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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Gelegentliche Beobachtungen über den Kleinhandel

kateßwarenhandlungen, die Grünkramläden, die Butter- und Margarinehand¬
lungen, die daneben allerhand andre Fette und außerdem noch Eier führen,
die Konfituren- und Schokoladegeschäfte, die Spezial-Tabak- und Cigarren-
geschäfte, die Weinhandlungen und Likörgeschäfte, Samenhandlungen, Fisch¬
handlungen u. f. f. Alle diese Spezialgeschäfte entzogen dem Kolonialwarcn-
geschäfte der guten alten Zeit einen Teil der Waren und der Kunden, Einige
Geschäfte greifen sogar in das Absatzgebiet andrer Gewerbe, die Delikateß-
geschäfte z. B. in das der Schlächter. Sehen wir uns nun die Waren an,
die so dem Kolonialwarenhandel verloren gegangen sind, so finden wir, daß
es zumeist Gegenstände des Massenkonsums sind, die schnell abgehen und zum
Teil recht ansehnliche Gewinnprozente abwerfen. Ganz so rein vollzieht sich
die Entwicklung natürlich nicht immer; es treten auch Fälle ein, wo eine Aus¬
dehnung des Warenlagers stattfindet, und gerade in den Handelszweigen, wo
wir gewöhnlich den Spezialisirungsprozeß beobachten können. So sind die
Spezialgeschäfte mit Hcrrenartikcln entstanden, in denen alles zu haben ist,
was zur Ausstattung des Mannes gehört, vom Stiefel bis zum Hut, von der
Kravatte bis zu den Handschuhen. In der Großstadt endlich nimmt der ge¬
schilderte Gang der Entwicklung zum Teil wieder eine entgegengesetzte Richtung
an; im Bazar sehen wir das alte Allerweltsgeschüft in einer neuen, den großen
Verhältnissen angepaßten Form wieder aufleben.

In allen Darstellungen des Kleinhandels ist schlechthin von dem Klein¬
händler und von dem Kleinhandelsgeschäft die Rede, als ob diese Betriebe
nach ihrer innern Natur, ihren Gepflogenheiten und ihrer Geschüftsmoral gleich
wären (vgl. Lexis im Schönbergschen Handbuch der politischen Ökonomie).
Das ist aber keineswegs der Fall, sondern je größer die Orte werden, in denen
der Kleinhandel thätig ist, je schärfer die soziale Trennung der Bevölkerung
auch nach ganzen Stadtteilen hervortritt, desto verschiedner ist auch in den
einzelnen Stadtteilen das Kleinhandelsgeschäft, vor allem das Kolonialwciren-
geschüft; auch hier tritt eine weitgehende Differenzirung ein. Gerade die Lage
eines Geschäftes darf bei der Beurteilung des Kleinhandels nicht außer acht
gelassen werden. Die Geschäfte, die in Arbeitervierteln liegen, arbeiten unter
ganz andern Bedingungen als die, die nur mit dem Publikum im Geheim¬
ratsviertel zu thun haben. In der Nähe des Hamburger Hafens hat das
Kolonialwarengeschäft ein ganz andres Ansehen als in den Hauptstraßen dieser
Stadt. Ja in einer Stadt wie Berlin selbst können wir feststellen, daß der
Spezialisirungsprozeß in den einzelnen Stadtvierteln ganz verschieden fort¬
geschritten ist. Unter den Linden findet man kein Kolonialwarengeschäft der
alten Art mehr, dagegen wohl noch im Norden, dem Wohnorte des kleinen
Beamtenstandes und der Arbeiter.

Diese Beobachtungen können sicherlich auch statistisch begründet werden.
Zunächst wird aus solchen Zusammenstellungen hervorgehen, daß z. B. die


Gelegentliche Beobachtungen über den Kleinhandel

kateßwarenhandlungen, die Grünkramläden, die Butter- und Margarinehand¬
lungen, die daneben allerhand andre Fette und außerdem noch Eier führen,
die Konfituren- und Schokoladegeschäfte, die Spezial-Tabak- und Cigarren-
geschäfte, die Weinhandlungen und Likörgeschäfte, Samenhandlungen, Fisch¬
handlungen u. f. f. Alle diese Spezialgeschäfte entzogen dem Kolonialwarcn-
geschäfte der guten alten Zeit einen Teil der Waren und der Kunden, Einige
Geschäfte greifen sogar in das Absatzgebiet andrer Gewerbe, die Delikateß-
geschäfte z. B. in das der Schlächter. Sehen wir uns nun die Waren an,
die so dem Kolonialwarenhandel verloren gegangen sind, so finden wir, daß
es zumeist Gegenstände des Massenkonsums sind, die schnell abgehen und zum
Teil recht ansehnliche Gewinnprozente abwerfen. Ganz so rein vollzieht sich
die Entwicklung natürlich nicht immer; es treten auch Fälle ein, wo eine Aus¬
dehnung des Warenlagers stattfindet, und gerade in den Handelszweigen, wo
wir gewöhnlich den Spezialisirungsprozeß beobachten können. So sind die
Spezialgeschäfte mit Hcrrenartikcln entstanden, in denen alles zu haben ist,
was zur Ausstattung des Mannes gehört, vom Stiefel bis zum Hut, von der
Kravatte bis zu den Handschuhen. In der Großstadt endlich nimmt der ge¬
schilderte Gang der Entwicklung zum Teil wieder eine entgegengesetzte Richtung
an; im Bazar sehen wir das alte Allerweltsgeschüft in einer neuen, den großen
Verhältnissen angepaßten Form wieder aufleben.

In allen Darstellungen des Kleinhandels ist schlechthin von dem Klein¬
händler und von dem Kleinhandelsgeschäft die Rede, als ob diese Betriebe
nach ihrer innern Natur, ihren Gepflogenheiten und ihrer Geschüftsmoral gleich
wären (vgl. Lexis im Schönbergschen Handbuch der politischen Ökonomie).
Das ist aber keineswegs der Fall, sondern je größer die Orte werden, in denen
der Kleinhandel thätig ist, je schärfer die soziale Trennung der Bevölkerung
auch nach ganzen Stadtteilen hervortritt, desto verschiedner ist auch in den
einzelnen Stadtteilen das Kleinhandelsgeschäft, vor allem das Kolonialwciren-
geschüft; auch hier tritt eine weitgehende Differenzirung ein. Gerade die Lage
eines Geschäftes darf bei der Beurteilung des Kleinhandels nicht außer acht
gelassen werden. Die Geschäfte, die in Arbeitervierteln liegen, arbeiten unter
ganz andern Bedingungen als die, die nur mit dem Publikum im Geheim¬
ratsviertel zu thun haben. In der Nähe des Hamburger Hafens hat das
Kolonialwarengeschäft ein ganz andres Ansehen als in den Hauptstraßen dieser
Stadt. Ja in einer Stadt wie Berlin selbst können wir feststellen, daß der
Spezialisirungsprozeß in den einzelnen Stadtvierteln ganz verschieden fort¬
geschritten ist. Unter den Linden findet man kein Kolonialwarengeschäft der
alten Art mehr, dagegen wohl noch im Norden, dem Wohnorte des kleinen
Beamtenstandes und der Arbeiter.

Diese Beobachtungen können sicherlich auch statistisch begründet werden.
Zunächst wird aus solchen Zusammenstellungen hervorgehen, daß z. B. die


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[0270] Gelegentliche Beobachtungen über den Kleinhandel kateßwarenhandlungen, die Grünkramläden, die Butter- und Margarinehand¬ lungen, die daneben allerhand andre Fette und außerdem noch Eier führen, die Konfituren- und Schokoladegeschäfte, die Spezial-Tabak- und Cigarren- geschäfte, die Weinhandlungen und Likörgeschäfte, Samenhandlungen, Fisch¬ handlungen u. f. f. Alle diese Spezialgeschäfte entzogen dem Kolonialwarcn- geschäfte der guten alten Zeit einen Teil der Waren und der Kunden, Einige Geschäfte greifen sogar in das Absatzgebiet andrer Gewerbe, die Delikateß- geschäfte z. B. in das der Schlächter. Sehen wir uns nun die Waren an, die so dem Kolonialwarenhandel verloren gegangen sind, so finden wir, daß es zumeist Gegenstände des Massenkonsums sind, die schnell abgehen und zum Teil recht ansehnliche Gewinnprozente abwerfen. Ganz so rein vollzieht sich die Entwicklung natürlich nicht immer; es treten auch Fälle ein, wo eine Aus¬ dehnung des Warenlagers stattfindet, und gerade in den Handelszweigen, wo wir gewöhnlich den Spezialisirungsprozeß beobachten können. So sind die Spezialgeschäfte mit Hcrrenartikcln entstanden, in denen alles zu haben ist, was zur Ausstattung des Mannes gehört, vom Stiefel bis zum Hut, von der Kravatte bis zu den Handschuhen. In der Großstadt endlich nimmt der ge¬ schilderte Gang der Entwicklung zum Teil wieder eine entgegengesetzte Richtung an; im Bazar sehen wir das alte Allerweltsgeschüft in einer neuen, den großen Verhältnissen angepaßten Form wieder aufleben. In allen Darstellungen des Kleinhandels ist schlechthin von dem Klein¬ händler und von dem Kleinhandelsgeschäft die Rede, als ob diese Betriebe nach ihrer innern Natur, ihren Gepflogenheiten und ihrer Geschüftsmoral gleich wären (vgl. Lexis im Schönbergschen Handbuch der politischen Ökonomie). Das ist aber keineswegs der Fall, sondern je größer die Orte werden, in denen der Kleinhandel thätig ist, je schärfer die soziale Trennung der Bevölkerung auch nach ganzen Stadtteilen hervortritt, desto verschiedner ist auch in den einzelnen Stadtteilen das Kleinhandelsgeschäft, vor allem das Kolonialwciren- geschüft; auch hier tritt eine weitgehende Differenzirung ein. Gerade die Lage eines Geschäftes darf bei der Beurteilung des Kleinhandels nicht außer acht gelassen werden. Die Geschäfte, die in Arbeitervierteln liegen, arbeiten unter ganz andern Bedingungen als die, die nur mit dem Publikum im Geheim¬ ratsviertel zu thun haben. In der Nähe des Hamburger Hafens hat das Kolonialwarengeschäft ein ganz andres Ansehen als in den Hauptstraßen dieser Stadt. Ja in einer Stadt wie Berlin selbst können wir feststellen, daß der Spezialisirungsprozeß in den einzelnen Stadtvierteln ganz verschieden fort¬ geschritten ist. Unter den Linden findet man kein Kolonialwarengeschäft der alten Art mehr, dagegen wohl noch im Norden, dem Wohnorte des kleinen Beamtenstandes und der Arbeiter. Diese Beobachtungen können sicherlich auch statistisch begründet werden. Zunächst wird aus solchen Zusammenstellungen hervorgehen, daß z. B. die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/270>, abgerufen am 28.07.2024.