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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Gelegentliche Beobachtungen über den Kleinhandel

sich unmittelbar rächt, denn auf keine Enttäuschung reagirt der Käufer schneller
und kräftiger, als wo es sich um Nahrungsmittel handelt. Dazu kommt,
daß der Händler heute bei den hohen Mietpreisen mit beschränkten Lager¬
räumen wirtschaften muß, und daß daher die Aufbewahrung und ständige Be¬
handlung der Waren, um sie vorm Verderben zu sichern, dem Geschüftsleiter
eine große Arbeitslast auferlegt, von der das Publikum gar nichts bemerkt.
Die geringste Nachlässigkeit wird sofort mit einem nennenswerten Verlust gestraft.
Diese thatsächliche Arbeit der Stoffbehandlung, die im Materialwarengeschäft
geleistet wird, schlagen die meisten Beurteiler des Kleinhandels viel zu gering an.
Lexis schreibt in seiner Abhandlung über den Handel (Handbuch der politischen
Ökonomie von Schönberg, II, 2, S. 286): "Der Detailhandel dient also dem
Publikum mit seiner Zeit -- wenn dieselbe auch oft nur unvollständig mit
ernstlicher Arbeit ausgefüllt wird --, mit seinein Kapital und seinem Kredit."
Das ist sicher nicht ganz richtig; die Arbeit des Kolonialwarenhändlers ist in
den meisten Fällen recht groß, worauf schon A. Bayerdörffer in der unten
angeführten Abhandlung aufmerksam gemacht hat.

Der Gewinn in einem Kolonialwarengeschüfte gründet sich eigentlich auf
den Umsatz weniger Waren, die keine besonders großen Gewinnprozente geben:
Kleinhandel mit Spirituosen, Kaffee, Zucker, Thee, Salz, Petroleum, Gewürzen,
Graupen, Reis, Hülsenfrüchten, Kakao, Schokolade, Felder, Ölen usw. Wenn
ein Händler am Schlüsse des Jahres die Bilanz zieht, so findet er, daß der
Gesamtumsatz auf diese Artikel gegründet ist; eine ganze Reihe andrer bringen
ihm wohl höhere Prozente, die umgesetzte Menge steht aber zu der der andern
Waren in keinem Verhältnis. Daß der Kleinhändler, wenigstens soweit der
Kolonialwarenhändler in Betracht kommt, im großen und gauzen keine un¬
gebührlich hohen Gewinne macht, kann nach den Untersuchungen von van Borght,
A. Bayerdörffer u. a. über den Einfluß der distributiven Gewerbe auf die Preise
(Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Band 36 und 37) als sicher ange¬
nommen werden. Aber man darf auch uicht vergessen, daß sich die Preis¬
festsetzung im Kolonialwarenhandel anders vollzieht als in andern Handels¬
zweigen, vor allem anders als im Großhandel, wo alle Bewegungen des
Angebots unmittelbar und allgemein auf die Höhe des Preises wirken, weil
diese Bewegungen auch den Käufern genau bekannt sind, und daß daher die
schnelle Anpassung des Kleinhandelspreises an die Großhandelspreise hier Aus¬
nahmen sind. A. Bayerdörffer hat in erschöpfender Weise auseinandergesetzt,
daß das Publikum gerade beim Einkäufe der täglich gebrauchten Kolonialwaren
uicht die Stellen aufzusuchen versteht, wo für gute Waren billige Preise ge¬
fordert werden, und daß der Preis noch kein Kennzeichen für Waren ist, die
die verschiedensten Qualitätsmischungen zulassen. Neu entstehende Geschäfte
sind daher weniger wegen der niedrigen Preise eine Konkurrenz, als deswegen,
weil sie den Absatz der andern Geschäfte verkleinern auch bei gleichen Preisen.


Gelegentliche Beobachtungen über den Kleinhandel

sich unmittelbar rächt, denn auf keine Enttäuschung reagirt der Käufer schneller
und kräftiger, als wo es sich um Nahrungsmittel handelt. Dazu kommt,
daß der Händler heute bei den hohen Mietpreisen mit beschränkten Lager¬
räumen wirtschaften muß, und daß daher die Aufbewahrung und ständige Be¬
handlung der Waren, um sie vorm Verderben zu sichern, dem Geschüftsleiter
eine große Arbeitslast auferlegt, von der das Publikum gar nichts bemerkt.
Die geringste Nachlässigkeit wird sofort mit einem nennenswerten Verlust gestraft.
Diese thatsächliche Arbeit der Stoffbehandlung, die im Materialwarengeschäft
geleistet wird, schlagen die meisten Beurteiler des Kleinhandels viel zu gering an.
Lexis schreibt in seiner Abhandlung über den Handel (Handbuch der politischen
Ökonomie von Schönberg, II, 2, S. 286): „Der Detailhandel dient also dem
Publikum mit seiner Zeit — wenn dieselbe auch oft nur unvollständig mit
ernstlicher Arbeit ausgefüllt wird —, mit seinein Kapital und seinem Kredit."
Das ist sicher nicht ganz richtig; die Arbeit des Kolonialwarenhändlers ist in
den meisten Fällen recht groß, worauf schon A. Bayerdörffer in der unten
angeführten Abhandlung aufmerksam gemacht hat.

Der Gewinn in einem Kolonialwarengeschüfte gründet sich eigentlich auf
den Umsatz weniger Waren, die keine besonders großen Gewinnprozente geben:
Kleinhandel mit Spirituosen, Kaffee, Zucker, Thee, Salz, Petroleum, Gewürzen,
Graupen, Reis, Hülsenfrüchten, Kakao, Schokolade, Felder, Ölen usw. Wenn
ein Händler am Schlüsse des Jahres die Bilanz zieht, so findet er, daß der
Gesamtumsatz auf diese Artikel gegründet ist; eine ganze Reihe andrer bringen
ihm wohl höhere Prozente, die umgesetzte Menge steht aber zu der der andern
Waren in keinem Verhältnis. Daß der Kleinhändler, wenigstens soweit der
Kolonialwarenhändler in Betracht kommt, im großen und gauzen keine un¬
gebührlich hohen Gewinne macht, kann nach den Untersuchungen von van Borght,
A. Bayerdörffer u. a. über den Einfluß der distributiven Gewerbe auf die Preise
(Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Band 36 und 37) als sicher ange¬
nommen werden. Aber man darf auch uicht vergessen, daß sich die Preis¬
festsetzung im Kolonialwarenhandel anders vollzieht als in andern Handels¬
zweigen, vor allem anders als im Großhandel, wo alle Bewegungen des
Angebots unmittelbar und allgemein auf die Höhe des Preises wirken, weil
diese Bewegungen auch den Käufern genau bekannt sind, und daß daher die
schnelle Anpassung des Kleinhandelspreises an die Großhandelspreise hier Aus¬
nahmen sind. A. Bayerdörffer hat in erschöpfender Weise auseinandergesetzt,
daß das Publikum gerade beim Einkäufe der täglich gebrauchten Kolonialwaren
uicht die Stellen aufzusuchen versteht, wo für gute Waren billige Preise ge¬
fordert werden, und daß der Preis noch kein Kennzeichen für Waren ist, die
die verschiedensten Qualitätsmischungen zulassen. Neu entstehende Geschäfte
sind daher weniger wegen der niedrigen Preise eine Konkurrenz, als deswegen,
weil sie den Absatz der andern Geschäfte verkleinern auch bei gleichen Preisen.


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[0268] Gelegentliche Beobachtungen über den Kleinhandel sich unmittelbar rächt, denn auf keine Enttäuschung reagirt der Käufer schneller und kräftiger, als wo es sich um Nahrungsmittel handelt. Dazu kommt, daß der Händler heute bei den hohen Mietpreisen mit beschränkten Lager¬ räumen wirtschaften muß, und daß daher die Aufbewahrung und ständige Be¬ handlung der Waren, um sie vorm Verderben zu sichern, dem Geschüftsleiter eine große Arbeitslast auferlegt, von der das Publikum gar nichts bemerkt. Die geringste Nachlässigkeit wird sofort mit einem nennenswerten Verlust gestraft. Diese thatsächliche Arbeit der Stoffbehandlung, die im Materialwarengeschäft geleistet wird, schlagen die meisten Beurteiler des Kleinhandels viel zu gering an. Lexis schreibt in seiner Abhandlung über den Handel (Handbuch der politischen Ökonomie von Schönberg, II, 2, S. 286): „Der Detailhandel dient also dem Publikum mit seiner Zeit — wenn dieselbe auch oft nur unvollständig mit ernstlicher Arbeit ausgefüllt wird —, mit seinein Kapital und seinem Kredit." Das ist sicher nicht ganz richtig; die Arbeit des Kolonialwarenhändlers ist in den meisten Fällen recht groß, worauf schon A. Bayerdörffer in der unten angeführten Abhandlung aufmerksam gemacht hat. Der Gewinn in einem Kolonialwarengeschüfte gründet sich eigentlich auf den Umsatz weniger Waren, die keine besonders großen Gewinnprozente geben: Kleinhandel mit Spirituosen, Kaffee, Zucker, Thee, Salz, Petroleum, Gewürzen, Graupen, Reis, Hülsenfrüchten, Kakao, Schokolade, Felder, Ölen usw. Wenn ein Händler am Schlüsse des Jahres die Bilanz zieht, so findet er, daß der Gesamtumsatz auf diese Artikel gegründet ist; eine ganze Reihe andrer bringen ihm wohl höhere Prozente, die umgesetzte Menge steht aber zu der der andern Waren in keinem Verhältnis. Daß der Kleinhändler, wenigstens soweit der Kolonialwarenhändler in Betracht kommt, im großen und gauzen keine un¬ gebührlich hohen Gewinne macht, kann nach den Untersuchungen von van Borght, A. Bayerdörffer u. a. über den Einfluß der distributiven Gewerbe auf die Preise (Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Band 36 und 37) als sicher ange¬ nommen werden. Aber man darf auch uicht vergessen, daß sich die Preis¬ festsetzung im Kolonialwarenhandel anders vollzieht als in andern Handels¬ zweigen, vor allem anders als im Großhandel, wo alle Bewegungen des Angebots unmittelbar und allgemein auf die Höhe des Preises wirken, weil diese Bewegungen auch den Käufern genau bekannt sind, und daß daher die schnelle Anpassung des Kleinhandelspreises an die Großhandelspreise hier Aus¬ nahmen sind. A. Bayerdörffer hat in erschöpfender Weise auseinandergesetzt, daß das Publikum gerade beim Einkäufe der täglich gebrauchten Kolonialwaren uicht die Stellen aufzusuchen versteht, wo für gute Waren billige Preise ge¬ fordert werden, und daß der Preis noch kein Kennzeichen für Waren ist, die die verschiedensten Qualitätsmischungen zulassen. Neu entstehende Geschäfte sind daher weniger wegen der niedrigen Preise eine Konkurrenz, als deswegen, weil sie den Absatz der andern Geschäfte verkleinern auch bei gleichen Preisen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/268>, abgerufen am 27.07.2024.