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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Makedonien

Jahr 1650 schrieb und meinte: "Obwohl nun die Stadt durch das Unglück,
so mit Juden überhäuft zu sein, gebrandmarkt ist, so wird diese Schande doch
durch den weltlichen Nutzen dieser Bewohner wieder ausgelöscht."

Einen weniger angenehmen Eindruck als die in ihre langen, offnen, pelz¬
verbrämten Kaftans gekleideten spanischen Juden, unter denen man namentlich
alte Männer mit wunderschönen großen Prvphetenbärten und prächtigem Ge¬
sichtsausdruck findet, machen in Salonik die durchaus europäisch gekleideten
und nur durch den Fez unterschiednem Griechen mit ihren kalten, stechenden,
unwillkürlich die Habgier und Lust am Prellen verratenden Augen. Sie sind
jedoch nicht allzu zahlreich in der Stadt; Braun schätzte sie 1875 zwischen
sechs- und achttausend; das dürfte aber wohl zu niedrig sein. Sie sind hier
namentlich als Kaufleute thätig, aber auch als Dienstboten und Kellner, Lehrer
und Ärzte, Garköche, Schenkwirte und Krämer -- als alles, nur nicht als
Bauern und Handwerker. Im Großhandel werden sie mehr und mehr von den
viel rührigern und zuverlässigem Juden hinausgedrückt, mit denen sie übrigens
die kosmopolitische Expansionskraft und Anpassungsfähigkeit gemein haben,
sowie die Zähigkeit im Zusammenhalten- Dazu kommt ihr Talent, sich andre
Völker zu assimiliren, während sie selbst sich schwer von andern absorbiren lassen.

Außer dem Handel gilt dem Seedienst die Hauptncigung des Griechen,
und die blau und weiß gestreifte Flagge sieht mau deun auch sehr zahlreich auf
den kleinen Segelbarkcn im Hafen von Salonik, die den Austausch am Ägüischen
Meere besorgen. Ganz von griechisch sprechender Bevölkerung soll die Halb¬
insel Chalkidike bewohnt sein; hier müßten sie aber doch wohl auch Ackerbau
treiben, was wegen der Mühseligkeit so wenig Sache des Griechen ist, wie ein
schweres Handwerk. Nachkommen der alten Hellenen werden diese Einwohner
von Chalkidike wohl kaum sein; man vermutet, es sei eine im siebenten und
achten Jahrhundert von den Byzantinern hierher versetzte Bevölkerung, und
dafür spricht auch die ziemliche Unsicherheit in diesen Strichen; denn der
hellenische Albanese und Slawe neigt im Gegensatz zu dem auch körperlich
feinern urgriechischen Kauf- und Seemann zum Hirten- und Räuberleben. Die
Gesamtzahl der Griechen in Makedonien wurde auf 400000 geschätzt; dies
dürfte zu hoch gegriffen sein, und jedenfalls ist gegenwärtig ein starker Zug
unter der christlichen Bevölkerung der Türkei, sich von der Propaganda der
schmählich geschlagner Griechen abzuwenden und den Bulgaren und Rumänen
zuzuströmen, von denen man sich mehr verspricht.

(Schluß folgt)




Grenzboten III, 1898
Makedonien

Jahr 1650 schrieb und meinte: „Obwohl nun die Stadt durch das Unglück,
so mit Juden überhäuft zu sein, gebrandmarkt ist, so wird diese Schande doch
durch den weltlichen Nutzen dieser Bewohner wieder ausgelöscht."

Einen weniger angenehmen Eindruck als die in ihre langen, offnen, pelz¬
verbrämten Kaftans gekleideten spanischen Juden, unter denen man namentlich
alte Männer mit wunderschönen großen Prvphetenbärten und prächtigem Ge¬
sichtsausdruck findet, machen in Salonik die durchaus europäisch gekleideten
und nur durch den Fez unterschiednem Griechen mit ihren kalten, stechenden,
unwillkürlich die Habgier und Lust am Prellen verratenden Augen. Sie sind
jedoch nicht allzu zahlreich in der Stadt; Braun schätzte sie 1875 zwischen
sechs- und achttausend; das dürfte aber wohl zu niedrig sein. Sie sind hier
namentlich als Kaufleute thätig, aber auch als Dienstboten und Kellner, Lehrer
und Ärzte, Garköche, Schenkwirte und Krämer — als alles, nur nicht als
Bauern und Handwerker. Im Großhandel werden sie mehr und mehr von den
viel rührigern und zuverlässigem Juden hinausgedrückt, mit denen sie übrigens
die kosmopolitische Expansionskraft und Anpassungsfähigkeit gemein haben,
sowie die Zähigkeit im Zusammenhalten- Dazu kommt ihr Talent, sich andre
Völker zu assimiliren, während sie selbst sich schwer von andern absorbiren lassen.

Außer dem Handel gilt dem Seedienst die Hauptncigung des Griechen,
und die blau und weiß gestreifte Flagge sieht mau deun auch sehr zahlreich auf
den kleinen Segelbarkcn im Hafen von Salonik, die den Austausch am Ägüischen
Meere besorgen. Ganz von griechisch sprechender Bevölkerung soll die Halb¬
insel Chalkidike bewohnt sein; hier müßten sie aber doch wohl auch Ackerbau
treiben, was wegen der Mühseligkeit so wenig Sache des Griechen ist, wie ein
schweres Handwerk. Nachkommen der alten Hellenen werden diese Einwohner
von Chalkidike wohl kaum sein; man vermutet, es sei eine im siebenten und
achten Jahrhundert von den Byzantinern hierher versetzte Bevölkerung, und
dafür spricht auch die ziemliche Unsicherheit in diesen Strichen; denn der
hellenische Albanese und Slawe neigt im Gegensatz zu dem auch körperlich
feinern urgriechischen Kauf- und Seemann zum Hirten- und Räuberleben. Die
Gesamtzahl der Griechen in Makedonien wurde auf 400000 geschätzt; dies
dürfte zu hoch gegriffen sein, und jedenfalls ist gegenwärtig ein starker Zug
unter der christlichen Bevölkerung der Türkei, sich von der Propaganda der
schmählich geschlagner Griechen abzuwenden und den Bulgaren und Rumänen
zuzuströmen, von denen man sich mehr verspricht.

(Schluß folgt)




Grenzboten III, 1898
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[0121] Makedonien Jahr 1650 schrieb und meinte: „Obwohl nun die Stadt durch das Unglück, so mit Juden überhäuft zu sein, gebrandmarkt ist, so wird diese Schande doch durch den weltlichen Nutzen dieser Bewohner wieder ausgelöscht." Einen weniger angenehmen Eindruck als die in ihre langen, offnen, pelz¬ verbrämten Kaftans gekleideten spanischen Juden, unter denen man namentlich alte Männer mit wunderschönen großen Prvphetenbärten und prächtigem Ge¬ sichtsausdruck findet, machen in Salonik die durchaus europäisch gekleideten und nur durch den Fez unterschiednem Griechen mit ihren kalten, stechenden, unwillkürlich die Habgier und Lust am Prellen verratenden Augen. Sie sind jedoch nicht allzu zahlreich in der Stadt; Braun schätzte sie 1875 zwischen sechs- und achttausend; das dürfte aber wohl zu niedrig sein. Sie sind hier namentlich als Kaufleute thätig, aber auch als Dienstboten und Kellner, Lehrer und Ärzte, Garköche, Schenkwirte und Krämer — als alles, nur nicht als Bauern und Handwerker. Im Großhandel werden sie mehr und mehr von den viel rührigern und zuverlässigem Juden hinausgedrückt, mit denen sie übrigens die kosmopolitische Expansionskraft und Anpassungsfähigkeit gemein haben, sowie die Zähigkeit im Zusammenhalten- Dazu kommt ihr Talent, sich andre Völker zu assimiliren, während sie selbst sich schwer von andern absorbiren lassen. Außer dem Handel gilt dem Seedienst die Hauptncigung des Griechen, und die blau und weiß gestreifte Flagge sieht mau deun auch sehr zahlreich auf den kleinen Segelbarkcn im Hafen von Salonik, die den Austausch am Ägüischen Meere besorgen. Ganz von griechisch sprechender Bevölkerung soll die Halb¬ insel Chalkidike bewohnt sein; hier müßten sie aber doch wohl auch Ackerbau treiben, was wegen der Mühseligkeit so wenig Sache des Griechen ist, wie ein schweres Handwerk. Nachkommen der alten Hellenen werden diese Einwohner von Chalkidike wohl kaum sein; man vermutet, es sei eine im siebenten und achten Jahrhundert von den Byzantinern hierher versetzte Bevölkerung, und dafür spricht auch die ziemliche Unsicherheit in diesen Strichen; denn der hellenische Albanese und Slawe neigt im Gegensatz zu dem auch körperlich feinern urgriechischen Kauf- und Seemann zum Hirten- und Räuberleben. Die Gesamtzahl der Griechen in Makedonien wurde auf 400000 geschätzt; dies dürfte zu hoch gegriffen sein, und jedenfalls ist gegenwärtig ein starker Zug unter der christlichen Bevölkerung der Türkei, sich von der Propaganda der schmählich geschlagner Griechen abzuwenden und den Bulgaren und Rumänen zuzuströmen, von denen man sich mehr verspricht. (Schluß folgt) Grenzboten III, 1898

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/121>, abgerufen am 01.09.2024.