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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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alter steckende Staatswesen in unser modernes Leben herein, behauptete mit
seinen analphabeten Soldaten einen immer noch beträchtlichen Kolonialbesitz
und wurde teils deshalb, teils aus historischer Höflichkeit auch in Europa noch
mitgerechnet. Keine europäische Konstellation hätte nach menschlichem Ermessen
diesem wunderlichen Verhältnis ein Ende machen können. Da kommt Bruder
Jonathan, schlägt mit plumpem Knüppel drauf los und zeigt der Welt, daß
der Koloß thönerne Beine hat. Ungefähr wußten wir das wohl auch, aber
ganz so kümmerlich haben wirs uns nicht gedacht, auch nicht erwartet, daß
das Todschlagen so schnell gehen würde. Das Zufahren der Amerikaner hatte
im Anfang etwas plumpes, tappiges; nachher sah man, daß alles wohl be¬
rechnet war. Sollten sie den Spanier draußen in den Kolonien noch besser
kennen gelernt und ihn schließlich richtiger eingeschätzt haben, als wir in
Europa?

Es verlohnt sich, kurz auf die vor dem Kriege in Europa geäußerten
Meinungen zurückzublicken und zu sehen, was sich davon bestätigt hat, was
nicht, was uns also dieser Krieg bis jetzt gelehrt hat. Es hieß damals: wie
wollen sich die beiden Gegner fassen? Amerika hat keine Schiffe, und Spanien
kein Geld. Man stellte also die spanische Flotte als Hauptfaktor in Rechnung
und durfte das, denn daß es im letzten Augenblick an Kohlen und Proviant,
an Artillerie und an einer Organisation sür den Kriegsfall gebrach, läßt sich
zwar jetzt aus der gänzlich verlotterten Verwaltung des Landes erklären, da¬
mals aber war es auch bei einem recht ungünstigen Vorurteil nicht voraus¬
zusehen. Schon die lässigen, schleppenden, ziellosen ersten Handlungen der
Spanier verhießen jedoch nichts gutes; nicht ein einziger zweckmäßiger Schritt
läßt sich aus ihrer ganzen Kriegführung hervorheben. Stolze Reden, eine
ganz unfähige Kriegsleitung, Wagemut einzelner sich selbst überlassener Be¬
fehlshaber, damit gewinnt man keine Schlachten. Und ehe noch der Krieg
zu Ende ist, hat man schon die Sündenböcke -- Cervera und Toral --
bereit, deren Preisgabe die Ehre des spanischen Namens zurückerkaufen soll.
Die amerikanischen Milizen haben sich jedenfalls besser bewährt, als man er¬
wartete, und die amerikanische Flotte hat man bei weitem unterschätzt, auch
die einzelnen Admiräle sind tüchtigere Männer, als man gedacht hat. Der
Krieg selbst war ein trauriges, wenig interessantes Schauspiel, ein Maschinen¬
kampf, in dem die persönliche Tapferkeit kaum noch einen Platz hat. Wer die
stärksten Panzerplatten und die weitesttragenden und am schnellsten feuernder
Geschütze hat, muß gewinnen; die menschliche Intelligenz hat vorher, bei der
Beschaffung dieser Mordinstrumente, ihr Werk gethan, während der Aktion ist
sie quÄntitö nLgU^ö^bis. Die Kriegstechniker der verschiednen Staaten werden
sich im einzelnen ihre Erfahrungen an diesen Ereignissen gesammelt haben und
noch sammeln; im ganzen heißt es nun: Schiffe bauen, und unserm neuen
deutschen Marineplan kommt dieses kleine Stück Weltgeschichte gerade recht,


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alter steckende Staatswesen in unser modernes Leben herein, behauptete mit
seinen analphabeten Soldaten einen immer noch beträchtlichen Kolonialbesitz
und wurde teils deshalb, teils aus historischer Höflichkeit auch in Europa noch
mitgerechnet. Keine europäische Konstellation hätte nach menschlichem Ermessen
diesem wunderlichen Verhältnis ein Ende machen können. Da kommt Bruder
Jonathan, schlägt mit plumpem Knüppel drauf los und zeigt der Welt, daß
der Koloß thönerne Beine hat. Ungefähr wußten wir das wohl auch, aber
ganz so kümmerlich haben wirs uns nicht gedacht, auch nicht erwartet, daß
das Todschlagen so schnell gehen würde. Das Zufahren der Amerikaner hatte
im Anfang etwas plumpes, tappiges; nachher sah man, daß alles wohl be¬
rechnet war. Sollten sie den Spanier draußen in den Kolonien noch besser
kennen gelernt und ihn schließlich richtiger eingeschätzt haben, als wir in
Europa?

Es verlohnt sich, kurz auf die vor dem Kriege in Europa geäußerten
Meinungen zurückzublicken und zu sehen, was sich davon bestätigt hat, was
nicht, was uns also dieser Krieg bis jetzt gelehrt hat. Es hieß damals: wie
wollen sich die beiden Gegner fassen? Amerika hat keine Schiffe, und Spanien
kein Geld. Man stellte also die spanische Flotte als Hauptfaktor in Rechnung
und durfte das, denn daß es im letzten Augenblick an Kohlen und Proviant,
an Artillerie und an einer Organisation sür den Kriegsfall gebrach, läßt sich
zwar jetzt aus der gänzlich verlotterten Verwaltung des Landes erklären, da¬
mals aber war es auch bei einem recht ungünstigen Vorurteil nicht voraus¬
zusehen. Schon die lässigen, schleppenden, ziellosen ersten Handlungen der
Spanier verhießen jedoch nichts gutes; nicht ein einziger zweckmäßiger Schritt
läßt sich aus ihrer ganzen Kriegführung hervorheben. Stolze Reden, eine
ganz unfähige Kriegsleitung, Wagemut einzelner sich selbst überlassener Be¬
fehlshaber, damit gewinnt man keine Schlachten. Und ehe noch der Krieg
zu Ende ist, hat man schon die Sündenböcke — Cervera und Toral —
bereit, deren Preisgabe die Ehre des spanischen Namens zurückerkaufen soll.
Die amerikanischen Milizen haben sich jedenfalls besser bewährt, als man er¬
wartete, und die amerikanische Flotte hat man bei weitem unterschätzt, auch
die einzelnen Admiräle sind tüchtigere Männer, als man gedacht hat. Der
Krieg selbst war ein trauriges, wenig interessantes Schauspiel, ein Maschinen¬
kampf, in dem die persönliche Tapferkeit kaum noch einen Platz hat. Wer die
stärksten Panzerplatten und die weitesttragenden und am schnellsten feuernder
Geschütze hat, muß gewinnen; die menschliche Intelligenz hat vorher, bei der
Beschaffung dieser Mordinstrumente, ihr Werk gethan, während der Aktion ist
sie quÄntitö nLgU^ö^bis. Die Kriegstechniker der verschiednen Staaten werden
sich im einzelnen ihre Erfahrungen an diesen Ereignissen gesammelt haben und
noch sammeln; im ganzen heißt es nun: Schiffe bauen, und unserm neuen
deutschen Marineplan kommt dieses kleine Stück Weltgeschichte gerade recht,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/252>, abgerufen am 27.07.2024.