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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Ein sächsisches Gymnasium während des Krieges von ^370/7^

die Depesche sei da. Während im hellen Glänze der Frühlingssonne Tausende
auf ihre Veröffentlichung warteten, begann gegen 6 Uhr das Glockenlciuten;
in wenig Minuten entrollten sich Tausende von Fahnen, das Rathaus
prangte in den Farben des Reichs, des Landes und der größern Vundesstaaten
und trug die Namen der siegreichen Schlachten an seiner Front; beim Eintritt
der vollen Dunkelheit flammten in allen Straßen die Lichterzeilen auf, nur
hier und da blieb ein Trauerhaus dunkel, und gegen 7 Uhr bildete sich der
Fackelzug, unsre Oberklassen mit der Schulfahne mit darunter, der sich wie
eine feurige Schlange durch die Straßen nach dem Markte wand. Vom Rat¬
hause leuchtete zum erstenmale der Reichsadler mit dem gekrönten ^V, daneben
die Namenszüge unsers Königs und seiner beiden Söhne, sowie die des Kron¬
prinzen Friedrich Wilhelm und des Prinzen Friedrich Karl, während zugleich
Tafeln mit den Namen der gefallnen Gemeindeangehörigen (zwanzig) ernst an
die Opfer mahnten, mit denen so Großes erkämpft worden war. Tausend¬
stimmig stieg nach einer Ansprache aus tiefstem Herzen zum klaren Nachthimmel
der Choral empor: Nun danket alle Gott.

Die Schule ließ die große Zeit ausklingen in ihrer ersten Kaiserfeier am
22. Mürz, die zugleich ihre Friedensfeier war, und bei der ich vor einer großen
Versammlung die Festrede über das Thema hielt: "Was hat uns der Krieg
gebracht?" Doch nur langsam kehrten wir zu ruhiger Stimmung und Arbeit
zurück, denn bis in den Mai hinein gingen die Züge der heimkehrenden
Truppen, meist vom V. und VI. Armeekorps, fort. Der Bahnhof war mit
Laubgewinden und Fahnen geschmückt, lauter Jubel dichtgedrängter Scharen
begrüßte immer wieder die Wackern; die Offiziere wurden im Bahnhof be¬
wirtet, darunter auch der General von Kirchbach, Kommandeur des V. Korps,
der die erste siegreiche Schlacht bei Wörth eröffnet hatte; die Mannschaften er¬
hielten Erfrischungen, Blumensträußchen und ein Gedicht, das mit den Versen
schloß:

Für uns alle, Lehrer wie Schüler, die wir diese gewaltige Zeit mit Be¬
wußtsein durchlebt haben, ist die Erinnerung daran ein unschätzbares und un¬
vergängliches Besitztum für das ganze Leben geworden. Denn damals wurde
es uns klar, daß das höchste irdische Gut des Mannes der Staat, das Vater¬
land ist, und daß erst in einem großen, gerechten Kriege ein Volk wirklich
zum Volke, zur bewußten Gesamtpersönlichkeit wird. Da treten Selbstsucht
und Eigennutz und Parteigegensätze zurück, da erst kommt das Größte und
Beste der menschlichen Natur, die Fähigkeit für andre, für die Gesamtheit
Opfer zu bringen und sich selbst zu vergessen, zur vollen Geltung, da ver-


Ein sächsisches Gymnasium während des Krieges von ^370/7^

die Depesche sei da. Während im hellen Glänze der Frühlingssonne Tausende
auf ihre Veröffentlichung warteten, begann gegen 6 Uhr das Glockenlciuten;
in wenig Minuten entrollten sich Tausende von Fahnen, das Rathaus
prangte in den Farben des Reichs, des Landes und der größern Vundesstaaten
und trug die Namen der siegreichen Schlachten an seiner Front; beim Eintritt
der vollen Dunkelheit flammten in allen Straßen die Lichterzeilen auf, nur
hier und da blieb ein Trauerhaus dunkel, und gegen 7 Uhr bildete sich der
Fackelzug, unsre Oberklassen mit der Schulfahne mit darunter, der sich wie
eine feurige Schlange durch die Straßen nach dem Markte wand. Vom Rat¬
hause leuchtete zum erstenmale der Reichsadler mit dem gekrönten ^V, daneben
die Namenszüge unsers Königs und seiner beiden Söhne, sowie die des Kron¬
prinzen Friedrich Wilhelm und des Prinzen Friedrich Karl, während zugleich
Tafeln mit den Namen der gefallnen Gemeindeangehörigen (zwanzig) ernst an
die Opfer mahnten, mit denen so Großes erkämpft worden war. Tausend¬
stimmig stieg nach einer Ansprache aus tiefstem Herzen zum klaren Nachthimmel
der Choral empor: Nun danket alle Gott.

Die Schule ließ die große Zeit ausklingen in ihrer ersten Kaiserfeier am
22. Mürz, die zugleich ihre Friedensfeier war, und bei der ich vor einer großen
Versammlung die Festrede über das Thema hielt: „Was hat uns der Krieg
gebracht?" Doch nur langsam kehrten wir zu ruhiger Stimmung und Arbeit
zurück, denn bis in den Mai hinein gingen die Züge der heimkehrenden
Truppen, meist vom V. und VI. Armeekorps, fort. Der Bahnhof war mit
Laubgewinden und Fahnen geschmückt, lauter Jubel dichtgedrängter Scharen
begrüßte immer wieder die Wackern; die Offiziere wurden im Bahnhof be¬
wirtet, darunter auch der General von Kirchbach, Kommandeur des V. Korps,
der die erste siegreiche Schlacht bei Wörth eröffnet hatte; die Mannschaften er¬
hielten Erfrischungen, Blumensträußchen und ein Gedicht, das mit den Versen
schloß:

Für uns alle, Lehrer wie Schüler, die wir diese gewaltige Zeit mit Be¬
wußtsein durchlebt haben, ist die Erinnerung daran ein unschätzbares und un¬
vergängliches Besitztum für das ganze Leben geworden. Denn damals wurde
es uns klar, daß das höchste irdische Gut des Mannes der Staat, das Vater¬
land ist, und daß erst in einem großen, gerechten Kriege ein Volk wirklich
zum Volke, zur bewußten Gesamtpersönlichkeit wird. Da treten Selbstsucht
und Eigennutz und Parteigegensätze zurück, da erst kommt das Größte und
Beste der menschlichen Natur, die Fähigkeit für andre, für die Gesamtheit
Opfer zu bringen und sich selbst zu vergessen, zur vollen Geltung, da ver-


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[0213] Ein sächsisches Gymnasium während des Krieges von ^370/7^ die Depesche sei da. Während im hellen Glänze der Frühlingssonne Tausende auf ihre Veröffentlichung warteten, begann gegen 6 Uhr das Glockenlciuten; in wenig Minuten entrollten sich Tausende von Fahnen, das Rathaus prangte in den Farben des Reichs, des Landes und der größern Vundesstaaten und trug die Namen der siegreichen Schlachten an seiner Front; beim Eintritt der vollen Dunkelheit flammten in allen Straßen die Lichterzeilen auf, nur hier und da blieb ein Trauerhaus dunkel, und gegen 7 Uhr bildete sich der Fackelzug, unsre Oberklassen mit der Schulfahne mit darunter, der sich wie eine feurige Schlange durch die Straßen nach dem Markte wand. Vom Rat¬ hause leuchtete zum erstenmale der Reichsadler mit dem gekrönten ^V, daneben die Namenszüge unsers Königs und seiner beiden Söhne, sowie die des Kron¬ prinzen Friedrich Wilhelm und des Prinzen Friedrich Karl, während zugleich Tafeln mit den Namen der gefallnen Gemeindeangehörigen (zwanzig) ernst an die Opfer mahnten, mit denen so Großes erkämpft worden war. Tausend¬ stimmig stieg nach einer Ansprache aus tiefstem Herzen zum klaren Nachthimmel der Choral empor: Nun danket alle Gott. Die Schule ließ die große Zeit ausklingen in ihrer ersten Kaiserfeier am 22. Mürz, die zugleich ihre Friedensfeier war, und bei der ich vor einer großen Versammlung die Festrede über das Thema hielt: „Was hat uns der Krieg gebracht?" Doch nur langsam kehrten wir zu ruhiger Stimmung und Arbeit zurück, denn bis in den Mai hinein gingen die Züge der heimkehrenden Truppen, meist vom V. und VI. Armeekorps, fort. Der Bahnhof war mit Laubgewinden und Fahnen geschmückt, lauter Jubel dichtgedrängter Scharen begrüßte immer wieder die Wackern; die Offiziere wurden im Bahnhof be¬ wirtet, darunter auch der General von Kirchbach, Kommandeur des V. Korps, der die erste siegreiche Schlacht bei Wörth eröffnet hatte; die Mannschaften er¬ hielten Erfrischungen, Blumensträußchen und ein Gedicht, das mit den Versen schloß: Für uns alle, Lehrer wie Schüler, die wir diese gewaltige Zeit mit Be¬ wußtsein durchlebt haben, ist die Erinnerung daran ein unschätzbares und un¬ vergängliches Besitztum für das ganze Leben geworden. Denn damals wurde es uns klar, daß das höchste irdische Gut des Mannes der Staat, das Vater¬ land ist, und daß erst in einem großen, gerechten Kriege ein Volk wirklich zum Volke, zur bewußten Gesamtpersönlichkeit wird. Da treten Selbstsucht und Eigennutz und Parteigegensätze zurück, da erst kommt das Größte und Beste der menschlichen Natur, die Fähigkeit für andre, für die Gesamtheit Opfer zu bringen und sich selbst zu vergessen, zur vollen Geltung, da ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/213>, abgerufen am 28.07.2024.