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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Die bildende" Künste und die natürlichen Bodenverhältnisse

wir darin ein einfaches Ergebnis der ganzen geistigen Entwicklung, die jetzt erst
die hinreichende Schärfe der Beobachtung gebracht hatte.

Man wird nun vielleicht den soeben gemachten Ausführungen entgegen¬
halten, daß wir eine reiche Wandmalerei in der romanischen Periode auch dies¬
seits der Alpen gehabt hätten, daß die Gotik durch die Vernichtung der
Mauerflächen jener Kunstweise den Boden entzogen habe. Dieser EinWurf
ist an und für sich richtig, aber doch nicht ganz zutreffend. Die Fresko¬
malerei würde sich uoch länger gehalten haben, wenn die neue Bauart ihr
nicht den Platz geraubt hätte; das Fresko ist sogar noch lange Zeit in ein¬
zelnen Gegenden zum Schmuck der Hausfassaden benutzt worden. Trotz alledem
dürfen wir behaupten, die letzte Stunde für die Freskomalerei großen Stils
hatte im Norden schon im vierzehnten Jahrhundert geschlagen. Das Fresko
erlaubt, wie niemand leugnen wird, nicht die feinfühlige, eindringende Schil¬
derung des geistigen Lebens, des tiefern Empfindens. Und dieses hatte sich
ja seit dem vierzehnten Jahrhundert so stark ausgebildet. Der realistische Sinn
des Nordländers, sein Formengefühl war zunächst befriedigt. Es war dies
geschehen durch die wunderbar schönen Steingebilde zu Chartres, Amiens,
Naumburg, Braunschweig -- nun verlangte das Gefühlsleben sein Recht. Die
Malerei löste einfach die Plastik ab, wie im achtzehnten und im neunzehnten
Jahrhundert die Musik jener die Palme aus der Hand nahm.

Dem Fresko mit seiner schlichten, lapidaren Große der Schilderung gehört
der weite Süden. Ägypten, Griechenland, Rom, Italien -- in diesen Ländern
hat sich die Wassermalerei auf der Mauer besonders entwickelt. Die trockne
Luft dieser Länder verbürgte dem Kunstwerke die Beständigkeit. Der Mensch
hatte zudem gelernt, durch die sonnendurchglühte Luft, die ihm die Möglich¬
keit bot, sich ungehindert im Freien zu bewegen, den Hauptnachdruck zu legen
auf die so oft und in so vollendeter Durchmodellirung gesehene Form, die
schönheitsvolle Kontur. Das Innenleben ist hier nicht dem Künstler das
interessanteste Objekt, sondern die That, die Handlung. Für eine solche Auf¬
fassung ist das Fresko das gegebne technische Mittel. Es erlaubt durch seine
grellem Töne, die sich so gut mit dem scharfen Sonnenlicht vereinen, eine
gewisse Farbenfreudigkeit; es verlangt flotte, energische Schilderung und giebt
die allgemeine Formenerscheinung genügend wieder. Der Beweis ist ja auch
leicht dafür erbracht, daß das Fresko für diese Seite des künstlerischen Schaffens,
die Ölmalerei für jene zuvor angedeutete die passendste Technik ist. Alle
Italiener, denen die Ausbildung der großen Form, das Schildern der Hand¬
lungen am meisten am Herzen lag, z. B. Signorelli, Michelangelo, sind nur
als Freskisten ganz sie selbst- Die Maler hingegen, denen eine intime Aus¬
gestaltung der Erscheinungsformen und das Innenleben besonders im Sinne
lag. wie Perugino, teilweise auch Raffael, Giorgione, Tizian, zeigen ihre ganze
Meisterschaft als Ölmaler.


Die bildende» Künste und die natürlichen Bodenverhältnisse

wir darin ein einfaches Ergebnis der ganzen geistigen Entwicklung, die jetzt erst
die hinreichende Schärfe der Beobachtung gebracht hatte.

Man wird nun vielleicht den soeben gemachten Ausführungen entgegen¬
halten, daß wir eine reiche Wandmalerei in der romanischen Periode auch dies¬
seits der Alpen gehabt hätten, daß die Gotik durch die Vernichtung der
Mauerflächen jener Kunstweise den Boden entzogen habe. Dieser EinWurf
ist an und für sich richtig, aber doch nicht ganz zutreffend. Die Fresko¬
malerei würde sich uoch länger gehalten haben, wenn die neue Bauart ihr
nicht den Platz geraubt hätte; das Fresko ist sogar noch lange Zeit in ein¬
zelnen Gegenden zum Schmuck der Hausfassaden benutzt worden. Trotz alledem
dürfen wir behaupten, die letzte Stunde für die Freskomalerei großen Stils
hatte im Norden schon im vierzehnten Jahrhundert geschlagen. Das Fresko
erlaubt, wie niemand leugnen wird, nicht die feinfühlige, eindringende Schil¬
derung des geistigen Lebens, des tiefern Empfindens. Und dieses hatte sich
ja seit dem vierzehnten Jahrhundert so stark ausgebildet. Der realistische Sinn
des Nordländers, sein Formengefühl war zunächst befriedigt. Es war dies
geschehen durch die wunderbar schönen Steingebilde zu Chartres, Amiens,
Naumburg, Braunschweig — nun verlangte das Gefühlsleben sein Recht. Die
Malerei löste einfach die Plastik ab, wie im achtzehnten und im neunzehnten
Jahrhundert die Musik jener die Palme aus der Hand nahm.

Dem Fresko mit seiner schlichten, lapidaren Große der Schilderung gehört
der weite Süden. Ägypten, Griechenland, Rom, Italien — in diesen Ländern
hat sich die Wassermalerei auf der Mauer besonders entwickelt. Die trockne
Luft dieser Länder verbürgte dem Kunstwerke die Beständigkeit. Der Mensch
hatte zudem gelernt, durch die sonnendurchglühte Luft, die ihm die Möglich¬
keit bot, sich ungehindert im Freien zu bewegen, den Hauptnachdruck zu legen
auf die so oft und in so vollendeter Durchmodellirung gesehene Form, die
schönheitsvolle Kontur. Das Innenleben ist hier nicht dem Künstler das
interessanteste Objekt, sondern die That, die Handlung. Für eine solche Auf¬
fassung ist das Fresko das gegebne technische Mittel. Es erlaubt durch seine
grellem Töne, die sich so gut mit dem scharfen Sonnenlicht vereinen, eine
gewisse Farbenfreudigkeit; es verlangt flotte, energische Schilderung und giebt
die allgemeine Formenerscheinung genügend wieder. Der Beweis ist ja auch
leicht dafür erbracht, daß das Fresko für diese Seite des künstlerischen Schaffens,
die Ölmalerei für jene zuvor angedeutete die passendste Technik ist. Alle
Italiener, denen die Ausbildung der großen Form, das Schildern der Hand¬
lungen am meisten am Herzen lag, z. B. Signorelli, Michelangelo, sind nur
als Freskisten ganz sie selbst- Die Maler hingegen, denen eine intime Aus¬
gestaltung der Erscheinungsformen und das Innenleben besonders im Sinne
lag. wie Perugino, teilweise auch Raffael, Giorgione, Tizian, zeigen ihre ganze
Meisterschaft als Ölmaler.


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[0094] Die bildende» Künste und die natürlichen Bodenverhältnisse wir darin ein einfaches Ergebnis der ganzen geistigen Entwicklung, die jetzt erst die hinreichende Schärfe der Beobachtung gebracht hatte. Man wird nun vielleicht den soeben gemachten Ausführungen entgegen¬ halten, daß wir eine reiche Wandmalerei in der romanischen Periode auch dies¬ seits der Alpen gehabt hätten, daß die Gotik durch die Vernichtung der Mauerflächen jener Kunstweise den Boden entzogen habe. Dieser EinWurf ist an und für sich richtig, aber doch nicht ganz zutreffend. Die Fresko¬ malerei würde sich uoch länger gehalten haben, wenn die neue Bauart ihr nicht den Platz geraubt hätte; das Fresko ist sogar noch lange Zeit in ein¬ zelnen Gegenden zum Schmuck der Hausfassaden benutzt worden. Trotz alledem dürfen wir behaupten, die letzte Stunde für die Freskomalerei großen Stils hatte im Norden schon im vierzehnten Jahrhundert geschlagen. Das Fresko erlaubt, wie niemand leugnen wird, nicht die feinfühlige, eindringende Schil¬ derung des geistigen Lebens, des tiefern Empfindens. Und dieses hatte sich ja seit dem vierzehnten Jahrhundert so stark ausgebildet. Der realistische Sinn des Nordländers, sein Formengefühl war zunächst befriedigt. Es war dies geschehen durch die wunderbar schönen Steingebilde zu Chartres, Amiens, Naumburg, Braunschweig — nun verlangte das Gefühlsleben sein Recht. Die Malerei löste einfach die Plastik ab, wie im achtzehnten und im neunzehnten Jahrhundert die Musik jener die Palme aus der Hand nahm. Dem Fresko mit seiner schlichten, lapidaren Große der Schilderung gehört der weite Süden. Ägypten, Griechenland, Rom, Italien — in diesen Ländern hat sich die Wassermalerei auf der Mauer besonders entwickelt. Die trockne Luft dieser Länder verbürgte dem Kunstwerke die Beständigkeit. Der Mensch hatte zudem gelernt, durch die sonnendurchglühte Luft, die ihm die Möglich¬ keit bot, sich ungehindert im Freien zu bewegen, den Hauptnachdruck zu legen auf die so oft und in so vollendeter Durchmodellirung gesehene Form, die schönheitsvolle Kontur. Das Innenleben ist hier nicht dem Künstler das interessanteste Objekt, sondern die That, die Handlung. Für eine solche Auf¬ fassung ist das Fresko das gegebne technische Mittel. Es erlaubt durch seine grellem Töne, die sich so gut mit dem scharfen Sonnenlicht vereinen, eine gewisse Farbenfreudigkeit; es verlangt flotte, energische Schilderung und giebt die allgemeine Formenerscheinung genügend wieder. Der Beweis ist ja auch leicht dafür erbracht, daß das Fresko für diese Seite des künstlerischen Schaffens, die Ölmalerei für jene zuvor angedeutete die passendste Technik ist. Alle Italiener, denen die Ausbildung der großen Form, das Schildern der Hand¬ lungen am meisten am Herzen lag, z. B. Signorelli, Michelangelo, sind nur als Freskisten ganz sie selbst- Die Maler hingegen, denen eine intime Aus¬ gestaltung der Erscheinungsformen und das Innenleben besonders im Sinne lag. wie Perugino, teilweise auch Raffael, Giorgione, Tizian, zeigen ihre ganze Meisterschaft als Ölmaler.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/94>, abgerufen am 23.07.2024.