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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Der technische Lhiliasmus in der neuern Dichtung

auf einem Grund von kostbaren Steinen, mit Mauern von Jaspis, mit Türmen
von Krystall, mit einer Ringmauer von auserlesenen und bunten Steinen," so
hielt dies alle spätern Schwärmer chiliastischer Richtung nicht ab, in der
gleichen Weise die Zukunft zu verkünden, zu träumen und phantastisch auszu¬
schmücken.

Immer jedoch blieb die Voraussetzung dieser prophetischen Bilder kom¬
mender Zeiten, da Milch und Honig fließen und das Lamm neben dem Löwen
ruhen würde, die religiöse Läuterung, die innerliche Heiligung, mit einem Wort
ein selbstthätiger Entschluß, eine sittliche Arbeit derer, die Bürger des tausend¬
jährigen Reichs werden wollten. Daß ein leiser, niemals völlig stockender
Einfluß von den Bildern dieser letzten und höchsten Weltherrlichkeit beinahe
auf alle Dichtungen übergegangen ist, die aus der Vergangenheit und der
Gegenwart heransstrebend eine nahe oder ferne Zukunft zu versinnlichen
suchen, ist hinreichend bekannt, obschon, soviel wir uns erinnern, noch nicht
im Zusammenhang erörtert worden. Und je weiter dieser Einfluß des Chi-
liasmus, des schwärmerischen Friedens- und Genußtraums mit religiöser Basis,
auf solche Werke der Phantasie reicht, die an die Stelle der unvollkommnen
eine vollkommne, der ringenden und kämpfenden Welt eine befriedigte und in
sich glückliche zu setzen versuchen, umso eher wird wenigstens ein lyrisch-didak¬
tischer Gehalt in ihnen zu finden sein, wenn schon die ganze Vorstellungsweise
die Zauber der poetischen Entwicklung und der reichen Mannigfaltigkeit aus¬
schließt. Goethe wußte wohl, warum er, die Symbolik ablehnend, an Creuzer
schrieb: "Einen alten Volksglauben setzen wir gern voraus, doch ist uns die
reine charakteristische Personifikation ohne Hinterhalt und Allegorie alles wert;
was nachher die Priester aus dem Dunkeln, die Philosophen ins Helle gethan,
dürfen wir nicht beachten." Er sah die große Hauptaufgabe der Dichtung,
die Welt- und Menschendarstellung, schon durch alles gefährdet, was allzu
ausschließlich nach dem Woher? und Wohin? fragte, und war gegen alle
Poesie, die auf das tausendjährige Reich wartete oder auch nur hinwies, von
vornherein mißtrauisch gestimmt. Gleichwohl wußte und ahnte er nichts von
der Möglichkeit einer Dichtung, die die höchste Vervollkommnung des Welt¬
zustands, die Erhebung des Menschen zur Gottähnlichkeit, den idealsten Auf¬
schwung weder an eine geheiligte Offenbarung, noch an eine seelische Ent¬
wicklung, eine Steigerung der innern Größe, der sittlichen Kraft, sondern
lediglich an den technischen Fortschritt knüpft.

Der technische Chiliasmus, wie wir eine jüngste Grundstimmung, einen
Glauben oder vielmehr Aberglaube" nennen möchten, der die heutige Welt
durchdringt und sich nun auch in der Litteratur geltend macht, ist so neuen
Datums, daß der Alte vou Weimar ihn nicht voraussehen konnte. Der tech¬
nische Chiliasmus hat eine verzweifelte Ähnlichkeit mit einer gewissen Art der
politischen Schwärmerei; wie der dogmatische Republikaner wähnt, daß alles


Der technische Lhiliasmus in der neuern Dichtung

auf einem Grund von kostbaren Steinen, mit Mauern von Jaspis, mit Türmen
von Krystall, mit einer Ringmauer von auserlesenen und bunten Steinen," so
hielt dies alle spätern Schwärmer chiliastischer Richtung nicht ab, in der
gleichen Weise die Zukunft zu verkünden, zu träumen und phantastisch auszu¬
schmücken.

Immer jedoch blieb die Voraussetzung dieser prophetischen Bilder kom¬
mender Zeiten, da Milch und Honig fließen und das Lamm neben dem Löwen
ruhen würde, die religiöse Läuterung, die innerliche Heiligung, mit einem Wort
ein selbstthätiger Entschluß, eine sittliche Arbeit derer, die Bürger des tausend¬
jährigen Reichs werden wollten. Daß ein leiser, niemals völlig stockender
Einfluß von den Bildern dieser letzten und höchsten Weltherrlichkeit beinahe
auf alle Dichtungen übergegangen ist, die aus der Vergangenheit und der
Gegenwart heransstrebend eine nahe oder ferne Zukunft zu versinnlichen
suchen, ist hinreichend bekannt, obschon, soviel wir uns erinnern, noch nicht
im Zusammenhang erörtert worden. Und je weiter dieser Einfluß des Chi-
liasmus, des schwärmerischen Friedens- und Genußtraums mit religiöser Basis,
auf solche Werke der Phantasie reicht, die an die Stelle der unvollkommnen
eine vollkommne, der ringenden und kämpfenden Welt eine befriedigte und in
sich glückliche zu setzen versuchen, umso eher wird wenigstens ein lyrisch-didak¬
tischer Gehalt in ihnen zu finden sein, wenn schon die ganze Vorstellungsweise
die Zauber der poetischen Entwicklung und der reichen Mannigfaltigkeit aus¬
schließt. Goethe wußte wohl, warum er, die Symbolik ablehnend, an Creuzer
schrieb: „Einen alten Volksglauben setzen wir gern voraus, doch ist uns die
reine charakteristische Personifikation ohne Hinterhalt und Allegorie alles wert;
was nachher die Priester aus dem Dunkeln, die Philosophen ins Helle gethan,
dürfen wir nicht beachten." Er sah die große Hauptaufgabe der Dichtung,
die Welt- und Menschendarstellung, schon durch alles gefährdet, was allzu
ausschließlich nach dem Woher? und Wohin? fragte, und war gegen alle
Poesie, die auf das tausendjährige Reich wartete oder auch nur hinwies, von
vornherein mißtrauisch gestimmt. Gleichwohl wußte und ahnte er nichts von
der Möglichkeit einer Dichtung, die die höchste Vervollkommnung des Welt¬
zustands, die Erhebung des Menschen zur Gottähnlichkeit, den idealsten Auf¬
schwung weder an eine geheiligte Offenbarung, noch an eine seelische Ent¬
wicklung, eine Steigerung der innern Größe, der sittlichen Kraft, sondern
lediglich an den technischen Fortschritt knüpft.

Der technische Chiliasmus, wie wir eine jüngste Grundstimmung, einen
Glauben oder vielmehr Aberglaube» nennen möchten, der die heutige Welt
durchdringt und sich nun auch in der Litteratur geltend macht, ist so neuen
Datums, daß der Alte vou Weimar ihn nicht voraussehen konnte. Der tech¬
nische Chiliasmus hat eine verzweifelte Ähnlichkeit mit einer gewissen Art der
politischen Schwärmerei; wie der dogmatische Republikaner wähnt, daß alles


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[0508] Der technische Lhiliasmus in der neuern Dichtung auf einem Grund von kostbaren Steinen, mit Mauern von Jaspis, mit Türmen von Krystall, mit einer Ringmauer von auserlesenen und bunten Steinen," so hielt dies alle spätern Schwärmer chiliastischer Richtung nicht ab, in der gleichen Weise die Zukunft zu verkünden, zu träumen und phantastisch auszu¬ schmücken. Immer jedoch blieb die Voraussetzung dieser prophetischen Bilder kom¬ mender Zeiten, da Milch und Honig fließen und das Lamm neben dem Löwen ruhen würde, die religiöse Läuterung, die innerliche Heiligung, mit einem Wort ein selbstthätiger Entschluß, eine sittliche Arbeit derer, die Bürger des tausend¬ jährigen Reichs werden wollten. Daß ein leiser, niemals völlig stockender Einfluß von den Bildern dieser letzten und höchsten Weltherrlichkeit beinahe auf alle Dichtungen übergegangen ist, die aus der Vergangenheit und der Gegenwart heransstrebend eine nahe oder ferne Zukunft zu versinnlichen suchen, ist hinreichend bekannt, obschon, soviel wir uns erinnern, noch nicht im Zusammenhang erörtert worden. Und je weiter dieser Einfluß des Chi- liasmus, des schwärmerischen Friedens- und Genußtraums mit religiöser Basis, auf solche Werke der Phantasie reicht, die an die Stelle der unvollkommnen eine vollkommne, der ringenden und kämpfenden Welt eine befriedigte und in sich glückliche zu setzen versuchen, umso eher wird wenigstens ein lyrisch-didak¬ tischer Gehalt in ihnen zu finden sein, wenn schon die ganze Vorstellungsweise die Zauber der poetischen Entwicklung und der reichen Mannigfaltigkeit aus¬ schließt. Goethe wußte wohl, warum er, die Symbolik ablehnend, an Creuzer schrieb: „Einen alten Volksglauben setzen wir gern voraus, doch ist uns die reine charakteristische Personifikation ohne Hinterhalt und Allegorie alles wert; was nachher die Priester aus dem Dunkeln, die Philosophen ins Helle gethan, dürfen wir nicht beachten." Er sah die große Hauptaufgabe der Dichtung, die Welt- und Menschendarstellung, schon durch alles gefährdet, was allzu ausschließlich nach dem Woher? und Wohin? fragte, und war gegen alle Poesie, die auf das tausendjährige Reich wartete oder auch nur hinwies, von vornherein mißtrauisch gestimmt. Gleichwohl wußte und ahnte er nichts von der Möglichkeit einer Dichtung, die die höchste Vervollkommnung des Welt¬ zustands, die Erhebung des Menschen zur Gottähnlichkeit, den idealsten Auf¬ schwung weder an eine geheiligte Offenbarung, noch an eine seelische Ent¬ wicklung, eine Steigerung der innern Größe, der sittlichen Kraft, sondern lediglich an den technischen Fortschritt knüpft. Der technische Chiliasmus, wie wir eine jüngste Grundstimmung, einen Glauben oder vielmehr Aberglaube» nennen möchten, der die heutige Welt durchdringt und sich nun auch in der Litteratur geltend macht, ist so neuen Datums, daß der Alte vou Weimar ihn nicht voraussehen konnte. Der tech¬ nische Chiliasmus hat eine verzweifelte Ähnlichkeit mit einer gewissen Art der politischen Schwärmerei; wie der dogmatische Republikaner wähnt, daß alles

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/508>, abgerufen am 01.09.2024.