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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Ludwig Goldhann

Freunde des Dichters meinen, daß Goldhaar, sein eigenstes Interesse ver¬
kennend, mit Unrecht seine Lyrik vernachlässigt habe, so sind sie im Irrtum.
Von eigentlich elementarer, aus der innersten Seele quellender und die innerste
Seele mit ihrem Zauber ergreifender Lyrik ist in diesen zum Teil vortreff¬
lichen Versen, in diesen Gedichten, die der Ausdruck einer besondern, hoch-
strebenden und feinfühlenden Persönlichkeit sind, nichts zu spüren. Gedichte,
denen eine individuelle lyrische Form innewohnt, und in denen der Naturklang
selbst nachhallt, gelangen Goldhaar nicht. Wohl aber warmempfundne Be¬
kenntnisse und Aussprüche einer edeln Persönlichkeit, liebenswürdige Gleichnisse,
in denen der Dichter seine meist elegischen Stimmungen verkörpert, Gedichte
wie "Christabend," "Regen und Lieder," "Sonnenuntergang," "Gebet," "Be¬
trachtung," "An eine Dulderin," "Liebestod," einzelne gehaltvolle Sonette,
auch kleine Dichtungen mit satirischer Spitze wie "Begegnung":

So viele Millionen Sterne
Ziehn durch die Welt üonenlang,
Und ungestört in Heilger Ferne
Wallt jeder seinen stillen Gang.
Doch wo zwei Menschen nur sich finden,
Nur zwei auf dieser Erdenbahn:
Des Hasses giftge Worte künden
Dir gellend ihr Begegnen an.

Sie sind gewinnende und bleibende Zeugnisse dafür, daß in Goldhaar einer
der zahllosen fragmentarischen Dichter lebte, denen es nur in einzelnen Augen¬
blicken gelingt, ihre Art und ihr Empfinden ganz rein zu spiegeln. Die alt¬
österreichische Lyrik verstand die Wahrheit, daß die echte poetische Anschauung
sich meist im Bild offenbart, fälschlich dahin, daß sie jedes poetische Bild
schon für eine poetische Offenbarung hielt. Etwas von diesem Irrtum ist noch
auf Ludwig Goldhaar mit übergegangen. Bei alledem aber verdient das Ge¬
dächtnismal, das ihm die Pietät seiner Landsleute errichtet hat, die Teilnahme
jedes Litteraturfreuudes, der begriffen hat, daß sich die großen und leuchtenden
Spitzen der Litteratur nur aus Hügelland und mäßige" Höhenzügen erheben
können und nicht als isolirte Riesen über dem flachen Lande aufragen. Man
darf den Deutsch-Österreichern dazu Glück wünschen, daß sie sich diese Er¬
kenntnis bewahrt haben und daher auch el" Talent wie Ludwig Goldhann
nicht klanglos der Vergessenheit anheimfallen lassen.




Ludwig Goldhann

Freunde des Dichters meinen, daß Goldhaar, sein eigenstes Interesse ver¬
kennend, mit Unrecht seine Lyrik vernachlässigt habe, so sind sie im Irrtum.
Von eigentlich elementarer, aus der innersten Seele quellender und die innerste
Seele mit ihrem Zauber ergreifender Lyrik ist in diesen zum Teil vortreff¬
lichen Versen, in diesen Gedichten, die der Ausdruck einer besondern, hoch-
strebenden und feinfühlenden Persönlichkeit sind, nichts zu spüren. Gedichte,
denen eine individuelle lyrische Form innewohnt, und in denen der Naturklang
selbst nachhallt, gelangen Goldhaar nicht. Wohl aber warmempfundne Be¬
kenntnisse und Aussprüche einer edeln Persönlichkeit, liebenswürdige Gleichnisse,
in denen der Dichter seine meist elegischen Stimmungen verkörpert, Gedichte
wie „Christabend," „Regen und Lieder," „Sonnenuntergang," „Gebet," „Be¬
trachtung," „An eine Dulderin," „Liebestod," einzelne gehaltvolle Sonette,
auch kleine Dichtungen mit satirischer Spitze wie „Begegnung":

So viele Millionen Sterne
Ziehn durch die Welt üonenlang,
Und ungestört in Heilger Ferne
Wallt jeder seinen stillen Gang.
Doch wo zwei Menschen nur sich finden,
Nur zwei auf dieser Erdenbahn:
Des Hasses giftge Worte künden
Dir gellend ihr Begegnen an.

Sie sind gewinnende und bleibende Zeugnisse dafür, daß in Goldhaar einer
der zahllosen fragmentarischen Dichter lebte, denen es nur in einzelnen Augen¬
blicken gelingt, ihre Art und ihr Empfinden ganz rein zu spiegeln. Die alt¬
österreichische Lyrik verstand die Wahrheit, daß die echte poetische Anschauung
sich meist im Bild offenbart, fälschlich dahin, daß sie jedes poetische Bild
schon für eine poetische Offenbarung hielt. Etwas von diesem Irrtum ist noch
auf Ludwig Goldhaar mit übergegangen. Bei alledem aber verdient das Ge¬
dächtnismal, das ihm die Pietät seiner Landsleute errichtet hat, die Teilnahme
jedes Litteraturfreuudes, der begriffen hat, daß sich die großen und leuchtenden
Spitzen der Litteratur nur aus Hügelland und mäßige» Höhenzügen erheben
können und nicht als isolirte Riesen über dem flachen Lande aufragen. Man
darf den Deutsch-Österreichern dazu Glück wünschen, daß sie sich diese Er¬
kenntnis bewahrt haben und daher auch el» Talent wie Ludwig Goldhann
nicht klanglos der Vergessenheit anheimfallen lassen.




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[0426] Ludwig Goldhann Freunde des Dichters meinen, daß Goldhaar, sein eigenstes Interesse ver¬ kennend, mit Unrecht seine Lyrik vernachlässigt habe, so sind sie im Irrtum. Von eigentlich elementarer, aus der innersten Seele quellender und die innerste Seele mit ihrem Zauber ergreifender Lyrik ist in diesen zum Teil vortreff¬ lichen Versen, in diesen Gedichten, die der Ausdruck einer besondern, hoch- strebenden und feinfühlenden Persönlichkeit sind, nichts zu spüren. Gedichte, denen eine individuelle lyrische Form innewohnt, und in denen der Naturklang selbst nachhallt, gelangen Goldhaar nicht. Wohl aber warmempfundne Be¬ kenntnisse und Aussprüche einer edeln Persönlichkeit, liebenswürdige Gleichnisse, in denen der Dichter seine meist elegischen Stimmungen verkörpert, Gedichte wie „Christabend," „Regen und Lieder," „Sonnenuntergang," „Gebet," „Be¬ trachtung," „An eine Dulderin," „Liebestod," einzelne gehaltvolle Sonette, auch kleine Dichtungen mit satirischer Spitze wie „Begegnung": So viele Millionen Sterne Ziehn durch die Welt üonenlang, Und ungestört in Heilger Ferne Wallt jeder seinen stillen Gang. Doch wo zwei Menschen nur sich finden, Nur zwei auf dieser Erdenbahn: Des Hasses giftge Worte künden Dir gellend ihr Begegnen an. Sie sind gewinnende und bleibende Zeugnisse dafür, daß in Goldhaar einer der zahllosen fragmentarischen Dichter lebte, denen es nur in einzelnen Augen¬ blicken gelingt, ihre Art und ihr Empfinden ganz rein zu spiegeln. Die alt¬ österreichische Lyrik verstand die Wahrheit, daß die echte poetische Anschauung sich meist im Bild offenbart, fälschlich dahin, daß sie jedes poetische Bild schon für eine poetische Offenbarung hielt. Etwas von diesem Irrtum ist noch auf Ludwig Goldhaar mit übergegangen. Bei alledem aber verdient das Ge¬ dächtnismal, das ihm die Pietät seiner Landsleute errichtet hat, die Teilnahme jedes Litteraturfreuudes, der begriffen hat, daß sich die großen und leuchtenden Spitzen der Litteratur nur aus Hügelland und mäßige» Höhenzügen erheben können und nicht als isolirte Riesen über dem flachen Lande aufragen. Man darf den Deutsch-Österreichern dazu Glück wünschen, daß sie sich diese Er¬ kenntnis bewahrt haben und daher auch el» Talent wie Ludwig Goldhann nicht klanglos der Vergessenheit anheimfallen lassen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/426>, abgerufen am 01.09.2024.