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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Volkskonzerte

In der Entwicklung dieser lustigen Einfülle ist Haydn aber nichts weniger nutz
Volksmann. Da vertritt er ganz und gar die höchste gesellschaftliche Bildung
seiner Zeit, verkörpert die virtuose Beweglichkeit des französischen Esprit, die
Künste der geistreich leichten Dialektik. Die Schilderung, die Frau von Stank
in ihrem Buch of von der Meisterschaft giebt, mit der das

g-neisn löAims die Konversation Pflegte, paßt fast wörtlich auf Haydns Sin¬
foniestil, auf seine Methoden der Exegese und der motivischen Entwicklung.
Nur die Frivolität findet sich nicht bei ihm; an ihre Stelle kommen melancho¬
lische und dämonische Jnterjektionen, die an Beaumarchais erinnern. Alles
in allem ist Haydn gar nicht so leicht zu verstehen. Die Leute, die ihn immer
als den "Papa Haydn," als den naiven, kindlichen Tonsetzer im Munde führen,
machen sich etwas verdächtig. Und nun Beethoven, der die Dialektik Haydns
durch die Widersprüche, durch die Eigenheiten und den Eigensinn seines roman¬
tischen Geistes noch mehr erschwert, sie zuweilen auch sür die gewiegtesten
Fachleute rätselhaft gemacht hat! Aber noch mehr: er hat auch mit einer viel
größern Ideenfülle, mit einem ungemein reichen Bildungsapparat gearbeitet.
Von dieser Seite betrachtet richten sich feine Sinfonien an ein Geschlecht, das
bei Kant-und Schiller aufgewachsen ist. Nach den formellen, den dialektischen
Anforderungen setzen sie eine Hörerschaft voraus, die durch intensive Pflege
der Hausmusik wohl vorbereitet und gründlich geschult ist. Wir sind aber in
unsrer philosophischen und poetischen Ausrüstung hinter die Beethovensche
Zeit zurückgegangen; auch in der Hausmusik können wir uns mit ihren
Leistungen nicht vergleichen. Wenn wohlmeinende Männer zuweilen geneigt
sind, diese letzte Ansicht zu bestreiten, so vergessen sie die Bedeutung, die am
Ende des vorigen und am Anfange dieses Jahrhunderts die vollsgig. anfing,
für die Musikübung der Dilettanten hatten; vergessen sie, wie noch bis weit
über die vormärzliche Zeit in Deutschland das Quartettspiel bis in die Dörfer
und bis in die Kreise der Handwerker verbreitet war, vergessen, daß zur Zeit
der sogenannten Wiener Klassiker jeder zweite Deutsche in der einen oder der
andern Weise mit zu deu ausübenden Musikern zählte. Sie erinnern sich
nicht der Kantoreien, der Zelterschen Liedertafeln und ähnlicher für die
musikalische Übung vornehmer und bemittelter Laien bestimmter Institute, die
erst seit der Mitte dieses Jahrhunderts verschwunden sind. Das alles ist
durch den Liedgesang, das Klavierspiel unsrer jungen Damen, ist auch durch
die Männerchöre, soweit sie überhaupt für die bessern Stände in Betracht
kommen, nicht ersetzt. Wahrhaft volkstümlich ist die Beethovensche Sinfonie
auch in der Zeit nicht gewesen, für die sie bestimmt war. W. von Lentz
ist wohl der Biograph, der von einem alten Napoleonsveteranen erzählt,
wie der alte Kriegsmann, der zufällig in eine Aufführung von Beethovens
fünfter Sinfonie geraten war, beim Einsatz des Schlußsatzes ganz entrückt und
hingerissen in ein lautes Vivs 1'emxörEur! ausbrach. Wenn die Anekdote wahr


Volkskonzerte

In der Entwicklung dieser lustigen Einfülle ist Haydn aber nichts weniger nutz
Volksmann. Da vertritt er ganz und gar die höchste gesellschaftliche Bildung
seiner Zeit, verkörpert die virtuose Beweglichkeit des französischen Esprit, die
Künste der geistreich leichten Dialektik. Die Schilderung, die Frau von Stank
in ihrem Buch of von der Meisterschaft giebt, mit der das

g-neisn löAims die Konversation Pflegte, paßt fast wörtlich auf Haydns Sin¬
foniestil, auf seine Methoden der Exegese und der motivischen Entwicklung.
Nur die Frivolität findet sich nicht bei ihm; an ihre Stelle kommen melancho¬
lische und dämonische Jnterjektionen, die an Beaumarchais erinnern. Alles
in allem ist Haydn gar nicht so leicht zu verstehen. Die Leute, die ihn immer
als den „Papa Haydn," als den naiven, kindlichen Tonsetzer im Munde führen,
machen sich etwas verdächtig. Und nun Beethoven, der die Dialektik Haydns
durch die Widersprüche, durch die Eigenheiten und den Eigensinn seines roman¬
tischen Geistes noch mehr erschwert, sie zuweilen auch sür die gewiegtesten
Fachleute rätselhaft gemacht hat! Aber noch mehr: er hat auch mit einer viel
größern Ideenfülle, mit einem ungemein reichen Bildungsapparat gearbeitet.
Von dieser Seite betrachtet richten sich feine Sinfonien an ein Geschlecht, das
bei Kant-und Schiller aufgewachsen ist. Nach den formellen, den dialektischen
Anforderungen setzen sie eine Hörerschaft voraus, die durch intensive Pflege
der Hausmusik wohl vorbereitet und gründlich geschult ist. Wir sind aber in
unsrer philosophischen und poetischen Ausrüstung hinter die Beethovensche
Zeit zurückgegangen; auch in der Hausmusik können wir uns mit ihren
Leistungen nicht vergleichen. Wenn wohlmeinende Männer zuweilen geneigt
sind, diese letzte Ansicht zu bestreiten, so vergessen sie die Bedeutung, die am
Ende des vorigen und am Anfange dieses Jahrhunderts die vollsgig. anfing,
für die Musikübung der Dilettanten hatten; vergessen sie, wie noch bis weit
über die vormärzliche Zeit in Deutschland das Quartettspiel bis in die Dörfer
und bis in die Kreise der Handwerker verbreitet war, vergessen, daß zur Zeit
der sogenannten Wiener Klassiker jeder zweite Deutsche in der einen oder der
andern Weise mit zu deu ausübenden Musikern zählte. Sie erinnern sich
nicht der Kantoreien, der Zelterschen Liedertafeln und ähnlicher für die
musikalische Übung vornehmer und bemittelter Laien bestimmter Institute, die
erst seit der Mitte dieses Jahrhunderts verschwunden sind. Das alles ist
durch den Liedgesang, das Klavierspiel unsrer jungen Damen, ist auch durch
die Männerchöre, soweit sie überhaupt für die bessern Stände in Betracht
kommen, nicht ersetzt. Wahrhaft volkstümlich ist die Beethovensche Sinfonie
auch in der Zeit nicht gewesen, für die sie bestimmt war. W. von Lentz
ist wohl der Biograph, der von einem alten Napoleonsveteranen erzählt,
wie der alte Kriegsmann, der zufällig in eine Aufführung von Beethovens
fünfter Sinfonie geraten war, beim Einsatz des Schlußsatzes ganz entrückt und
hingerissen in ein lautes Vivs 1'emxörEur! ausbrach. Wenn die Anekdote wahr


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[0042] Volkskonzerte In der Entwicklung dieser lustigen Einfülle ist Haydn aber nichts weniger nutz Volksmann. Da vertritt er ganz und gar die höchste gesellschaftliche Bildung seiner Zeit, verkörpert die virtuose Beweglichkeit des französischen Esprit, die Künste der geistreich leichten Dialektik. Die Schilderung, die Frau von Stank in ihrem Buch of von der Meisterschaft giebt, mit der das g-neisn löAims die Konversation Pflegte, paßt fast wörtlich auf Haydns Sin¬ foniestil, auf seine Methoden der Exegese und der motivischen Entwicklung. Nur die Frivolität findet sich nicht bei ihm; an ihre Stelle kommen melancho¬ lische und dämonische Jnterjektionen, die an Beaumarchais erinnern. Alles in allem ist Haydn gar nicht so leicht zu verstehen. Die Leute, die ihn immer als den „Papa Haydn," als den naiven, kindlichen Tonsetzer im Munde führen, machen sich etwas verdächtig. Und nun Beethoven, der die Dialektik Haydns durch die Widersprüche, durch die Eigenheiten und den Eigensinn seines roman¬ tischen Geistes noch mehr erschwert, sie zuweilen auch sür die gewiegtesten Fachleute rätselhaft gemacht hat! Aber noch mehr: er hat auch mit einer viel größern Ideenfülle, mit einem ungemein reichen Bildungsapparat gearbeitet. Von dieser Seite betrachtet richten sich feine Sinfonien an ein Geschlecht, das bei Kant-und Schiller aufgewachsen ist. Nach den formellen, den dialektischen Anforderungen setzen sie eine Hörerschaft voraus, die durch intensive Pflege der Hausmusik wohl vorbereitet und gründlich geschult ist. Wir sind aber in unsrer philosophischen und poetischen Ausrüstung hinter die Beethovensche Zeit zurückgegangen; auch in der Hausmusik können wir uns mit ihren Leistungen nicht vergleichen. Wenn wohlmeinende Männer zuweilen geneigt sind, diese letzte Ansicht zu bestreiten, so vergessen sie die Bedeutung, die am Ende des vorigen und am Anfange dieses Jahrhunderts die vollsgig. anfing, für die Musikübung der Dilettanten hatten; vergessen sie, wie noch bis weit über die vormärzliche Zeit in Deutschland das Quartettspiel bis in die Dörfer und bis in die Kreise der Handwerker verbreitet war, vergessen, daß zur Zeit der sogenannten Wiener Klassiker jeder zweite Deutsche in der einen oder der andern Weise mit zu deu ausübenden Musikern zählte. Sie erinnern sich nicht der Kantoreien, der Zelterschen Liedertafeln und ähnlicher für die musikalische Übung vornehmer und bemittelter Laien bestimmter Institute, die erst seit der Mitte dieses Jahrhunderts verschwunden sind. Das alles ist durch den Liedgesang, das Klavierspiel unsrer jungen Damen, ist auch durch die Männerchöre, soweit sie überhaupt für die bessern Stände in Betracht kommen, nicht ersetzt. Wahrhaft volkstümlich ist die Beethovensche Sinfonie auch in der Zeit nicht gewesen, für die sie bestimmt war. W. von Lentz ist wohl der Biograph, der von einem alten Napoleonsveteranen erzählt, wie der alte Kriegsmann, der zufällig in eine Aufführung von Beethovens fünfter Sinfonie geraten war, beim Einsatz des Schlußsatzes ganz entrückt und hingerissen in ein lautes Vivs 1'emxörEur! ausbrach. Wenn die Anekdote wahr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/42>, abgerufen am 27.07.2024.