Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Frühlingstage am Garigliano

Man liebte es offenbar in jener Zeit, geistliche Gründungen an Orten
anzulegen, die aus dem Altertum eine gewisse Berühmtheit bewahrten und
Wohl auch als Sitz heidnischen Zaubers galten. Oder sollte es Zufall sein,
daß San Domenico auf dem Grund und Boden Ciceros angelegt und teil¬
weise aus antiken Bautrümmern, die dort herumlagen, errichtet worden ist?
Doch wir lassen diese Hypothesen beiseite und werfen einen Blick in die be¬
rühmte Klosterkirche von Casamari. Hinter ihrer romanischen Fassade verbirgt
sich ein srühgotischer Bau von edeln Verhältnissen mit gewissen romanischen
Elementen. Kein geringerer als Papst Innocenz III. hat im Jahre 1203 den
Grundstein zu der Kirche gelegt, die Honorius III. im Jahre 1217 geweiht
hat. Damals stand die katholische Kirche nach der berühmten Lateransynode
von 1215 im Zenith ihrer Macht. In unsrer Zeit mußte sie es sich gefallen
lassen, daß in Italien ihr ganzer Grundbesitz vom Staate eingezogen wurde.
Auch Casamari, das zuletzt den Trappisten gehört hatte, wurde mit Land und
Leuten Staatseigentum, und es bedürfte der Bemühungen einflußreicher Gönner,
daß es wegen seiner schönen Kirche wenigstens zum Nationaldenkmal erklärt
und dadurch vorm Verfalle gerettet wurde. Es ist mir fraglich, ob eine so
radikale Einziehung des Kirchengutes weise war, denn diese Klöster, wie Casamari
und Trisulti, hatten auch als wirtschaftliche Musteranstalten eine große Be¬
deutung für die Kultur. Wenigstens hätte man die durch die Einziehung des
Kirchenguts gewonnenen Latifundien zur Besserung der sozialen Verhältnisse
verwenden, also in sreie Bauernbusen aufteilen müssen; das ist aber, so viel
ich weiß, nicht geschehen.

Bei der Weiterfahrt wurde der Eindruck, daß wir in einem Lande klassischer
Erinnerungen reisten, noch verstärkt durch die zahlreichen wasserholenden Frauen,
die uns begegneten. Sie trugen schön ziselirte kupferne Gefäße oder zwei¬
henklige braune Thonvasen antiker Form auf dem Kopfe. Nicht lange hinter
Casamari passirten wir die alte Grenze zwischen Volskern und Hernikern und
sahen Vervli, das alte Verulae, auf steilem Berge vor uns liegen. Das Land
zu Füßen der Stadt ist von staunenswerter Fruchtbarkeit. Die Vegetation
war hier auch schon weiter entwickelt als im obern Liristhal, denn hier sahen
wir schon die grün und rosa gefranste zarte Blüte des Maulbeerbaums. Auf
halber Hohe des Berges, den unser Wagen langsam aufwärts fährt, fesselt
den Blick ein großartig angelegter Friedhof: ein von dorischen Säulen ge¬
tragner Tempel bildet den Eingang, dunkle Cypressen den Hintergrund. Endlich
ist die unterste Stufe des Städtchens erreicht. Unser Roß wird hier aus¬
geschirrt und empfängt im "Albergo ti bestimm" fein wohlverdientes Futter;
wir aber steigen die mit altersgrauen Steinhäusern besetzte steile Straße hinauf
und finden saubre und gute Verpflegung bei der freundlichen Padrona des
Albergo centrale, mit dem ein Kramladen verbunden ist. Überhaupt wird der
Reisende, der in Italien von der großen Straße abweicht, in kleinen Städten
am besten solche Alberghi aufsuchen, die nebenbei ein offnes Geschüft haben.


Frühlingstage am Garigliano

Man liebte es offenbar in jener Zeit, geistliche Gründungen an Orten
anzulegen, die aus dem Altertum eine gewisse Berühmtheit bewahrten und
Wohl auch als Sitz heidnischen Zaubers galten. Oder sollte es Zufall sein,
daß San Domenico auf dem Grund und Boden Ciceros angelegt und teil¬
weise aus antiken Bautrümmern, die dort herumlagen, errichtet worden ist?
Doch wir lassen diese Hypothesen beiseite und werfen einen Blick in die be¬
rühmte Klosterkirche von Casamari. Hinter ihrer romanischen Fassade verbirgt
sich ein srühgotischer Bau von edeln Verhältnissen mit gewissen romanischen
Elementen. Kein geringerer als Papst Innocenz III. hat im Jahre 1203 den
Grundstein zu der Kirche gelegt, die Honorius III. im Jahre 1217 geweiht
hat. Damals stand die katholische Kirche nach der berühmten Lateransynode
von 1215 im Zenith ihrer Macht. In unsrer Zeit mußte sie es sich gefallen
lassen, daß in Italien ihr ganzer Grundbesitz vom Staate eingezogen wurde.
Auch Casamari, das zuletzt den Trappisten gehört hatte, wurde mit Land und
Leuten Staatseigentum, und es bedürfte der Bemühungen einflußreicher Gönner,
daß es wegen seiner schönen Kirche wenigstens zum Nationaldenkmal erklärt
und dadurch vorm Verfalle gerettet wurde. Es ist mir fraglich, ob eine so
radikale Einziehung des Kirchengutes weise war, denn diese Klöster, wie Casamari
und Trisulti, hatten auch als wirtschaftliche Musteranstalten eine große Be¬
deutung für die Kultur. Wenigstens hätte man die durch die Einziehung des
Kirchenguts gewonnenen Latifundien zur Besserung der sozialen Verhältnisse
verwenden, also in sreie Bauernbusen aufteilen müssen; das ist aber, so viel
ich weiß, nicht geschehen.

Bei der Weiterfahrt wurde der Eindruck, daß wir in einem Lande klassischer
Erinnerungen reisten, noch verstärkt durch die zahlreichen wasserholenden Frauen,
die uns begegneten. Sie trugen schön ziselirte kupferne Gefäße oder zwei¬
henklige braune Thonvasen antiker Form auf dem Kopfe. Nicht lange hinter
Casamari passirten wir die alte Grenze zwischen Volskern und Hernikern und
sahen Vervli, das alte Verulae, auf steilem Berge vor uns liegen. Das Land
zu Füßen der Stadt ist von staunenswerter Fruchtbarkeit. Die Vegetation
war hier auch schon weiter entwickelt als im obern Liristhal, denn hier sahen
wir schon die grün und rosa gefranste zarte Blüte des Maulbeerbaums. Auf
halber Hohe des Berges, den unser Wagen langsam aufwärts fährt, fesselt
den Blick ein großartig angelegter Friedhof: ein von dorischen Säulen ge¬
tragner Tempel bildet den Eingang, dunkle Cypressen den Hintergrund. Endlich
ist die unterste Stufe des Städtchens erreicht. Unser Roß wird hier aus¬
geschirrt und empfängt im „Albergo ti bestimm" fein wohlverdientes Futter;
wir aber steigen die mit altersgrauen Steinhäusern besetzte steile Straße hinauf
und finden saubre und gute Verpflegung bei der freundlichen Padrona des
Albergo centrale, mit dem ein Kramladen verbunden ist. Überhaupt wird der
Reisende, der in Italien von der großen Straße abweicht, in kleinen Städten
am besten solche Alberghi aufsuchen, die nebenbei ein offnes Geschüft haben.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0323" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/228625"/>
          <fw type="header" place="top"> Frühlingstage am Garigliano</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1142"> Man liebte es offenbar in jener Zeit, geistliche Gründungen an Orten<lb/>
anzulegen, die aus dem Altertum eine gewisse Berühmtheit bewahrten und<lb/>
Wohl auch als Sitz heidnischen Zaubers galten. Oder sollte es Zufall sein,<lb/>
daß San Domenico auf dem Grund und Boden Ciceros angelegt und teil¬<lb/>
weise aus antiken Bautrümmern, die dort herumlagen, errichtet worden ist?<lb/>
Doch wir lassen diese Hypothesen beiseite und werfen einen Blick in die be¬<lb/>
rühmte Klosterkirche von Casamari. Hinter ihrer romanischen Fassade verbirgt<lb/>
sich ein srühgotischer Bau von edeln Verhältnissen mit gewissen romanischen<lb/>
Elementen. Kein geringerer als Papst Innocenz III. hat im Jahre 1203 den<lb/>
Grundstein zu der Kirche gelegt, die Honorius III. im Jahre 1217 geweiht<lb/>
hat. Damals stand die katholische Kirche nach der berühmten Lateransynode<lb/>
von 1215 im Zenith ihrer Macht. In unsrer Zeit mußte sie es sich gefallen<lb/>
lassen, daß in Italien ihr ganzer Grundbesitz vom Staate eingezogen wurde.<lb/>
Auch Casamari, das zuletzt den Trappisten gehört hatte, wurde mit Land und<lb/>
Leuten Staatseigentum, und es bedürfte der Bemühungen einflußreicher Gönner,<lb/>
daß es wegen seiner schönen Kirche wenigstens zum Nationaldenkmal erklärt<lb/>
und dadurch vorm Verfalle gerettet wurde. Es ist mir fraglich, ob eine so<lb/>
radikale Einziehung des Kirchengutes weise war, denn diese Klöster, wie Casamari<lb/>
und Trisulti, hatten auch als wirtschaftliche Musteranstalten eine große Be¬<lb/>
deutung für die Kultur. Wenigstens hätte man die durch die Einziehung des<lb/>
Kirchenguts gewonnenen Latifundien zur Besserung der sozialen Verhältnisse<lb/>
verwenden, also in sreie Bauernbusen aufteilen müssen; das ist aber, so viel<lb/>
ich weiß, nicht geschehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1143" next="#ID_1144"> Bei der Weiterfahrt wurde der Eindruck, daß wir in einem Lande klassischer<lb/>
Erinnerungen reisten, noch verstärkt durch die zahlreichen wasserholenden Frauen,<lb/>
die uns begegneten. Sie trugen schön ziselirte kupferne Gefäße oder zwei¬<lb/>
henklige braune Thonvasen antiker Form auf dem Kopfe. Nicht lange hinter<lb/>
Casamari passirten wir die alte Grenze zwischen Volskern und Hernikern und<lb/>
sahen Vervli, das alte Verulae, auf steilem Berge vor uns liegen. Das Land<lb/>
zu Füßen der Stadt ist von staunenswerter Fruchtbarkeit. Die Vegetation<lb/>
war hier auch schon weiter entwickelt als im obern Liristhal, denn hier sahen<lb/>
wir schon die grün und rosa gefranste zarte Blüte des Maulbeerbaums. Auf<lb/>
halber Hohe des Berges, den unser Wagen langsam aufwärts fährt, fesselt<lb/>
den Blick ein großartig angelegter Friedhof: ein von dorischen Säulen ge¬<lb/>
tragner Tempel bildet den Eingang, dunkle Cypressen den Hintergrund. Endlich<lb/>
ist die unterste Stufe des Städtchens erreicht. Unser Roß wird hier aus¬<lb/>
geschirrt und empfängt im &#x201E;Albergo ti bestimm" fein wohlverdientes Futter;<lb/>
wir aber steigen die mit altersgrauen Steinhäusern besetzte steile Straße hinauf<lb/>
und finden saubre und gute Verpflegung bei der freundlichen Padrona des<lb/>
Albergo centrale, mit dem ein Kramladen verbunden ist. Überhaupt wird der<lb/>
Reisende, der in Italien von der großen Straße abweicht, in kleinen Städten<lb/>
am besten solche Alberghi aufsuchen, die nebenbei ein offnes Geschüft haben.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0323] Frühlingstage am Garigliano Man liebte es offenbar in jener Zeit, geistliche Gründungen an Orten anzulegen, die aus dem Altertum eine gewisse Berühmtheit bewahrten und Wohl auch als Sitz heidnischen Zaubers galten. Oder sollte es Zufall sein, daß San Domenico auf dem Grund und Boden Ciceros angelegt und teil¬ weise aus antiken Bautrümmern, die dort herumlagen, errichtet worden ist? Doch wir lassen diese Hypothesen beiseite und werfen einen Blick in die be¬ rühmte Klosterkirche von Casamari. Hinter ihrer romanischen Fassade verbirgt sich ein srühgotischer Bau von edeln Verhältnissen mit gewissen romanischen Elementen. Kein geringerer als Papst Innocenz III. hat im Jahre 1203 den Grundstein zu der Kirche gelegt, die Honorius III. im Jahre 1217 geweiht hat. Damals stand die katholische Kirche nach der berühmten Lateransynode von 1215 im Zenith ihrer Macht. In unsrer Zeit mußte sie es sich gefallen lassen, daß in Italien ihr ganzer Grundbesitz vom Staate eingezogen wurde. Auch Casamari, das zuletzt den Trappisten gehört hatte, wurde mit Land und Leuten Staatseigentum, und es bedürfte der Bemühungen einflußreicher Gönner, daß es wegen seiner schönen Kirche wenigstens zum Nationaldenkmal erklärt und dadurch vorm Verfalle gerettet wurde. Es ist mir fraglich, ob eine so radikale Einziehung des Kirchengutes weise war, denn diese Klöster, wie Casamari und Trisulti, hatten auch als wirtschaftliche Musteranstalten eine große Be¬ deutung für die Kultur. Wenigstens hätte man die durch die Einziehung des Kirchenguts gewonnenen Latifundien zur Besserung der sozialen Verhältnisse verwenden, also in sreie Bauernbusen aufteilen müssen; das ist aber, so viel ich weiß, nicht geschehen. Bei der Weiterfahrt wurde der Eindruck, daß wir in einem Lande klassischer Erinnerungen reisten, noch verstärkt durch die zahlreichen wasserholenden Frauen, die uns begegneten. Sie trugen schön ziselirte kupferne Gefäße oder zwei¬ henklige braune Thonvasen antiker Form auf dem Kopfe. Nicht lange hinter Casamari passirten wir die alte Grenze zwischen Volskern und Hernikern und sahen Vervli, das alte Verulae, auf steilem Berge vor uns liegen. Das Land zu Füßen der Stadt ist von staunenswerter Fruchtbarkeit. Die Vegetation war hier auch schon weiter entwickelt als im obern Liristhal, denn hier sahen wir schon die grün und rosa gefranste zarte Blüte des Maulbeerbaums. Auf halber Hohe des Berges, den unser Wagen langsam aufwärts fährt, fesselt den Blick ein großartig angelegter Friedhof: ein von dorischen Säulen ge¬ tragner Tempel bildet den Eingang, dunkle Cypressen den Hintergrund. Endlich ist die unterste Stufe des Städtchens erreicht. Unser Roß wird hier aus¬ geschirrt und empfängt im „Albergo ti bestimm" fein wohlverdientes Futter; wir aber steigen die mit altersgrauen Steinhäusern besetzte steile Straße hinauf und finden saubre und gute Verpflegung bei der freundlichen Padrona des Albergo centrale, mit dem ein Kramladen verbunden ist. Überhaupt wird der Reisende, der in Italien von der großen Straße abweicht, in kleinen Städten am besten solche Alberghi aufsuchen, die nebenbei ein offnes Geschüft haben.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/323
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/323>, abgerufen am 28.07.2024.