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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Der fünfte Band des Bismarck-Jahrbuchs

Kaiserin "weniger in ihren Herzensneigungen als in ihrer weiblichen Würde"
aufs tiefste kränkte, den Kaiser Physisch ruinirte und "sein persönliches Ansehen,
namentlich in den arbeitenden Klassen, welche einen fanatischen Haß gegen die
Cocottes im allgemeinen hegen, in bedenklicher Weise erschüttert, während die
Kaiserin, aus deren Munde übrigens niemand eine Klage vernimmt, bemit¬
leidet und sie dadurch populär zu werden beginnt" (9. Dezember 1864). Im
übrigen stand Goltz zu dem Kaiserpaare vorzüglich und betont in demselben
Briefe nachdrücklich, "daß in Frankreich keine einer ehrgeizigen Politik Preußens
günstigere Regierung sich denken läßt als diejenige des Kaisers Napoleon. Dies
hat mir noch vor einigen Tagen Thiers zugegeben, der dem Kaiser eben vor¬
wirft, daß seine Politik nur Preußen befriedigen könne, aber den Interessen
Frankreichs nicht entspreche, und diese Macht gleichzeitig in Gegensatz zu Eng¬
land, Österreich, Rußland und dem Katholizismus setze." Der tiefste Grund
des Sturzes Napoleons III. ist damit angedeutet: der Widerspruch seiner per¬
sönlichen Politik zu den französischen Traditionen.

Goltz erlebte in diesen Jahren zwei Ergebnisse dieser Politik, die den Fran¬
zosen als Fehlschläge galten, die Niederlage Napoleons in der polnischen Frage
1863 und den Sieg Preußens in Schleswig-Holstein 1864. Bekanntlich trat
Preußen dem polnischen Aufstande durch die Februarkonvention mit Rußland
sofort entschlossen entgegen und erwarb sich damit, indem es seine Interessen
wahrte, zugleich den Dank Rußlands; Österreich dagegen ließ in Galizien die
Bildung polnischer Banden und ihren Übertritt nach Russisch-Polen zu, ja
man dachte dort, wie Goltz hörte, sogar an die Wiederherstellung Polens (sank
hö äväorniNÄZkr g-ülsurs) im Bunde mit Frankreich und England und verletzte
dadurch ebenso Preußen wie das ohnehin gereizte Rußland aufs schwerste,
ohne jeden Nutzen, deun Frankreich zog sich schließlich zurück, weil England
um Polens willen nicht losschlagen wollte (27. Juni und 16. Oktober 1363).
Wie Goltz schon hier nicht in Übereinstimmung mit seinem Chef war, weil
er von dessen polenfeindlicher Haltung eine "Jsolirung" Preußens befürchtete,
so vertrat er in der Schleswig-holsteinischen Sache in seinen amtlichen Berichten
wie in seinen Briefen an Bismarck eine dessen Geschäftsführung gerade ent¬
gesetzte Auffassung. In einem langen Schreiben vom 22. Dezember 1863 ver¬
wirft er jedes (von ihm schon früher) bekämpfte Bündnis mit Österreich, fordert
die Unterstützung der in Deutschland so populären Augustenburgischen An¬
sprüche und die Lossagung vom Londoner Protokoll, das ein "revolutionärer
Akt" gewesen sei.

Schon am Weihnachtsabend antwortet ihm Bismarck in einem seiner gro߬
artigsten Briefe ("ich würde an niemand als an Sie den vierten Teil des
Briefes schreiben"). Goltz schreibe nicht mehr Berichte, sondern ministerielle
Vorträge, und doch könne es in Preußen nur einen Minister der auswärtigen
Angelegenheiten geben. Die Frage sei, ob Preußen eine Großmacht oder (nur)
ein deutscher Bundesstaat sei, ob es monarchisch oder "durch Professoren, Kreis-


Der fünfte Band des Bismarck-Jahrbuchs

Kaiserin „weniger in ihren Herzensneigungen als in ihrer weiblichen Würde"
aufs tiefste kränkte, den Kaiser Physisch ruinirte und „sein persönliches Ansehen,
namentlich in den arbeitenden Klassen, welche einen fanatischen Haß gegen die
Cocottes im allgemeinen hegen, in bedenklicher Weise erschüttert, während die
Kaiserin, aus deren Munde übrigens niemand eine Klage vernimmt, bemit¬
leidet und sie dadurch populär zu werden beginnt" (9. Dezember 1864). Im
übrigen stand Goltz zu dem Kaiserpaare vorzüglich und betont in demselben
Briefe nachdrücklich, „daß in Frankreich keine einer ehrgeizigen Politik Preußens
günstigere Regierung sich denken läßt als diejenige des Kaisers Napoleon. Dies
hat mir noch vor einigen Tagen Thiers zugegeben, der dem Kaiser eben vor¬
wirft, daß seine Politik nur Preußen befriedigen könne, aber den Interessen
Frankreichs nicht entspreche, und diese Macht gleichzeitig in Gegensatz zu Eng¬
land, Österreich, Rußland und dem Katholizismus setze." Der tiefste Grund
des Sturzes Napoleons III. ist damit angedeutet: der Widerspruch seiner per¬
sönlichen Politik zu den französischen Traditionen.

Goltz erlebte in diesen Jahren zwei Ergebnisse dieser Politik, die den Fran¬
zosen als Fehlschläge galten, die Niederlage Napoleons in der polnischen Frage
1863 und den Sieg Preußens in Schleswig-Holstein 1864. Bekanntlich trat
Preußen dem polnischen Aufstande durch die Februarkonvention mit Rußland
sofort entschlossen entgegen und erwarb sich damit, indem es seine Interessen
wahrte, zugleich den Dank Rußlands; Österreich dagegen ließ in Galizien die
Bildung polnischer Banden und ihren Übertritt nach Russisch-Polen zu, ja
man dachte dort, wie Goltz hörte, sogar an die Wiederherstellung Polens (sank
hö äväorniNÄZkr g-ülsurs) im Bunde mit Frankreich und England und verletzte
dadurch ebenso Preußen wie das ohnehin gereizte Rußland aufs schwerste,
ohne jeden Nutzen, deun Frankreich zog sich schließlich zurück, weil England
um Polens willen nicht losschlagen wollte (27. Juni und 16. Oktober 1363).
Wie Goltz schon hier nicht in Übereinstimmung mit seinem Chef war, weil
er von dessen polenfeindlicher Haltung eine „Jsolirung" Preußens befürchtete,
so vertrat er in der Schleswig-holsteinischen Sache in seinen amtlichen Berichten
wie in seinen Briefen an Bismarck eine dessen Geschäftsführung gerade ent¬
gesetzte Auffassung. In einem langen Schreiben vom 22. Dezember 1863 ver¬
wirft er jedes (von ihm schon früher) bekämpfte Bündnis mit Österreich, fordert
die Unterstützung der in Deutschland so populären Augustenburgischen An¬
sprüche und die Lossagung vom Londoner Protokoll, das ein „revolutionärer
Akt" gewesen sei.

Schon am Weihnachtsabend antwortet ihm Bismarck in einem seiner gro߬
artigsten Briefe („ich würde an niemand als an Sie den vierten Teil des
Briefes schreiben"). Goltz schreibe nicht mehr Berichte, sondern ministerielle
Vorträge, und doch könne es in Preußen nur einen Minister der auswärtigen
Angelegenheiten geben. Die Frage sei, ob Preußen eine Großmacht oder (nur)
ein deutscher Bundesstaat sei, ob es monarchisch oder „durch Professoren, Kreis-


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[0176] Der fünfte Band des Bismarck-Jahrbuchs Kaiserin „weniger in ihren Herzensneigungen als in ihrer weiblichen Würde" aufs tiefste kränkte, den Kaiser Physisch ruinirte und „sein persönliches Ansehen, namentlich in den arbeitenden Klassen, welche einen fanatischen Haß gegen die Cocottes im allgemeinen hegen, in bedenklicher Weise erschüttert, während die Kaiserin, aus deren Munde übrigens niemand eine Klage vernimmt, bemit¬ leidet und sie dadurch populär zu werden beginnt" (9. Dezember 1864). Im übrigen stand Goltz zu dem Kaiserpaare vorzüglich und betont in demselben Briefe nachdrücklich, „daß in Frankreich keine einer ehrgeizigen Politik Preußens günstigere Regierung sich denken läßt als diejenige des Kaisers Napoleon. Dies hat mir noch vor einigen Tagen Thiers zugegeben, der dem Kaiser eben vor¬ wirft, daß seine Politik nur Preußen befriedigen könne, aber den Interessen Frankreichs nicht entspreche, und diese Macht gleichzeitig in Gegensatz zu Eng¬ land, Österreich, Rußland und dem Katholizismus setze." Der tiefste Grund des Sturzes Napoleons III. ist damit angedeutet: der Widerspruch seiner per¬ sönlichen Politik zu den französischen Traditionen. Goltz erlebte in diesen Jahren zwei Ergebnisse dieser Politik, die den Fran¬ zosen als Fehlschläge galten, die Niederlage Napoleons in der polnischen Frage 1863 und den Sieg Preußens in Schleswig-Holstein 1864. Bekanntlich trat Preußen dem polnischen Aufstande durch die Februarkonvention mit Rußland sofort entschlossen entgegen und erwarb sich damit, indem es seine Interessen wahrte, zugleich den Dank Rußlands; Österreich dagegen ließ in Galizien die Bildung polnischer Banden und ihren Übertritt nach Russisch-Polen zu, ja man dachte dort, wie Goltz hörte, sogar an die Wiederherstellung Polens (sank hö äväorniNÄZkr g-ülsurs) im Bunde mit Frankreich und England und verletzte dadurch ebenso Preußen wie das ohnehin gereizte Rußland aufs schwerste, ohne jeden Nutzen, deun Frankreich zog sich schließlich zurück, weil England um Polens willen nicht losschlagen wollte (27. Juni und 16. Oktober 1363). Wie Goltz schon hier nicht in Übereinstimmung mit seinem Chef war, weil er von dessen polenfeindlicher Haltung eine „Jsolirung" Preußens befürchtete, so vertrat er in der Schleswig-holsteinischen Sache in seinen amtlichen Berichten wie in seinen Briefen an Bismarck eine dessen Geschäftsführung gerade ent¬ gesetzte Auffassung. In einem langen Schreiben vom 22. Dezember 1863 ver¬ wirft er jedes (von ihm schon früher) bekämpfte Bündnis mit Österreich, fordert die Unterstützung der in Deutschland so populären Augustenburgischen An¬ sprüche und die Lossagung vom Londoner Protokoll, das ein „revolutionärer Akt" gewesen sei. Schon am Weihnachtsabend antwortet ihm Bismarck in einem seiner gro߬ artigsten Briefe („ich würde an niemand als an Sie den vierten Teil des Briefes schreiben"). Goltz schreibe nicht mehr Berichte, sondern ministerielle Vorträge, und doch könne es in Preußen nur einen Minister der auswärtigen Angelegenheiten geben. Die Frage sei, ob Preußen eine Großmacht oder (nur) ein deutscher Bundesstaat sei, ob es monarchisch oder „durch Professoren, Kreis-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/176>, abgerufen am 28.07.2024.