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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Die bildenden Aünste und die natürliche" Bodenverhältnisse

Durchbildung des Grundrisses und dem Hochbau nichts entgegen. Nun giebt
es aber in der Ebene im allgemeinen keinen "gewachsenen" Stein, und fehlt
dieser, so ist die große Architektur in ihren Bewegungen nicht völlig frei. Ein
Gelände gemischter Art, z. B, Attika, die Rheingegend, die Normandie, Burgund,
das florentinische, das römische Gebiet, wird demzufolge durch die natürlichen
Bodenverhältnisse für die erste Entfaltung einer monumentalen Baukunst am
passendsten sein. Wir haben soeben die natürlichen Steine erwähnt, also das
im Innern der Erde entstandne oder liegende Baumaterial. Es liegt auf der
Hand, daß dieses auf die Ausgestaltung der baukünstlerischen Gedanken einen
weitgehenden Einfluß ausübt. Der Baustil wie die Bauformen hängen mit
in erster Linie von dem benutzten Material ab. Wir sprechen deshalb von
einem Steinhaufen, von einem Ziegelbau-, von einem Holzbaustile.

Wie sehr das natürliche Baumaterial hierbei seine Rechte geltend macht,
beweist die Entstehung der Säule. Götter bemerkt in seinem Buche über das
Werden der Stilformen: "Das wertvollste Motiv, das der ägyptische Stil in
dieser Hinsicht -- der Erschaffung von Werkformen -- geschaffen hat, ist das¬
jenige der Pfeiler- oder Säulenreihe mit dem darauf ruhenden Steinbalken.
Es wurde in den Felsengrabkammern entwickelt, indem man die ursprüng¬
lichen Scheidewände benachbarter Räume, die die wagrechte Decke trugen, mit
hohen rechteckigen Thüren durchbrach und zum Zweck der Bildung eines ein¬
zigen, größern Raumes mehrere solche Thüren einander nahe rückte. In vielen
Beispielen ist die Werkform in dieser Gestalt ohne jede Schmuckform sichtbar.
Später wurde zu Gunsten besserer Tagesbeleuchtung der Felsräume der qua¬
dratische Querschnitt der Pfeiler bis nahe an die Horizontalkante jener Thüren
durch einen achtseitigen und sechzehnseitigen ersetzt und damit die Werkform der
Säule gewonnen: zur Übertragung des gewonnenen Motivs auf Freibanten
war es dann nicht mehr weit." Dieser Sänlenfreibau ist übrigens, weiter
durchdacht, ein durchschlagender Beweis für die Einflüsse des Materials und
der "natürlichen Bodenverhältnisse." Einzig der gewachsene Stein schenkt uns
sänlengetragne Bauten; der Ziegel läßt genau genommen nur den Pfeilerbau¬
stil zu. Um spätere Ausnahmen, so zahlreich sie auch sind, brauchen wir uns
nicht zu kümmern, da uns uur die Frage nach der eingebornen Bankunst
und ihre Beziehungen zu den natürlichen Bodenverhältnissen zu interessiren
hat. Die Verwendung von Ziegeln wird ferner eher zur EinWölbung führen
als die des gewachsenen Steins. Denn der Stein- oder Keilschnitt der Quadern,
die sich einzig dnrch die eigne Schwere und den Gegendruck im Gleichgewicht
halten, ist an und für sich weit komplizirter als die Aufgabe, kleine durch
Mörtel fest aneinander gebundne Ziegelsteine zu einem Bogen oder einem Ge¬
wölbe zu vereinigen. Nichtsdestoweniger hat nur die mit echtem Gesteine
geschaffne EinWölbung einen Baustil wie die Gotik hervorzurufen vermocht.
Essenwein schreibt einmal in einem andern Zusammenhange: "Vorzugsweise


Die bildenden Aünste und die natürliche» Bodenverhältnisse

Durchbildung des Grundrisses und dem Hochbau nichts entgegen. Nun giebt
es aber in der Ebene im allgemeinen keinen „gewachsenen" Stein, und fehlt
dieser, so ist die große Architektur in ihren Bewegungen nicht völlig frei. Ein
Gelände gemischter Art, z. B, Attika, die Rheingegend, die Normandie, Burgund,
das florentinische, das römische Gebiet, wird demzufolge durch die natürlichen
Bodenverhältnisse für die erste Entfaltung einer monumentalen Baukunst am
passendsten sein. Wir haben soeben die natürlichen Steine erwähnt, also das
im Innern der Erde entstandne oder liegende Baumaterial. Es liegt auf der
Hand, daß dieses auf die Ausgestaltung der baukünstlerischen Gedanken einen
weitgehenden Einfluß ausübt. Der Baustil wie die Bauformen hängen mit
in erster Linie von dem benutzten Material ab. Wir sprechen deshalb von
einem Steinhaufen, von einem Ziegelbau-, von einem Holzbaustile.

Wie sehr das natürliche Baumaterial hierbei seine Rechte geltend macht,
beweist die Entstehung der Säule. Götter bemerkt in seinem Buche über das
Werden der Stilformen: „Das wertvollste Motiv, das der ägyptische Stil in
dieser Hinsicht — der Erschaffung von Werkformen — geschaffen hat, ist das¬
jenige der Pfeiler- oder Säulenreihe mit dem darauf ruhenden Steinbalken.
Es wurde in den Felsengrabkammern entwickelt, indem man die ursprüng¬
lichen Scheidewände benachbarter Räume, die die wagrechte Decke trugen, mit
hohen rechteckigen Thüren durchbrach und zum Zweck der Bildung eines ein¬
zigen, größern Raumes mehrere solche Thüren einander nahe rückte. In vielen
Beispielen ist die Werkform in dieser Gestalt ohne jede Schmuckform sichtbar.
Später wurde zu Gunsten besserer Tagesbeleuchtung der Felsräume der qua¬
dratische Querschnitt der Pfeiler bis nahe an die Horizontalkante jener Thüren
durch einen achtseitigen und sechzehnseitigen ersetzt und damit die Werkform der
Säule gewonnen: zur Übertragung des gewonnenen Motivs auf Freibanten
war es dann nicht mehr weit." Dieser Sänlenfreibau ist übrigens, weiter
durchdacht, ein durchschlagender Beweis für die Einflüsse des Materials und
der „natürlichen Bodenverhältnisse." Einzig der gewachsene Stein schenkt uns
sänlengetragne Bauten; der Ziegel läßt genau genommen nur den Pfeilerbau¬
stil zu. Um spätere Ausnahmen, so zahlreich sie auch sind, brauchen wir uns
nicht zu kümmern, da uns uur die Frage nach der eingebornen Bankunst
und ihre Beziehungen zu den natürlichen Bodenverhältnissen zu interessiren
hat. Die Verwendung von Ziegeln wird ferner eher zur EinWölbung führen
als die des gewachsenen Steins. Denn der Stein- oder Keilschnitt der Quadern,
die sich einzig dnrch die eigne Schwere und den Gegendruck im Gleichgewicht
halten, ist an und für sich weit komplizirter als die Aufgabe, kleine durch
Mörtel fest aneinander gebundne Ziegelsteine zu einem Bogen oder einem Ge¬
wölbe zu vereinigen. Nichtsdestoweniger hat nur die mit echtem Gesteine
geschaffne EinWölbung einen Baustil wie die Gotik hervorzurufen vermocht.
Essenwein schreibt einmal in einem andern Zusammenhange: „Vorzugsweise


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/86>, abgerufen am 23.07.2024.