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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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spanisches

Vorsehung bedient sich manchmal unwürdiger Gefäße für ihre Zwecke, und
wenn die Weltgeschichte oft das Weltgericht genannt worden ist. ist es da nicht
merkwürdig, daß Amerika an einem zurückgebliebnen und längst zum Untergang
reifen Rest der alten, historischen Welt das letzte Gericht vollstrecken muß für
die Sünden, die dieses Spanien einst an der Neuen Welt begangen hat? Eng¬
land und auch Frankreich haben einst der Neuen Welt von ihrer Kraft abge¬
geben und der Union und Kanada, wenn auch keineswegs aus reiner Menschen¬
liebe, geholfen, daß sie aus Ländern Staatswesen wurden; die spanischen
Kvuqnistadoren haben nur Raubbau getrieben, und Südamerika, wo einst
Spanien und Portugal auf ihre Weise kolonisirten, kann bis auf den heutigen
Tag nicht zur Ruhe kommen.

Vor mehr als dreihundert Jahren gab das Gold der Neuen Welt Spanien
den größten Einfluß in Europa. Seine Flagge zeigte sich auf allen Meeren,
seine Söldner entschieden die Schlachten; unsre Infanterie führt noch von da
ihren Namen. Dann herrschte noch eine Zeit lang die spanische Tracht in der
Welt, und Spanisch lernen galt, vorübergehend wenigstens, an den Höfen für
so notwendig, wie später Französisch verstehen. Wenn wir aber heute aus¬
drücken wollen, daß wir von etwas so gut wie nichts wissen, daß es uns auch
völlig gleichgiltig sei, so nennen wir das bekanntermaßen "spanisch." In dem
Europa unsers neunzehnten Jahrhunderts ist dieses ganze Spanien, geistig,
politisch und wirtschaftlich, schon lange nur noch ein Anachronismus.

Wie konnte das so kommen? Der Zustand eines Volkes ist ja zum Teil
das Ergebnis geschichtlicher Ereignisse, die ebenso gut auch anders Hütten ver¬
laufen können. Spaniens Geschichte seit dem Anbruch der neuern Zeit ist haupt¬
sächlich Kriegsgeschichte. Während man im übrigen Europa lernte, Staaten
zu verwalten und wirtschaftlich zu stärken, waren die Spanier ans allen Kriegs¬
theatern zu finden, sie eroberten Stücke Italiens und der Niederlande, aber
die Kraft des eignen Landes wuchs nicht mit, und seit dem Erbfolgekrieg, als
Spanien bourbonisch wurde, war es kaum noch eine Militärmacht zweiten
Ranges. Mau hatte von dem Gelde Amerikas Kriege geführt und hoffürtig
gelebt, dem Lande hatte es keinen Segen gebracht. Bestimmend war aber
dabei nicht bloß die persönliche Neigung der Regierenden und die Hauspolitik
gewesen, es lag ebenso sehr am Willen der Nation, daß man so handelte; das
Volk, soweit es damals anzahlte, war mit schuld, nicht nur mißleitet oder
gezwungen. Denn kriegerischer Mut und ein unbändiges Gefühl der eignen
Persönlichkeit sind ja von alters her die Hauptzüge des spanischen Charakters
gewesen, Kriegsthaten und stolze Reden machten den Spanier in Europa be¬
kannt; weiß man von irgend einer großen und nützlichen Erfindung, die in
Spanien gemacht worden wäre? Als die spanische Kultur am glänzendsten
war, war sie eine Mischkultur, die Araber haben einen Hauptanteil daran, sie
bauten, dekorirten, pflanzten Gärten und schrieben Bücher ab. Das alles ge-


spanisches

Vorsehung bedient sich manchmal unwürdiger Gefäße für ihre Zwecke, und
wenn die Weltgeschichte oft das Weltgericht genannt worden ist. ist es da nicht
merkwürdig, daß Amerika an einem zurückgebliebnen und längst zum Untergang
reifen Rest der alten, historischen Welt das letzte Gericht vollstrecken muß für
die Sünden, die dieses Spanien einst an der Neuen Welt begangen hat? Eng¬
land und auch Frankreich haben einst der Neuen Welt von ihrer Kraft abge¬
geben und der Union und Kanada, wenn auch keineswegs aus reiner Menschen¬
liebe, geholfen, daß sie aus Ländern Staatswesen wurden; die spanischen
Kvuqnistadoren haben nur Raubbau getrieben, und Südamerika, wo einst
Spanien und Portugal auf ihre Weise kolonisirten, kann bis auf den heutigen
Tag nicht zur Ruhe kommen.

Vor mehr als dreihundert Jahren gab das Gold der Neuen Welt Spanien
den größten Einfluß in Europa. Seine Flagge zeigte sich auf allen Meeren,
seine Söldner entschieden die Schlachten; unsre Infanterie führt noch von da
ihren Namen. Dann herrschte noch eine Zeit lang die spanische Tracht in der
Welt, und Spanisch lernen galt, vorübergehend wenigstens, an den Höfen für
so notwendig, wie später Französisch verstehen. Wenn wir aber heute aus¬
drücken wollen, daß wir von etwas so gut wie nichts wissen, daß es uns auch
völlig gleichgiltig sei, so nennen wir das bekanntermaßen „spanisch." In dem
Europa unsers neunzehnten Jahrhunderts ist dieses ganze Spanien, geistig,
politisch und wirtschaftlich, schon lange nur noch ein Anachronismus.

Wie konnte das so kommen? Der Zustand eines Volkes ist ja zum Teil
das Ergebnis geschichtlicher Ereignisse, die ebenso gut auch anders Hütten ver¬
laufen können. Spaniens Geschichte seit dem Anbruch der neuern Zeit ist haupt¬
sächlich Kriegsgeschichte. Während man im übrigen Europa lernte, Staaten
zu verwalten und wirtschaftlich zu stärken, waren die Spanier ans allen Kriegs¬
theatern zu finden, sie eroberten Stücke Italiens und der Niederlande, aber
die Kraft des eignen Landes wuchs nicht mit, und seit dem Erbfolgekrieg, als
Spanien bourbonisch wurde, war es kaum noch eine Militärmacht zweiten
Ranges. Mau hatte von dem Gelde Amerikas Kriege geführt und hoffürtig
gelebt, dem Lande hatte es keinen Segen gebracht. Bestimmend war aber
dabei nicht bloß die persönliche Neigung der Regierenden und die Hauspolitik
gewesen, es lag ebenso sehr am Willen der Nation, daß man so handelte; das
Volk, soweit es damals anzahlte, war mit schuld, nicht nur mißleitet oder
gezwungen. Denn kriegerischer Mut und ein unbändiges Gefühl der eignen
Persönlichkeit sind ja von alters her die Hauptzüge des spanischen Charakters
gewesen, Kriegsthaten und stolze Reden machten den Spanier in Europa be¬
kannt; weiß man von irgend einer großen und nützlichen Erfindung, die in
Spanien gemacht worden wäre? Als die spanische Kultur am glänzendsten
war, war sie eine Mischkultur, die Araber haben einen Hauptanteil daran, sie
bauten, dekorirten, pflanzten Gärten und schrieben Bücher ab. Das alles ge-


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[0250] spanisches Vorsehung bedient sich manchmal unwürdiger Gefäße für ihre Zwecke, und wenn die Weltgeschichte oft das Weltgericht genannt worden ist. ist es da nicht merkwürdig, daß Amerika an einem zurückgebliebnen und längst zum Untergang reifen Rest der alten, historischen Welt das letzte Gericht vollstrecken muß für die Sünden, die dieses Spanien einst an der Neuen Welt begangen hat? Eng¬ land und auch Frankreich haben einst der Neuen Welt von ihrer Kraft abge¬ geben und der Union und Kanada, wenn auch keineswegs aus reiner Menschen¬ liebe, geholfen, daß sie aus Ländern Staatswesen wurden; die spanischen Kvuqnistadoren haben nur Raubbau getrieben, und Südamerika, wo einst Spanien und Portugal auf ihre Weise kolonisirten, kann bis auf den heutigen Tag nicht zur Ruhe kommen. Vor mehr als dreihundert Jahren gab das Gold der Neuen Welt Spanien den größten Einfluß in Europa. Seine Flagge zeigte sich auf allen Meeren, seine Söldner entschieden die Schlachten; unsre Infanterie führt noch von da ihren Namen. Dann herrschte noch eine Zeit lang die spanische Tracht in der Welt, und Spanisch lernen galt, vorübergehend wenigstens, an den Höfen für so notwendig, wie später Französisch verstehen. Wenn wir aber heute aus¬ drücken wollen, daß wir von etwas so gut wie nichts wissen, daß es uns auch völlig gleichgiltig sei, so nennen wir das bekanntermaßen „spanisch." In dem Europa unsers neunzehnten Jahrhunderts ist dieses ganze Spanien, geistig, politisch und wirtschaftlich, schon lange nur noch ein Anachronismus. Wie konnte das so kommen? Der Zustand eines Volkes ist ja zum Teil das Ergebnis geschichtlicher Ereignisse, die ebenso gut auch anders Hütten ver¬ laufen können. Spaniens Geschichte seit dem Anbruch der neuern Zeit ist haupt¬ sächlich Kriegsgeschichte. Während man im übrigen Europa lernte, Staaten zu verwalten und wirtschaftlich zu stärken, waren die Spanier ans allen Kriegs¬ theatern zu finden, sie eroberten Stücke Italiens und der Niederlande, aber die Kraft des eignen Landes wuchs nicht mit, und seit dem Erbfolgekrieg, als Spanien bourbonisch wurde, war es kaum noch eine Militärmacht zweiten Ranges. Mau hatte von dem Gelde Amerikas Kriege geführt und hoffürtig gelebt, dem Lande hatte es keinen Segen gebracht. Bestimmend war aber dabei nicht bloß die persönliche Neigung der Regierenden und die Hauspolitik gewesen, es lag ebenso sehr am Willen der Nation, daß man so handelte; das Volk, soweit es damals anzahlte, war mit schuld, nicht nur mißleitet oder gezwungen. Denn kriegerischer Mut und ein unbändiges Gefühl der eignen Persönlichkeit sind ja von alters her die Hauptzüge des spanischen Charakters gewesen, Kriegsthaten und stolze Reden machten den Spanier in Europa be¬ kannt; weiß man von irgend einer großen und nützlichen Erfindung, die in Spanien gemacht worden wäre? Als die spanische Kultur am glänzendsten war, war sie eine Mischkultur, die Araber haben einen Hauptanteil daran, sie bauten, dekorirten, pflanzten Gärten und schrieben Bücher ab. Das alles ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/250>, abgerufen am 01.09.2024.