerk würd ich immer bleiben, wenn nicht des<lb/>
Himmels Schmiede mich vollendete.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1775"> Das alles klingt immerhin, wie es häufig seine Art ist, gesucht und ge¬<lb/>
künstelt. In einem Briefe, den er nicht lange nach dem Tode der Marchesa<lb/>
an einen Florentiner Freund richtete, schrieb er die einfachen Worte, die aber<lb/>
doch mehr sagen als die poetischen Bilder: &#x201E;Sie ist mir herzlich gut gewesen,<lb/>
und ich nicht minder ihr. Der Tod hat mir einen großen Freund geraubt."<lb/>
^rancls Miioo &#x2014; der Ausdruck ist bezeichnend für den Trauernden, der das<lb/>
Ideal zeitlebens in männlicher Schönheit, Kraft und Anmut gesehen hat. &#x201E;Ein<lb/>
Mann in einem Weibe, ja ein Gott spricht aus ihrem Munde," so in einem<lb/>
der Madrigale. Er weiß für die Freundin, die einzige weibliche Seele, die<lb/>
is" wirklich gefesselt hat, kein höheres Prädikat als: ein Mann in einem Weibe.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1776"> (Schluß folgt)</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0525] Die Gedichte Michelangelos Teil dieselben Gedanken, denen wir schon in den erotischen Gedichten begegnet sind. Was ihm in der Freundin übermächtig entgegentrat, wirkte auf ihn nicht anders als die übermenschliche Schönheit, die ihn so oft in die Seele getroffen hatte. Er braucht dieselben ihm geläufigen Gleichnisse. Auch der Eindruck ihrer äußern Reize ist wiederholt erwähnt. Aber doch tritt in den meisten das ethische Moment der Liebe, das ja auch in den Frenndschaftsgedichten nicht fehlt, noch ausdrücklicher hervor. Er spricht von der wilden Glut, die von der Freundin gezügelt und gesünftigt wird, und zwischen Sünde und Tugend schwankend vergleicht er sich mit dem leeren Blatte, das er ihr reicht, damit sie darauf schreibe, ob der reuige Sünder im Himmel willkommner sei oder der stolze Gerechte. Das Gefühl für die Freundin ist ihm der Weg zum ewigen Heil, und in so unnahbarer Ferne steht sie über ihm, daß er Gaben, die er von ihr empfangen hat, nicht erwidert, weil dies den Schein der Gleich¬ heit erwecken würde. Gern wendet er in diesen Gedichten Gleichnisse an, die er seiner Kunst entlehnt. Er vergleicht sich dem rohen Modell, das, wie das Thonbild erst im harten Stein durch des Künstlers Hammerschläge Leben gewinnt, so durch sie erst zum wahren Leben erweckt, durch die Hammerschläge ihres Geistes erst vollkommen gemacht wird. Und an dasselbe Bild klingt es an, wenn er der Freundin nach ihrem Tode nachrnft: Du stiegst zum Himmel auf, weil ja der Hammer aus größerer Höhe auch mit größerer Stärke den Amboß trifft; ein rohes Stückwerk würd ich immer bleiben, wenn nicht des Himmels Schmiede mich vollendete. Das alles klingt immerhin, wie es häufig seine Art ist, gesucht und ge¬ künstelt. In einem Briefe, den er nicht lange nach dem Tode der Marchesa an einen Florentiner Freund richtete, schrieb er die einfachen Worte, die aber doch mehr sagen als die poetischen Bilder: „Sie ist mir herzlich gut gewesen, und ich nicht minder ihr. Der Tod hat mir einen großen Freund geraubt." ^rancls Miioo — der Ausdruck ist bezeichnend für den Trauernden, der das Ideal zeitlebens in männlicher Schönheit, Kraft und Anmut gesehen hat. „Ein Mann in einem Weibe, ja ein Gott spricht aus ihrem Munde," so in einem der Madrigale. Er weiß für die Freundin, die einzige weibliche Seele, die is" wirklich gefesselt hat, kein höheres Prädikat als: ein Mann in einem Weibe. (Schluß folgt)

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/525
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/525>, abgerufen am 27.07.2024.