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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Makedonien

Nach den Erfahrungen, die ich in der europäischen Türkei und im osma-
nischen Kriegslager machen durfte, kann ich diese vorzügliche Schilderung des
Türken nur bestätigen; auch in der europäischen Türkei würde der deutsche
Kolonist an dem herrschenden Osmanen nur einen freundlich gesinnten, wohl¬
wollenden, ehrlichen und treuen Nachbarn finden, der ihn von der slawischen
Rajah wohl zu unterscheiden wissen und gern mit eintreten lassen wird in
die herrschende Stellung im Lande. Das abgünstige Urteil über die Effendi-
klasse in Stambul und über die aus ihr hervorgehenden verrufnen Beamten
zu bestätigen, würde ich Anstand nehmen nach der kurzen Zeit von ein paar
Monaten, die ich im Lande war, obwohl ich manche ungünstigen Eindrücke
bekam; denn ich habe auch unter den höhern Beamten manche Leute kennen
gelernt, die einem nur Achtung und Zuneigung abgewinnen konnten. Nach
einem Briefe, den ich kürzlich erhalten habe, muß ich aber annehmen, daß
auch das ungünstige Urteil zutrifft. Der Schreiber des Briefes, zur Zeit
vielleicht der erste Kenner des Orients in Deutschland, ruft in diesem Briefe
aus: "Was könnte aus diesem Volke werden, wenn es verstünde, sich eine
andre Regierung zu geben oder die bestehende sich ändern wollte!"

Gleichzeitig aber erhalte ich von maßgebender Stelle aus Konstantinopel
wie aus Berlin Nachrichten, aus denen unzweifelhaft hervorgeht, daß man sich
in der Türkei an leitender Stelle darüber ganz klar ist, daß die einzige Rettung
darin liegt, mit allen Kräften an der moralischen und materiellen Hebung des
Reichs zu arbeiten. Hier scheint mir also der Punkt gegeben, um einzusetzen.
Erklären wir ruhig und deutlich der Türkei: Willst du und vermagst du dich
noch zu halten, so kannst du auf unsre volle und ehrliche Unterstützung rechnen,
falls du dich innig an uns und das mit uns verbündete Österreich-Ungarn
anschließen willst und uns durch Begünstigung unsers Handels und unsrer
Schiffahrt die kürzeste Linie nach dem nahen und fernen Orient eröffnest
und uns zugleich deine zu schwach bevölkerten Gebiete an der Landlinie nach
unserm natürlichen Levantehafen, nach Salonik, zur Ansiedlung unsers Über¬
schusses an Menschen anweisen willst. Willst du diesen ehrlichen Vertrag aber
nicht mit uns eingehen, gut, so werden wir dich deinem Schicksal überlassen;
dann sieh selber zu, wie du mit Nußland und England fertig wirst. Wir
können es abwarten, denn wie es auch gehe, von jenen beiden wird keines
dieses Thor uns verschließen. Auch wir kennen das türkische Sprichwort:
dillviM dir, das Pferd gehört dem, der sich in den Sattel schwingt, und wenn
dich dann einmal die andern aus dem Sattel werfen, dann werden wir klug
genug sein, uns selber darauf zu schwingen.




Makedonien

Nach den Erfahrungen, die ich in der europäischen Türkei und im osma-
nischen Kriegslager machen durfte, kann ich diese vorzügliche Schilderung des
Türken nur bestätigen; auch in der europäischen Türkei würde der deutsche
Kolonist an dem herrschenden Osmanen nur einen freundlich gesinnten, wohl¬
wollenden, ehrlichen und treuen Nachbarn finden, der ihn von der slawischen
Rajah wohl zu unterscheiden wissen und gern mit eintreten lassen wird in
die herrschende Stellung im Lande. Das abgünstige Urteil über die Effendi-
klasse in Stambul und über die aus ihr hervorgehenden verrufnen Beamten
zu bestätigen, würde ich Anstand nehmen nach der kurzen Zeit von ein paar
Monaten, die ich im Lande war, obwohl ich manche ungünstigen Eindrücke
bekam; denn ich habe auch unter den höhern Beamten manche Leute kennen
gelernt, die einem nur Achtung und Zuneigung abgewinnen konnten. Nach
einem Briefe, den ich kürzlich erhalten habe, muß ich aber annehmen, daß
auch das ungünstige Urteil zutrifft. Der Schreiber des Briefes, zur Zeit
vielleicht der erste Kenner des Orients in Deutschland, ruft in diesem Briefe
aus: „Was könnte aus diesem Volke werden, wenn es verstünde, sich eine
andre Regierung zu geben oder die bestehende sich ändern wollte!"

Gleichzeitig aber erhalte ich von maßgebender Stelle aus Konstantinopel
wie aus Berlin Nachrichten, aus denen unzweifelhaft hervorgeht, daß man sich
in der Türkei an leitender Stelle darüber ganz klar ist, daß die einzige Rettung
darin liegt, mit allen Kräften an der moralischen und materiellen Hebung des
Reichs zu arbeiten. Hier scheint mir also der Punkt gegeben, um einzusetzen.
Erklären wir ruhig und deutlich der Türkei: Willst du und vermagst du dich
noch zu halten, so kannst du auf unsre volle und ehrliche Unterstützung rechnen,
falls du dich innig an uns und das mit uns verbündete Österreich-Ungarn
anschließen willst und uns durch Begünstigung unsers Handels und unsrer
Schiffahrt die kürzeste Linie nach dem nahen und fernen Orient eröffnest
und uns zugleich deine zu schwach bevölkerten Gebiete an der Landlinie nach
unserm natürlichen Levantehafen, nach Salonik, zur Ansiedlung unsers Über¬
schusses an Menschen anweisen willst. Willst du diesen ehrlichen Vertrag aber
nicht mit uns eingehen, gut, so werden wir dich deinem Schicksal überlassen;
dann sieh selber zu, wie du mit Nußland und England fertig wirst. Wir
können es abwarten, denn wie es auch gehe, von jenen beiden wird keines
dieses Thor uns verschließen. Auch wir kennen das türkische Sprichwort:
dillviM dir, das Pferd gehört dem, der sich in den Sattel schwingt, und wenn
dich dann einmal die andern aus dem Sattel werfen, dann werden wir klug
genug sein, uns selber darauf zu schwingen.




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[0171] Makedonien Nach den Erfahrungen, die ich in der europäischen Türkei und im osma- nischen Kriegslager machen durfte, kann ich diese vorzügliche Schilderung des Türken nur bestätigen; auch in der europäischen Türkei würde der deutsche Kolonist an dem herrschenden Osmanen nur einen freundlich gesinnten, wohl¬ wollenden, ehrlichen und treuen Nachbarn finden, der ihn von der slawischen Rajah wohl zu unterscheiden wissen und gern mit eintreten lassen wird in die herrschende Stellung im Lande. Das abgünstige Urteil über die Effendi- klasse in Stambul und über die aus ihr hervorgehenden verrufnen Beamten zu bestätigen, würde ich Anstand nehmen nach der kurzen Zeit von ein paar Monaten, die ich im Lande war, obwohl ich manche ungünstigen Eindrücke bekam; denn ich habe auch unter den höhern Beamten manche Leute kennen gelernt, die einem nur Achtung und Zuneigung abgewinnen konnten. Nach einem Briefe, den ich kürzlich erhalten habe, muß ich aber annehmen, daß auch das ungünstige Urteil zutrifft. Der Schreiber des Briefes, zur Zeit vielleicht der erste Kenner des Orients in Deutschland, ruft in diesem Briefe aus: „Was könnte aus diesem Volke werden, wenn es verstünde, sich eine andre Regierung zu geben oder die bestehende sich ändern wollte!" Gleichzeitig aber erhalte ich von maßgebender Stelle aus Konstantinopel wie aus Berlin Nachrichten, aus denen unzweifelhaft hervorgeht, daß man sich in der Türkei an leitender Stelle darüber ganz klar ist, daß die einzige Rettung darin liegt, mit allen Kräften an der moralischen und materiellen Hebung des Reichs zu arbeiten. Hier scheint mir also der Punkt gegeben, um einzusetzen. Erklären wir ruhig und deutlich der Türkei: Willst du und vermagst du dich noch zu halten, so kannst du auf unsre volle und ehrliche Unterstützung rechnen, falls du dich innig an uns und das mit uns verbündete Österreich-Ungarn anschließen willst und uns durch Begünstigung unsers Handels und unsrer Schiffahrt die kürzeste Linie nach dem nahen und fernen Orient eröffnest und uns zugleich deine zu schwach bevölkerten Gebiete an der Landlinie nach unserm natürlichen Levantehafen, nach Salonik, zur Ansiedlung unsers Über¬ schusses an Menschen anweisen willst. Willst du diesen ehrlichen Vertrag aber nicht mit uns eingehen, gut, so werden wir dich deinem Schicksal überlassen; dann sieh selber zu, wie du mit Nußland und England fertig wirst. Wir können es abwarten, denn wie es auch gehe, von jenen beiden wird keines dieses Thor uns verschließen. Auch wir kennen das türkische Sprichwort: dillviM dir, das Pferd gehört dem, der sich in den Sattel schwingt, und wenn dich dann einmal die andern aus dem Sattel werfen, dann werden wir klug genug sein, uns selber darauf zu schwingen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/171>, abgerufen am 27.07.2024.