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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Frühlingstage am Garigliano

Sparanise in die Bucht von Formia und Gaeta zu fahren, die bei Minturno
die Wasser des Liris aufnimmt. Die Fahrt von Sparanise über Sessa
Aurunca, das alte Suesfa, und über Minturno ans Meer bietet eine Fülle lieb¬
licher Bilder. Man fährt durch ein mit Öl, Wein, Hafer, Gerste, Kartoffeln
und Lupinen wohlangebautes Land, das stellenweise den Charakter einer deutschen
Mittelgebirgsgegend zeigt.

Mit den Feldern wechseln blumige Wiesen, die von Eichenhainen umsäumt
sind, dann wieder sieht man zwischen Knstanienwäldern und üppigen Fcigen-
Pslanzungen grüne Schluchten, in denen die Amsel und die Nachtigall schlagen.
Bei Carinolci grüßen den Freund horazischer Muse die weinberühmten Abhänge
des Mons Massicus. Die Sümpfe, die den Unterlauf des Liris begleiten,
erreicht man bei der Station Cellole-Fasani. Aber der Liris ist hier immer
noch der lebendige grau-grüne Bergstrom, erst ganz kurz vor der Mündung
bemeistern ihn die Sümpfe. Überdies sieht diese Landschaft, die im Sommer
giftige Fieberdünste verbreitet, recht harmlos aus. Die Wasserlachen sind
durch Blumen und Gras verhüllt, und überall erheben sich malerische Baum¬
gruppen.

Kurz vor Minturno ändert sich die Szenerie: ein felsiger Bergzug des
Apennin streicht von Norden her bis zur Küste und zwingt auch die Bahn,
am Meere hinzugehen. Im Schutze dieser Berge, die den Nordwind abhalten,
biegen auf schmalem immergrünem Küstenstreifen Formia und Gaeta. Doch
geben die kahlen, dürren Kalkfelsen des Hintergrundes der sonst heitern Bucht
etwas Düsteres, es ist, als ob über dem reichen südlichen Leben, das sich hier
Mischen Orangen- und Citronenhainen entfaltet, die Fittiche des Todes
rauschten.

Diese Empfindung des Reisenden wird durch die geschichtlichen Erin¬
nerungen dieser Gestade verstärkt. In den Sümpfen des Garigliano verbarg sich
einst voll bittern Ingrimms der greise Marius vor den Schergen Sullas; im
nahen Minturnü saß er gefangen, und hier trug sich die große Szene zwischen

und dem cimbrischen Sklaven zu, der ihn hinrichten sollte. Nahe bei
Formia ereilte auch den andern großen Arpinaten, Cicero, das tragische Ge¬
schick. Er wollte auf das Drängen der Seinigen von seinem Landhause in
Formiä vor den Häschern der Triumvirn in der Richtung nach Gaeta fliehen,
um ein Schiff zu besteigen, das ihn nach Osten führen sollte. Aber als er
sich durch die Laubgänge nach dem innern Winkel der Bucht zwischen Formia
und Gaeta tragen ließ, ereilten ihn die Mörder. Der greise Staatsmann gab
selbst den Befehl zu halten, steckte den Kopf zur Sänfte heraus und empfing
als Märtyrer für seine politischen Ideale den Todesstreich. So knüpfen sich
Anfang und Ende seines arbeitsvollen, reich gesegneten Lebens an den Gestaden
des Liris zusammen. Unweit von der Stelle, wo der letzte Verteidiger der
alten bürgerlichen Freiheit Roms starb, steht noch heute ein mächtiges römisches


Frühlingstage am Garigliano

Sparanise in die Bucht von Formia und Gaeta zu fahren, die bei Minturno
die Wasser des Liris aufnimmt. Die Fahrt von Sparanise über Sessa
Aurunca, das alte Suesfa, und über Minturno ans Meer bietet eine Fülle lieb¬
licher Bilder. Man fährt durch ein mit Öl, Wein, Hafer, Gerste, Kartoffeln
und Lupinen wohlangebautes Land, das stellenweise den Charakter einer deutschen
Mittelgebirgsgegend zeigt.

Mit den Feldern wechseln blumige Wiesen, die von Eichenhainen umsäumt
sind, dann wieder sieht man zwischen Knstanienwäldern und üppigen Fcigen-
Pslanzungen grüne Schluchten, in denen die Amsel und die Nachtigall schlagen.
Bei Carinolci grüßen den Freund horazischer Muse die weinberühmten Abhänge
des Mons Massicus. Die Sümpfe, die den Unterlauf des Liris begleiten,
erreicht man bei der Station Cellole-Fasani. Aber der Liris ist hier immer
noch der lebendige grau-grüne Bergstrom, erst ganz kurz vor der Mündung
bemeistern ihn die Sümpfe. Überdies sieht diese Landschaft, die im Sommer
giftige Fieberdünste verbreitet, recht harmlos aus. Die Wasserlachen sind
durch Blumen und Gras verhüllt, und überall erheben sich malerische Baum¬
gruppen.

Kurz vor Minturno ändert sich die Szenerie: ein felsiger Bergzug des
Apennin streicht von Norden her bis zur Küste und zwingt auch die Bahn,
am Meere hinzugehen. Im Schutze dieser Berge, die den Nordwind abhalten,
biegen auf schmalem immergrünem Küstenstreifen Formia und Gaeta. Doch
geben die kahlen, dürren Kalkfelsen des Hintergrundes der sonst heitern Bucht
etwas Düsteres, es ist, als ob über dem reichen südlichen Leben, das sich hier
Mischen Orangen- und Citronenhainen entfaltet, die Fittiche des Todes
rauschten.

Diese Empfindung des Reisenden wird durch die geschichtlichen Erin¬
nerungen dieser Gestade verstärkt. In den Sümpfen des Garigliano verbarg sich
einst voll bittern Ingrimms der greise Marius vor den Schergen Sullas; im
nahen Minturnü saß er gefangen, und hier trug sich die große Szene zwischen

und dem cimbrischen Sklaven zu, der ihn hinrichten sollte. Nahe bei
Formia ereilte auch den andern großen Arpinaten, Cicero, das tragische Ge¬
schick. Er wollte auf das Drängen der Seinigen von seinem Landhause in
Formiä vor den Häschern der Triumvirn in der Richtung nach Gaeta fliehen,
um ein Schiff zu besteigen, das ihn nach Osten führen sollte. Aber als er
sich durch die Laubgänge nach dem innern Winkel der Bucht zwischen Formia
und Gaeta tragen ließ, ereilten ihn die Mörder. Der greise Staatsmann gab
selbst den Befehl zu halten, steckte den Kopf zur Sänfte heraus und empfing
als Märtyrer für seine politischen Ideale den Todesstreich. So knüpfen sich
Anfang und Ende seines arbeitsvollen, reich gesegneten Lebens an den Gestaden
des Liris zusammen. Unweit von der Stelle, wo der letzte Verteidiger der
alten bürgerlichen Freiheit Roms starb, steht noch heute ein mächtiges römisches


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[0367] Frühlingstage am Garigliano Sparanise in die Bucht von Formia und Gaeta zu fahren, die bei Minturno die Wasser des Liris aufnimmt. Die Fahrt von Sparanise über Sessa Aurunca, das alte Suesfa, und über Minturno ans Meer bietet eine Fülle lieb¬ licher Bilder. Man fährt durch ein mit Öl, Wein, Hafer, Gerste, Kartoffeln und Lupinen wohlangebautes Land, das stellenweise den Charakter einer deutschen Mittelgebirgsgegend zeigt. Mit den Feldern wechseln blumige Wiesen, die von Eichenhainen umsäumt sind, dann wieder sieht man zwischen Knstanienwäldern und üppigen Fcigen- Pslanzungen grüne Schluchten, in denen die Amsel und die Nachtigall schlagen. Bei Carinolci grüßen den Freund horazischer Muse die weinberühmten Abhänge des Mons Massicus. Die Sümpfe, die den Unterlauf des Liris begleiten, erreicht man bei der Station Cellole-Fasani. Aber der Liris ist hier immer noch der lebendige grau-grüne Bergstrom, erst ganz kurz vor der Mündung bemeistern ihn die Sümpfe. Überdies sieht diese Landschaft, die im Sommer giftige Fieberdünste verbreitet, recht harmlos aus. Die Wasserlachen sind durch Blumen und Gras verhüllt, und überall erheben sich malerische Baum¬ gruppen. Kurz vor Minturno ändert sich die Szenerie: ein felsiger Bergzug des Apennin streicht von Norden her bis zur Küste und zwingt auch die Bahn, am Meere hinzugehen. Im Schutze dieser Berge, die den Nordwind abhalten, biegen auf schmalem immergrünem Küstenstreifen Formia und Gaeta. Doch geben die kahlen, dürren Kalkfelsen des Hintergrundes der sonst heitern Bucht etwas Düsteres, es ist, als ob über dem reichen südlichen Leben, das sich hier Mischen Orangen- und Citronenhainen entfaltet, die Fittiche des Todes rauschten. Diese Empfindung des Reisenden wird durch die geschichtlichen Erin¬ nerungen dieser Gestade verstärkt. In den Sümpfen des Garigliano verbarg sich einst voll bittern Ingrimms der greise Marius vor den Schergen Sullas; im nahen Minturnü saß er gefangen, und hier trug sich die große Szene zwischen und dem cimbrischen Sklaven zu, der ihn hinrichten sollte. Nahe bei Formia ereilte auch den andern großen Arpinaten, Cicero, das tragische Ge¬ schick. Er wollte auf das Drängen der Seinigen von seinem Landhause in Formiä vor den Häschern der Triumvirn in der Richtung nach Gaeta fliehen, um ein Schiff zu besteigen, das ihn nach Osten führen sollte. Aber als er sich durch die Laubgänge nach dem innern Winkel der Bucht zwischen Formia und Gaeta tragen ließ, ereilten ihn die Mörder. Der greise Staatsmann gab selbst den Befehl zu halten, steckte den Kopf zur Sänfte heraus und empfing als Märtyrer für seine politischen Ideale den Todesstreich. So knüpfen sich Anfang und Ende seines arbeitsvollen, reich gesegneten Lebens an den Gestaden des Liris zusammen. Unweit von der Stelle, wo der letzte Verteidiger der alten bürgerlichen Freiheit Roms starb, steht noch heute ein mächtiges römisches

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/367>, abgerufen am 27.07.2024.