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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Fürst Bismarcks Vermächtnis

und er ist dabei keineswegs nach Canossa gegangen. Denn soviel auch von
den "Kampfgesetzen" aufgegeben wurde, es blieben nicht nur eine Reihe von
Ergebnissen des "Kulturkampfes" unberührt (die Aufhebung einiger die un-
gebundne Freiheit der Kirche verbürgender Artikel der preußischen Verfassung
und der katholischen Abteilung des Kultusministeriums, die Verbannung der
Jesuiten aus dem Reiche, der Anteil der Laien an der kirchlichen Vermögens¬
verwaltung, die Zivilehe, die Anzeigepflicht), sondern, was prinzipiell fast noch
wichtiger war, der Staat ordnete alle diese Dinge kraft feiner souveränen
Gesetzgebung, nicht etwa durch ein Konkordat, durch das er die römische Kirche
als eine ihm gleichberechtigte, souveräne Macht anerkannt hätte.

Ein Verteidigungskrieg war es auch, den Bismarck seit 1878 gegen die
Sozialdemokratie begann, denn es handelte sich dabei um die Abwehr von
revolutionären Bestrebungen, die die gesamte bestehende Staats- und Gesell¬
schaftsordnung umstürzen wollten und wollen. Er ist stets von der An¬
schauung ausgegangen, daß eine solche Partei sich selbst außerhalb des
geltenden Rechts und damit in Kriegszustand gegen den Staat gesetzt habe
und demnach als das behandelt werden müsse, was sie eingestandnermaßen sei,
als abgesagter Feind des Staats. Kein Satz seines Vermächtnisses kann fester
stehen. "Wir haben in unsrer Elbniederung ein Sprichwort, sagte er einmal
gesprächsweise 1892: wer nicht will mit beleben, muß weichen," und darnach
handelte er. Es machte ihn nicht irre, daß er, als die Geltungsdauer des
Sozialistengesetzes ablief, mit seinem Rate, die Gefahr nicht durch ein Aus¬
nahmegesetz, sondern durch dauernde gesetzliche Bestimmungen zu bekämpfen,
nicht durchdrang; er war auch nicht der Meinung, daß die Sozialdemokratie
sich allmählich in eine radikale Reformpartei umwandeln werde, und von der
Weisheit kathedersozialistischer Professoren und christlich-sozialer Pastoren wollte
er nichts hören, das seien sentimentale Theoretiker oder ideologische Schwärmer-
Lange Zeit galten diese Anschauungen des greisen Kanzlers als veraltet, und
es hieß, er habe der sozialen Bewegung nicht mehr folgen können; heute sieht
es aus, als ob sich weitere Kreise ihm wieder zuwendeten, und wir wollen
nicht wünschen, daß er schließlich auch mit der Behauptung recht behalte,
die Behandlung der Sozialdemokratie sei am letzten Ende eine "militärische
Frage." Jedenfalls hielt er die Negierungspolitik ihr gegenüber nach 1890
für "unverantwortlich leichtsinnig" und wurde nicht müde, zu mahnen und
zu warnen.

Gerade in der Behandlung der sozialen Frage hat er gezeigt, daß er dem
Staate eine weit höhere und edlere Aufgabe zuwies, als die jahrzehntelang
auch bei uns herrschende Manchestertheorie, die in ihm nur deu "Nachtwächter"
sah und weiter nichts von ihm verlangte, als daß er das wirtschaftliche Leben
lediglich sich selbst überlasse. An den himmelschreienden Mißstünden der eng¬
lischen Fabrik- und Bergwerksbetriebe sah man die Folgen dieses laisssr altfr.
Nun wollte Fürst Bismarck den Staat keineswegs zum Organisator und


Fürst Bismarcks Vermächtnis

und er ist dabei keineswegs nach Canossa gegangen. Denn soviel auch von
den „Kampfgesetzen" aufgegeben wurde, es blieben nicht nur eine Reihe von
Ergebnissen des „Kulturkampfes" unberührt (die Aufhebung einiger die un-
gebundne Freiheit der Kirche verbürgender Artikel der preußischen Verfassung
und der katholischen Abteilung des Kultusministeriums, die Verbannung der
Jesuiten aus dem Reiche, der Anteil der Laien an der kirchlichen Vermögens¬
verwaltung, die Zivilehe, die Anzeigepflicht), sondern, was prinzipiell fast noch
wichtiger war, der Staat ordnete alle diese Dinge kraft feiner souveränen
Gesetzgebung, nicht etwa durch ein Konkordat, durch das er die römische Kirche
als eine ihm gleichberechtigte, souveräne Macht anerkannt hätte.

Ein Verteidigungskrieg war es auch, den Bismarck seit 1878 gegen die
Sozialdemokratie begann, denn es handelte sich dabei um die Abwehr von
revolutionären Bestrebungen, die die gesamte bestehende Staats- und Gesell¬
schaftsordnung umstürzen wollten und wollen. Er ist stets von der An¬
schauung ausgegangen, daß eine solche Partei sich selbst außerhalb des
geltenden Rechts und damit in Kriegszustand gegen den Staat gesetzt habe
und demnach als das behandelt werden müsse, was sie eingestandnermaßen sei,
als abgesagter Feind des Staats. Kein Satz seines Vermächtnisses kann fester
stehen. „Wir haben in unsrer Elbniederung ein Sprichwort, sagte er einmal
gesprächsweise 1892: wer nicht will mit beleben, muß weichen," und darnach
handelte er. Es machte ihn nicht irre, daß er, als die Geltungsdauer des
Sozialistengesetzes ablief, mit seinem Rate, die Gefahr nicht durch ein Aus¬
nahmegesetz, sondern durch dauernde gesetzliche Bestimmungen zu bekämpfen,
nicht durchdrang; er war auch nicht der Meinung, daß die Sozialdemokratie
sich allmählich in eine radikale Reformpartei umwandeln werde, und von der
Weisheit kathedersozialistischer Professoren und christlich-sozialer Pastoren wollte
er nichts hören, das seien sentimentale Theoretiker oder ideologische Schwärmer-
Lange Zeit galten diese Anschauungen des greisen Kanzlers als veraltet, und
es hieß, er habe der sozialen Bewegung nicht mehr folgen können; heute sieht
es aus, als ob sich weitere Kreise ihm wieder zuwendeten, und wir wollen
nicht wünschen, daß er schließlich auch mit der Behauptung recht behalte,
die Behandlung der Sozialdemokratie sei am letzten Ende eine „militärische
Frage." Jedenfalls hielt er die Negierungspolitik ihr gegenüber nach 1890
für „unverantwortlich leichtsinnig" und wurde nicht müde, zu mahnen und
zu warnen.

Gerade in der Behandlung der sozialen Frage hat er gezeigt, daß er dem
Staate eine weit höhere und edlere Aufgabe zuwies, als die jahrzehntelang
auch bei uns herrschende Manchestertheorie, die in ihm nur deu „Nachtwächter"
sah und weiter nichts von ihm verlangte, als daß er das wirtschaftliche Leben
lediglich sich selbst überlasse. An den himmelschreienden Mißstünden der eng¬
lischen Fabrik- und Bergwerksbetriebe sah man die Folgen dieses laisssr altfr.
Nun wollte Fürst Bismarck den Staat keineswegs zum Organisator und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/398>, abgerufen am 28.07.2024.