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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Weltfriede

Sinne des Wortes. Er besteht weiter darin, daß die Kriege in der That
seltner geworden sind, weil der Einsatz immer größer und damit das Gefühl
der Verantwortlichkeit bei den Staatslenkern immer stärker geworden ist. Aber
ganz verschwinden kann der Krieg gar nicht, solange es eine Vielheit lebendiger
Staaten giebt, und Gott bewahre uns davor, daß sie jemals einem Völkerbrei
Platz mache! Denn sie ist für die Ausgestaltung der Völkerpersönlichkeiten
ebenso unentbehrlich, wie das Nebeneinander von Einzelpersönlichkeiten für
deren Entfaltung, und darum muß sie im göttlichen Weltplane liegen. Das
Aufhören einer Vielheit von Staaten würde die Menschheit kläglicher Ver¬
kümmerung überliefern, gerade so, wie der einzelne Mensch, wenn man ihn
auf Lebensdauer von allem Verkehr mit seinesgleichen abschließen wollte, dem
Stumpfsinn verfallen würde. Kurz und gut: der Weltfriede ist ein Traum,
und nicht einmal ein schöner Traum, und es bleibt auch in Zukunft bei
Schillers Worte:


Der Krieg ist schrecklich, wie des Himmels Plagen,
Doch er ist gut, ist ein Geschick wie sie!

Das sind ja alles abgetretne Gemeinplätze. Aber wenn die viel bespöttelten
Grundsätze von Elihu Burritt und Bertha von Suttner plötzlich eine so
mächtige Vertretung finden, dann ist es wohl nicht ganz überflüssig, unklare
oder schwärmerische Köpfe an die harten, unwiderleglicher Thatsachen der poli¬
tischen Wirklichkeit zu erinnern. Nun will ja die russische Kundgebung den
Krieg auch nicht geradezu abgeschafft wissen, sie will nur eine "Abrüstung"
herbeiführen, um die Militürlasten, unter denen die Völker erliegen sollen,
zu vermindern und diese Mittel für Kulturaufgaben zu verwenden. Sollte
es dem Grafen Murawjew entgangen sein, daß die großen Rüstungen vielfach
eine gewaltige Steigerung der heimischen Industrie herbeigeführt haben, daß
diese Millionen also im Lande bleiben, und daß die modernen Heere eine große
Schule für die Volksmassen sind? Sollte es wirklich nützlicher sein, noch mehr
Hornknöpfe, Schupse, Ansichtspostkarten und all den zahllosen unnützen Tand,
der unsre Schaufenster füllt, anzufertigen, als Schiffe zu bauen, Gewehre und
Geschütze und Uniformen herzustellen? Sollte der Herr Minister nicht wissen,
daß die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands trotz unsers gewaltigen Heeres
seit mehr als fünfundzwanzig Jahren einen ungeahnten Aufschwung genommen
hat? Und wie soll man sich die "Abrüstung" praktisch vorstellen? Sollen
die Mächte den Präsenzstand vermindern, die Dienstzeit verkürzen, die Festungen
schleifen und aufhören, Schiffe zu bauen oder technische Verbesserungen ein¬
zuführen? Diese Fragen stellen heißt sie verneinen. Und wer soll die Aufsicht
darüber führen, daß die etwaigen Beschlüsse des etwaigen Kongresses ausgeführt
werden? Soll dafür etwa eine europäische Kommission gebildet werden, oder
wird man, was wenigstens den Reiz der Neuheit hätte, den "Gefangnen im


Weltfriede

Sinne des Wortes. Er besteht weiter darin, daß die Kriege in der That
seltner geworden sind, weil der Einsatz immer größer und damit das Gefühl
der Verantwortlichkeit bei den Staatslenkern immer stärker geworden ist. Aber
ganz verschwinden kann der Krieg gar nicht, solange es eine Vielheit lebendiger
Staaten giebt, und Gott bewahre uns davor, daß sie jemals einem Völkerbrei
Platz mache! Denn sie ist für die Ausgestaltung der Völkerpersönlichkeiten
ebenso unentbehrlich, wie das Nebeneinander von Einzelpersönlichkeiten für
deren Entfaltung, und darum muß sie im göttlichen Weltplane liegen. Das
Aufhören einer Vielheit von Staaten würde die Menschheit kläglicher Ver¬
kümmerung überliefern, gerade so, wie der einzelne Mensch, wenn man ihn
auf Lebensdauer von allem Verkehr mit seinesgleichen abschließen wollte, dem
Stumpfsinn verfallen würde. Kurz und gut: der Weltfriede ist ein Traum,
und nicht einmal ein schöner Traum, und es bleibt auch in Zukunft bei
Schillers Worte:


Der Krieg ist schrecklich, wie des Himmels Plagen,
Doch er ist gut, ist ein Geschick wie sie!

Das sind ja alles abgetretne Gemeinplätze. Aber wenn die viel bespöttelten
Grundsätze von Elihu Burritt und Bertha von Suttner plötzlich eine so
mächtige Vertretung finden, dann ist es wohl nicht ganz überflüssig, unklare
oder schwärmerische Köpfe an die harten, unwiderleglicher Thatsachen der poli¬
tischen Wirklichkeit zu erinnern. Nun will ja die russische Kundgebung den
Krieg auch nicht geradezu abgeschafft wissen, sie will nur eine „Abrüstung"
herbeiführen, um die Militürlasten, unter denen die Völker erliegen sollen,
zu vermindern und diese Mittel für Kulturaufgaben zu verwenden. Sollte
es dem Grafen Murawjew entgangen sein, daß die großen Rüstungen vielfach
eine gewaltige Steigerung der heimischen Industrie herbeigeführt haben, daß
diese Millionen also im Lande bleiben, und daß die modernen Heere eine große
Schule für die Volksmassen sind? Sollte es wirklich nützlicher sein, noch mehr
Hornknöpfe, Schupse, Ansichtspostkarten und all den zahllosen unnützen Tand,
der unsre Schaufenster füllt, anzufertigen, als Schiffe zu bauen, Gewehre und
Geschütze und Uniformen herzustellen? Sollte der Herr Minister nicht wissen,
daß die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands trotz unsers gewaltigen Heeres
seit mehr als fünfundzwanzig Jahren einen ungeahnten Aufschwung genommen
hat? Und wie soll man sich die „Abrüstung" praktisch vorstellen? Sollen
die Mächte den Präsenzstand vermindern, die Dienstzeit verkürzen, die Festungen
schleifen und aufhören, Schiffe zu bauen oder technische Verbesserungen ein¬
zuführen? Diese Fragen stellen heißt sie verneinen. Und wer soll die Aufsicht
darüber führen, daß die etwaigen Beschlüsse des etwaigen Kongresses ausgeführt
werden? Soll dafür etwa eine europäische Kommission gebildet werden, oder
wird man, was wenigstens den Reiz der Neuheit hätte, den „Gefangnen im


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[0490] Weltfriede Sinne des Wortes. Er besteht weiter darin, daß die Kriege in der That seltner geworden sind, weil der Einsatz immer größer und damit das Gefühl der Verantwortlichkeit bei den Staatslenkern immer stärker geworden ist. Aber ganz verschwinden kann der Krieg gar nicht, solange es eine Vielheit lebendiger Staaten giebt, und Gott bewahre uns davor, daß sie jemals einem Völkerbrei Platz mache! Denn sie ist für die Ausgestaltung der Völkerpersönlichkeiten ebenso unentbehrlich, wie das Nebeneinander von Einzelpersönlichkeiten für deren Entfaltung, und darum muß sie im göttlichen Weltplane liegen. Das Aufhören einer Vielheit von Staaten würde die Menschheit kläglicher Ver¬ kümmerung überliefern, gerade so, wie der einzelne Mensch, wenn man ihn auf Lebensdauer von allem Verkehr mit seinesgleichen abschließen wollte, dem Stumpfsinn verfallen würde. Kurz und gut: der Weltfriede ist ein Traum, und nicht einmal ein schöner Traum, und es bleibt auch in Zukunft bei Schillers Worte: Der Krieg ist schrecklich, wie des Himmels Plagen, Doch er ist gut, ist ein Geschick wie sie! Das sind ja alles abgetretne Gemeinplätze. Aber wenn die viel bespöttelten Grundsätze von Elihu Burritt und Bertha von Suttner plötzlich eine so mächtige Vertretung finden, dann ist es wohl nicht ganz überflüssig, unklare oder schwärmerische Köpfe an die harten, unwiderleglicher Thatsachen der poli¬ tischen Wirklichkeit zu erinnern. Nun will ja die russische Kundgebung den Krieg auch nicht geradezu abgeschafft wissen, sie will nur eine „Abrüstung" herbeiführen, um die Militürlasten, unter denen die Völker erliegen sollen, zu vermindern und diese Mittel für Kulturaufgaben zu verwenden. Sollte es dem Grafen Murawjew entgangen sein, daß die großen Rüstungen vielfach eine gewaltige Steigerung der heimischen Industrie herbeigeführt haben, daß diese Millionen also im Lande bleiben, und daß die modernen Heere eine große Schule für die Volksmassen sind? Sollte es wirklich nützlicher sein, noch mehr Hornknöpfe, Schupse, Ansichtspostkarten und all den zahllosen unnützen Tand, der unsre Schaufenster füllt, anzufertigen, als Schiffe zu bauen, Gewehre und Geschütze und Uniformen herzustellen? Sollte der Herr Minister nicht wissen, daß die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands trotz unsers gewaltigen Heeres seit mehr als fünfundzwanzig Jahren einen ungeahnten Aufschwung genommen hat? Und wie soll man sich die „Abrüstung" praktisch vorstellen? Sollen die Mächte den Präsenzstand vermindern, die Dienstzeit verkürzen, die Festungen schleifen und aufhören, Schiffe zu bauen oder technische Verbesserungen ein¬ zuführen? Diese Fragen stellen heißt sie verneinen. Und wer soll die Aufsicht darüber führen, daß die etwaigen Beschlüsse des etwaigen Kongresses ausgeführt werden? Soll dafür etwa eine europäische Kommission gebildet werden, oder wird man, was wenigstens den Reiz der Neuheit hätte, den „Gefangnen im

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/490>, abgerufen am 01.09.2024.