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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Makedonien

der Stadt vorzügliche Beratung durch den Arzt der Jesuiten und eine geschickte
und anständige Pflege durch die den Jesuiten angegliederten Schwestern. Frei¬
lich die Alleinherrschaft über das europäische Schulwesen, die die Jesuiten
früher dort ausübten, ist nun gebrochen durch eine von allen Konfessionen
und Nationen besuchte deutsche Schule, die die deutsch-österreichisch-schweizerische
Kolonie dort gegründet hat, und die trefflich gedeiht. Rechnet man diese
Franken noch zu den übrigen Völkern, so wird man die französische Bezeich¬
nung für das, was wir einen italienischen Salat nennen: uns sg.Ig,ä6 Z, 1s,
Ng,o6äoio.6 eher noch treffend finden als die französische Bezeichnung für den
Falschspieler: un 6^0, an die beim vorjährigen Kriege erinnert worden ist,
namentlich von den Gläubigern des Königreichs.

Thatsächlich könnte sich auch die lebhafteste Phantasie kein bunteres Völker¬
gemisch vorstellen, als es hier zusammengewürfelt ist. Wie kommt aber gerade
dieses Land dazu? Der Grund dafür liegt teils in seiner äußern Lage, teils
in seiner innern Bildung. Sowohl die Völkerzüge, die von der südrussischen
Ebne gegen das westliche und südliche Europa vordrangen, warfen ihre Wellen
die Valkanhalbinsel hinab, und es ist bezeichnend, daß gerade am südlichsten
Ende dieser Sackgasse, auf der Peloponnes ein besonders kompaktes Stück der
slawischen Einwanderung stecken geblieben ist; andrerseits aber greift die Balkan¬
halbinsel am Bosporus und an den Dardanellen auch wieder dicht nach Klein¬
asien hin. Völker, die noch über diese Meerengen herüber zu dringen ver¬
mochten, waren wohl imstande, das Land bis zu der hohen Scheidewand des
östlich streichenden Balkan, ja auch bis zur Donau und den Karpaten dauernd
zu halten und sich in ihm festzusetzen, während ihnen die Stärke zu einem
erfolgreichen Vorstoß bis nach Mitteleuropa hinein fehlte, wie ja dann die
Türken zweimal von Wien zurückgetrieben, in der Folge auch das stammver¬
wandte, aber durch das Christentum schon an Europa angegliederte Ungarn
wieder räumen mußten. Zu dieser äußern Lage der Balkanhalbinsel kommt
ihre eigentümliche Bodenbeschaffenheit. Durchzogen teils von südlich laufenden
Gebirgen, die eine Fortsetzung der Alpen darstellen, teils von östlich laufenden
Stöcken, die sich an das Karpatenshstem anschließen, bietet die Balkanhalbinsel
in ihren zahlreichen, nach allen Seiten fast völlig abgeschlossenen Ringbecken
auch kleinern Teilen hereingefluteter Völker die Möglichkeit, dauernd ihre eigne
Art und Sprache zu behaupten, ähnlich wie wir dies in den Alpen sehen, da
wo sich rhätoromanische oder gotische Sprachinseln erhalten haben; immer
sind es solche Ningbecken, die diese bergen.

Eines ihrer herrlichsten Kornländer, Thessalien, hat die Türkei auf
Grund der Berliner Verhandlungen von 1878 im Jahre 1881 an das König¬
reich Griechenland verloren. Dort . bin ich ,im , Mai vorigen Jahres durch
Felder geritten, deren gelbe Ähren meinem nicht kleinen Pferde über die Nase
heraufreichten^ Aber kaum viel weniger fruchtbar sind die Gefilde am Wardar


Makedonien

der Stadt vorzügliche Beratung durch den Arzt der Jesuiten und eine geschickte
und anständige Pflege durch die den Jesuiten angegliederten Schwestern. Frei¬
lich die Alleinherrschaft über das europäische Schulwesen, die die Jesuiten
früher dort ausübten, ist nun gebrochen durch eine von allen Konfessionen
und Nationen besuchte deutsche Schule, die die deutsch-österreichisch-schweizerische
Kolonie dort gegründet hat, und die trefflich gedeiht. Rechnet man diese
Franken noch zu den übrigen Völkern, so wird man die französische Bezeich¬
nung für das, was wir einen italienischen Salat nennen: uns sg.Ig,ä6 Z, 1s,
Ng,o6äoio.6 eher noch treffend finden als die französische Bezeichnung für den
Falschspieler: un 6^0, an die beim vorjährigen Kriege erinnert worden ist,
namentlich von den Gläubigern des Königreichs.

Thatsächlich könnte sich auch die lebhafteste Phantasie kein bunteres Völker¬
gemisch vorstellen, als es hier zusammengewürfelt ist. Wie kommt aber gerade
dieses Land dazu? Der Grund dafür liegt teils in seiner äußern Lage, teils
in seiner innern Bildung. Sowohl die Völkerzüge, die von der südrussischen
Ebne gegen das westliche und südliche Europa vordrangen, warfen ihre Wellen
die Valkanhalbinsel hinab, und es ist bezeichnend, daß gerade am südlichsten
Ende dieser Sackgasse, auf der Peloponnes ein besonders kompaktes Stück der
slawischen Einwanderung stecken geblieben ist; andrerseits aber greift die Balkan¬
halbinsel am Bosporus und an den Dardanellen auch wieder dicht nach Klein¬
asien hin. Völker, die noch über diese Meerengen herüber zu dringen ver¬
mochten, waren wohl imstande, das Land bis zu der hohen Scheidewand des
östlich streichenden Balkan, ja auch bis zur Donau und den Karpaten dauernd
zu halten und sich in ihm festzusetzen, während ihnen die Stärke zu einem
erfolgreichen Vorstoß bis nach Mitteleuropa hinein fehlte, wie ja dann die
Türken zweimal von Wien zurückgetrieben, in der Folge auch das stammver¬
wandte, aber durch das Christentum schon an Europa angegliederte Ungarn
wieder räumen mußten. Zu dieser äußern Lage der Balkanhalbinsel kommt
ihre eigentümliche Bodenbeschaffenheit. Durchzogen teils von südlich laufenden
Gebirgen, die eine Fortsetzung der Alpen darstellen, teils von östlich laufenden
Stöcken, die sich an das Karpatenshstem anschließen, bietet die Balkanhalbinsel
in ihren zahlreichen, nach allen Seiten fast völlig abgeschlossenen Ringbecken
auch kleinern Teilen hereingefluteter Völker die Möglichkeit, dauernd ihre eigne
Art und Sprache zu behaupten, ähnlich wie wir dies in den Alpen sehen, da
wo sich rhätoromanische oder gotische Sprachinseln erhalten haben; immer
sind es solche Ningbecken, die diese bergen.

Eines ihrer herrlichsten Kornländer, Thessalien, hat die Türkei auf
Grund der Berliner Verhandlungen von 1878 im Jahre 1881 an das König¬
reich Griechenland verloren. Dort . bin ich ,im , Mai vorigen Jahres durch
Felder geritten, deren gelbe Ähren meinem nicht kleinen Pferde über die Nase
heraufreichten^ Aber kaum viel weniger fruchtbar sind die Gefilde am Wardar


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[0167] Makedonien der Stadt vorzügliche Beratung durch den Arzt der Jesuiten und eine geschickte und anständige Pflege durch die den Jesuiten angegliederten Schwestern. Frei¬ lich die Alleinherrschaft über das europäische Schulwesen, die die Jesuiten früher dort ausübten, ist nun gebrochen durch eine von allen Konfessionen und Nationen besuchte deutsche Schule, die die deutsch-österreichisch-schweizerische Kolonie dort gegründet hat, und die trefflich gedeiht. Rechnet man diese Franken noch zu den übrigen Völkern, so wird man die französische Bezeich¬ nung für das, was wir einen italienischen Salat nennen: uns sg.Ig,ä6 Z, 1s, Ng,o6äoio.6 eher noch treffend finden als die französische Bezeichnung für den Falschspieler: un 6^0, an die beim vorjährigen Kriege erinnert worden ist, namentlich von den Gläubigern des Königreichs. Thatsächlich könnte sich auch die lebhafteste Phantasie kein bunteres Völker¬ gemisch vorstellen, als es hier zusammengewürfelt ist. Wie kommt aber gerade dieses Land dazu? Der Grund dafür liegt teils in seiner äußern Lage, teils in seiner innern Bildung. Sowohl die Völkerzüge, die von der südrussischen Ebne gegen das westliche und südliche Europa vordrangen, warfen ihre Wellen die Valkanhalbinsel hinab, und es ist bezeichnend, daß gerade am südlichsten Ende dieser Sackgasse, auf der Peloponnes ein besonders kompaktes Stück der slawischen Einwanderung stecken geblieben ist; andrerseits aber greift die Balkan¬ halbinsel am Bosporus und an den Dardanellen auch wieder dicht nach Klein¬ asien hin. Völker, die noch über diese Meerengen herüber zu dringen ver¬ mochten, waren wohl imstande, das Land bis zu der hohen Scheidewand des östlich streichenden Balkan, ja auch bis zur Donau und den Karpaten dauernd zu halten und sich in ihm festzusetzen, während ihnen die Stärke zu einem erfolgreichen Vorstoß bis nach Mitteleuropa hinein fehlte, wie ja dann die Türken zweimal von Wien zurückgetrieben, in der Folge auch das stammver¬ wandte, aber durch das Christentum schon an Europa angegliederte Ungarn wieder räumen mußten. Zu dieser äußern Lage der Balkanhalbinsel kommt ihre eigentümliche Bodenbeschaffenheit. Durchzogen teils von südlich laufenden Gebirgen, die eine Fortsetzung der Alpen darstellen, teils von östlich laufenden Stöcken, die sich an das Karpatenshstem anschließen, bietet die Balkanhalbinsel in ihren zahlreichen, nach allen Seiten fast völlig abgeschlossenen Ringbecken auch kleinern Teilen hereingefluteter Völker die Möglichkeit, dauernd ihre eigne Art und Sprache zu behaupten, ähnlich wie wir dies in den Alpen sehen, da wo sich rhätoromanische oder gotische Sprachinseln erhalten haben; immer sind es solche Ningbecken, die diese bergen. Eines ihrer herrlichsten Kornländer, Thessalien, hat die Türkei auf Grund der Berliner Verhandlungen von 1878 im Jahre 1881 an das König¬ reich Griechenland verloren. Dort . bin ich ,im , Mai vorigen Jahres durch Felder geritten, deren gelbe Ähren meinem nicht kleinen Pferde über die Nase heraufreichten^ Aber kaum viel weniger fruchtbar sind die Gefilde am Wardar

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/167>, abgerufen am 28.07.2024.