Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
3000 Mark Belohnung!

Justizrath Levin, wird wohl niemand verdammen wollen, aber alle andern
liegen wirklich nicht im Interesse des Publikums, im Gegenteil, sie laufen ihm
schnurstracks zuwider, indem sie die Veranlassung sind, daß der harmlose Ge¬
legenheitsdieb schließlich schärfer verfolgt wird als der gemeingefährliche Ge¬
wohnheitsverbrecher. Die bürgerliche Gesellschaft hat also wirklich alle Ursache,
dringend dahin zu wirken, daß dieser die Würde des Beamtenstandes doch
gewiß nicht erhöhende Unfug möglichst bald abgestellt werde.

Streng genommen sollte man den Polizeibeamten überhaupt die Beteili¬
gung an allen diesen Preisausschreiben ein für allemal untersagen, denn auch
die nicht aus einseitigem Privatinteresse hervorgehenden Belohnungen sind vor
allem dazu bestimmt, das große Publikum zur lebhaften Hilfeleistung anzu¬
spornen, und diese Wirkung werden sie schließlich verlieren, wenn die Ver¬
teilung regelmäßig in der Weise vorgenommen wird, wie ich dies im Anfange
zu schildern versucht habe, wo thatsächlich die Helfer aus dem Volke immer
nur mit wenig mehr als leeren Redensarten abgefunden werden, während die
Beamten gewöhnlich den Löwenanteil für sich in Anspruch nehmen. Aber
selbst wenn man glaubt, den Polizeiorganen die Annahme einer Extrabeloh¬
nung nicht verwehren zu dürfen, um ihren Scharfsinn besonders anzuspornen,
so sollten sich doch diese Ausnahmen immer nur auf solche Fälle beschränken,
deren Aufhellung dringend im allgemeinen Interesse liegt; aber unter keinen
Umständen sollte man ihnen erlauben, sich in der gerügten Weise um die von
Privatpersonen ausgesetzten Belohnungen zu bewerben, da eine solche im ein¬
seitigen Sonderinteresse erfolgende Schmierung der Pvlizeiwalze zu ganz un¬
erträglichen Mißständen in der öffentlichen Sicherheit führen muß.

Das Einheimsen solcher Belohnungen mag man getrost den Privatdetektivs
überlassen, die keine besondern Rücksichten zu nehmen haben; die Staatspolizei
hat jedenfalls in erster Linie die Aufgabe, ihren kriminalistischen Eifer nach
der Gemeingefährlichkeit des Verbrechers, aber nicht nach der Höhe der etwa
winkenden Belohnung zu bethätigen. Denn läßt man diese Trinkgelderwirt¬
schaft sich in der heutigen Weise ruhig weiter entwickeln, dann kann es leicht
passiren, daß schon in der nächsten Generation niemand mehr auf polizeilichen
Schutz rechnen kann, wenn er nicht dem dienstthuenden Kommissar oder Schutz¬
mann bei der Anzeige ebensogut wie heutzutage dem Kellner oder Hausknecht
ein entsprechendes Trinkgeld mit den Worten in die Hand drückt: "Nu sehen
Sie mal zu, daß Sie den Kerl kriegen .... hier haben Sie auch was
dafor ..."




3000 Mark Belohnung!

Justizrath Levin, wird wohl niemand verdammen wollen, aber alle andern
liegen wirklich nicht im Interesse des Publikums, im Gegenteil, sie laufen ihm
schnurstracks zuwider, indem sie die Veranlassung sind, daß der harmlose Ge¬
legenheitsdieb schließlich schärfer verfolgt wird als der gemeingefährliche Ge¬
wohnheitsverbrecher. Die bürgerliche Gesellschaft hat also wirklich alle Ursache,
dringend dahin zu wirken, daß dieser die Würde des Beamtenstandes doch
gewiß nicht erhöhende Unfug möglichst bald abgestellt werde.

Streng genommen sollte man den Polizeibeamten überhaupt die Beteili¬
gung an allen diesen Preisausschreiben ein für allemal untersagen, denn auch
die nicht aus einseitigem Privatinteresse hervorgehenden Belohnungen sind vor
allem dazu bestimmt, das große Publikum zur lebhaften Hilfeleistung anzu¬
spornen, und diese Wirkung werden sie schließlich verlieren, wenn die Ver¬
teilung regelmäßig in der Weise vorgenommen wird, wie ich dies im Anfange
zu schildern versucht habe, wo thatsächlich die Helfer aus dem Volke immer
nur mit wenig mehr als leeren Redensarten abgefunden werden, während die
Beamten gewöhnlich den Löwenanteil für sich in Anspruch nehmen. Aber
selbst wenn man glaubt, den Polizeiorganen die Annahme einer Extrabeloh¬
nung nicht verwehren zu dürfen, um ihren Scharfsinn besonders anzuspornen,
so sollten sich doch diese Ausnahmen immer nur auf solche Fälle beschränken,
deren Aufhellung dringend im allgemeinen Interesse liegt; aber unter keinen
Umständen sollte man ihnen erlauben, sich in der gerügten Weise um die von
Privatpersonen ausgesetzten Belohnungen zu bewerben, da eine solche im ein¬
seitigen Sonderinteresse erfolgende Schmierung der Pvlizeiwalze zu ganz un¬
erträglichen Mißständen in der öffentlichen Sicherheit führen muß.

Das Einheimsen solcher Belohnungen mag man getrost den Privatdetektivs
überlassen, die keine besondern Rücksichten zu nehmen haben; die Staatspolizei
hat jedenfalls in erster Linie die Aufgabe, ihren kriminalistischen Eifer nach
der Gemeingefährlichkeit des Verbrechers, aber nicht nach der Höhe der etwa
winkenden Belohnung zu bethätigen. Denn läßt man diese Trinkgelderwirt¬
schaft sich in der heutigen Weise ruhig weiter entwickeln, dann kann es leicht
passiren, daß schon in der nächsten Generation niemand mehr auf polizeilichen
Schutz rechnen kann, wenn er nicht dem dienstthuenden Kommissar oder Schutz¬
mann bei der Anzeige ebensogut wie heutzutage dem Kellner oder Hausknecht
ein entsprechendes Trinkgeld mit den Worten in die Hand drückt: „Nu sehen
Sie mal zu, daß Sie den Kerl kriegen .... hier haben Sie auch was
dafor ..."




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0414" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/228716"/>
          <fw type="header" place="top"> 3000 Mark Belohnung!</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1451" prev="#ID_1450"> Justizrath Levin, wird wohl niemand verdammen wollen, aber alle andern<lb/>
liegen wirklich nicht im Interesse des Publikums, im Gegenteil, sie laufen ihm<lb/>
schnurstracks zuwider, indem sie die Veranlassung sind, daß der harmlose Ge¬<lb/>
legenheitsdieb schließlich schärfer verfolgt wird als der gemeingefährliche Ge¬<lb/>
wohnheitsverbrecher. Die bürgerliche Gesellschaft hat also wirklich alle Ursache,<lb/>
dringend dahin zu wirken, daß dieser die Würde des Beamtenstandes doch<lb/>
gewiß nicht erhöhende Unfug möglichst bald abgestellt werde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1452"> Streng genommen sollte man den Polizeibeamten überhaupt die Beteili¬<lb/>
gung an allen diesen Preisausschreiben ein für allemal untersagen, denn auch<lb/>
die nicht aus einseitigem Privatinteresse hervorgehenden Belohnungen sind vor<lb/>
allem dazu bestimmt, das große Publikum zur lebhaften Hilfeleistung anzu¬<lb/>
spornen, und diese Wirkung werden sie schließlich verlieren, wenn die Ver¬<lb/>
teilung regelmäßig in der Weise vorgenommen wird, wie ich dies im Anfange<lb/>
zu schildern versucht habe, wo thatsächlich die Helfer aus dem Volke immer<lb/>
nur mit wenig mehr als leeren Redensarten abgefunden werden, während die<lb/>
Beamten gewöhnlich den Löwenanteil für sich in Anspruch nehmen. Aber<lb/>
selbst wenn man glaubt, den Polizeiorganen die Annahme einer Extrabeloh¬<lb/>
nung nicht verwehren zu dürfen, um ihren Scharfsinn besonders anzuspornen,<lb/>
so sollten sich doch diese Ausnahmen immer nur auf solche Fälle beschränken,<lb/>
deren Aufhellung dringend im allgemeinen Interesse liegt; aber unter keinen<lb/>
Umständen sollte man ihnen erlauben, sich in der gerügten Weise um die von<lb/>
Privatpersonen ausgesetzten Belohnungen zu bewerben, da eine solche im ein¬<lb/>
seitigen Sonderinteresse erfolgende Schmierung der Pvlizeiwalze zu ganz un¬<lb/>
erträglichen Mißständen in der öffentlichen Sicherheit führen muß.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1453"> Das Einheimsen solcher Belohnungen mag man getrost den Privatdetektivs<lb/>
überlassen, die keine besondern Rücksichten zu nehmen haben; die Staatspolizei<lb/>
hat jedenfalls in erster Linie die Aufgabe, ihren kriminalistischen Eifer nach<lb/>
der Gemeingefährlichkeit des Verbrechers, aber nicht nach der Höhe der etwa<lb/>
winkenden Belohnung zu bethätigen. Denn läßt man diese Trinkgelderwirt¬<lb/>
schaft sich in der heutigen Weise ruhig weiter entwickeln, dann kann es leicht<lb/>
passiren, daß schon in der nächsten Generation niemand mehr auf polizeilichen<lb/>
Schutz rechnen kann, wenn er nicht dem dienstthuenden Kommissar oder Schutz¬<lb/>
mann bei der Anzeige ebensogut wie heutzutage dem Kellner oder Hausknecht<lb/>
ein entsprechendes Trinkgeld mit den Worten in die Hand drückt: &#x201E;Nu sehen<lb/>
Sie mal zu, daß Sie den Kerl kriegen .... hier haben Sie auch was<lb/>
dafor ..."</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0414] 3000 Mark Belohnung! Justizrath Levin, wird wohl niemand verdammen wollen, aber alle andern liegen wirklich nicht im Interesse des Publikums, im Gegenteil, sie laufen ihm schnurstracks zuwider, indem sie die Veranlassung sind, daß der harmlose Ge¬ legenheitsdieb schließlich schärfer verfolgt wird als der gemeingefährliche Ge¬ wohnheitsverbrecher. Die bürgerliche Gesellschaft hat also wirklich alle Ursache, dringend dahin zu wirken, daß dieser die Würde des Beamtenstandes doch gewiß nicht erhöhende Unfug möglichst bald abgestellt werde. Streng genommen sollte man den Polizeibeamten überhaupt die Beteili¬ gung an allen diesen Preisausschreiben ein für allemal untersagen, denn auch die nicht aus einseitigem Privatinteresse hervorgehenden Belohnungen sind vor allem dazu bestimmt, das große Publikum zur lebhaften Hilfeleistung anzu¬ spornen, und diese Wirkung werden sie schließlich verlieren, wenn die Ver¬ teilung regelmäßig in der Weise vorgenommen wird, wie ich dies im Anfange zu schildern versucht habe, wo thatsächlich die Helfer aus dem Volke immer nur mit wenig mehr als leeren Redensarten abgefunden werden, während die Beamten gewöhnlich den Löwenanteil für sich in Anspruch nehmen. Aber selbst wenn man glaubt, den Polizeiorganen die Annahme einer Extrabeloh¬ nung nicht verwehren zu dürfen, um ihren Scharfsinn besonders anzuspornen, so sollten sich doch diese Ausnahmen immer nur auf solche Fälle beschränken, deren Aufhellung dringend im allgemeinen Interesse liegt; aber unter keinen Umständen sollte man ihnen erlauben, sich in der gerügten Weise um die von Privatpersonen ausgesetzten Belohnungen zu bewerben, da eine solche im ein¬ seitigen Sonderinteresse erfolgende Schmierung der Pvlizeiwalze zu ganz un¬ erträglichen Mißständen in der öffentlichen Sicherheit führen muß. Das Einheimsen solcher Belohnungen mag man getrost den Privatdetektivs überlassen, die keine besondern Rücksichten zu nehmen haben; die Staatspolizei hat jedenfalls in erster Linie die Aufgabe, ihren kriminalistischen Eifer nach der Gemeingefährlichkeit des Verbrechers, aber nicht nach der Höhe der etwa winkenden Belohnung zu bethätigen. Denn läßt man diese Trinkgelderwirt¬ schaft sich in der heutigen Weise ruhig weiter entwickeln, dann kann es leicht passiren, daß schon in der nächsten Generation niemand mehr auf polizeilichen Schutz rechnen kann, wenn er nicht dem dienstthuenden Kommissar oder Schutz¬ mann bei der Anzeige ebensogut wie heutzutage dem Kellner oder Hausknecht ein entsprechendes Trinkgeld mit den Worten in die Hand drückt: „Nu sehen Sie mal zu, daß Sie den Kerl kriegen .... hier haben Sie auch was dafor ..."

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/414
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/414>, abgerufen am 27.07.2024.