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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Zum Kampf um ein Ehrengericht im ärztlichen Stande

Es ist demnach die Meinung der Redaktion, daß die Mehrzahl der Ärzte
das Ehrengericht ablehnt, weil es nicht nach jedermanns Kopf eingerichtet ist,
oder weil man allzu zarte, nicht angebrachte Rücksichten auf die unlautern
Elemente des Standes nimmt. Als Erwiderung darauf will ich nur den Tenor
der Schriftsätze Cnyrims und Landsbergers aus der Oktobernummer der Vereins-
zeituug hier vorführen. So sagt Cuyrim: "Alle Errungenschaften, welche uns
durch die Gewerbeordnung verbürgt sind, sollen den Unsicherheiten einer Ärzte¬
ordnung preisgegeben werden, deren Gestaltung in den Händen einer zu
Freiheitsbeschränkungen geneigten Negierung liegt -- so wichtige Fundamente
auf das Spiel gesetzt für ein Phantom!" Und weiter unten: "Als wesentliches
Ergebnis der Ehrengerichte werden wir dabei nur den Verlust der Unabhängigkeit
des Arztes ernten. Ich mochte nicht an der Stelle der Ärzte sein, welche
dafür die Verantwortung zu tragen haben." Landsberger schreibt: "Was sie
(die Ärzte) erstreben, läßt sich durch eine geringe Erweiterung des bestehenden
und mit Gesetzeskraft ausgestatteten § 5 der Kabinettsordre vom 25. Mai 1887
erreichen. Jedes Mehr aber ist vom Übel, ist eine Gefahr für unsern freien
Stand, ist ein Joch, das wir uns ohne alle Notwendigkeit auflegen."

Das lautet doch etwas anders, als die Redaktion meint! Glaublicher ist
ihre Annahme, daß Befürchtungen wegen mißbräuchlicher Anwendung des
Gesetzes entstanden sind. Wenn nun aber von der Redaktion die kühne Be¬
hauptung aufgestellt wird, daß solche in keiner Weise möglich sei, so weiß ich
nicht, wie das zu begründen ist. Doch auch in diesen Befürchtungen liegt
offenbar nicht der Beweggrund, daß sich die Mehrzahl der Ärzte gegen den
Gesetzentwurf wendet; der Grund wurzelt vielmehr in der Unbestimmtheit des
Z 13. Alle übrigen Paragraphen des Entwurfs sind dem Z 13 gegenüber
unwesentlich und des Streites nicht wert, den mau um sie geführt hat. Was
kann daran liegen, ob beamtete Ärzte dem Ehrengerichte unterworfen sind oder
nicht, ob der König zwei oder mehr Mitglieder der höchsten Instanz zu er¬
nennen hat? Bei der Form können wohl ehrliche Leute jedweden Standes
mitwirken, aber was den Inhalt der Sache angeht, den Grund, wann und
weshalb das Ehrengericht eintreten soll, das darf nicht dem Laienurteil über¬
lassen bleiben, dazu dürfen nur Sachverständige, nur Mediziner spreche". Im
13 heißt es: "Ein Arzt, der die Pflichten seines Berufs (Berufsthätigkeit?)
verletzt, oder sich durch sein Verhalten der Achtung und des Vertrauens un¬
würdig zeigt, welche der ärztliche Beruf (Stand?) erfordert, hat ehrengericht¬
liche Bestrafung verwirkt." Welche andern Berufspflichten hat denn der Arzt noch
als das Heilen kranker Menschen, das Lindern ihrer Not, das Spenden von
Trost, wenn das eine oder das andre nicht möglich ist? Verstöße er gegen
diesen seinen Beruf in der Art, daß er mit dem Strafgesetze in Konflikt gerät,
so hat er sich auf einen Prozeß gefaßt zu machen -- und eine Thatsache ist
es, daß dies bisweilen vorkommt. Ist der Arzt aber ein nachlässiger Mensch,


Zum Kampf um ein Ehrengericht im ärztlichen Stande

Es ist demnach die Meinung der Redaktion, daß die Mehrzahl der Ärzte
das Ehrengericht ablehnt, weil es nicht nach jedermanns Kopf eingerichtet ist,
oder weil man allzu zarte, nicht angebrachte Rücksichten auf die unlautern
Elemente des Standes nimmt. Als Erwiderung darauf will ich nur den Tenor
der Schriftsätze Cnyrims und Landsbergers aus der Oktobernummer der Vereins-
zeituug hier vorführen. So sagt Cuyrim: „Alle Errungenschaften, welche uns
durch die Gewerbeordnung verbürgt sind, sollen den Unsicherheiten einer Ärzte¬
ordnung preisgegeben werden, deren Gestaltung in den Händen einer zu
Freiheitsbeschränkungen geneigten Negierung liegt — so wichtige Fundamente
auf das Spiel gesetzt für ein Phantom!" Und weiter unten: „Als wesentliches
Ergebnis der Ehrengerichte werden wir dabei nur den Verlust der Unabhängigkeit
des Arztes ernten. Ich mochte nicht an der Stelle der Ärzte sein, welche
dafür die Verantwortung zu tragen haben." Landsberger schreibt: „Was sie
(die Ärzte) erstreben, läßt sich durch eine geringe Erweiterung des bestehenden
und mit Gesetzeskraft ausgestatteten § 5 der Kabinettsordre vom 25. Mai 1887
erreichen. Jedes Mehr aber ist vom Übel, ist eine Gefahr für unsern freien
Stand, ist ein Joch, das wir uns ohne alle Notwendigkeit auflegen."

Das lautet doch etwas anders, als die Redaktion meint! Glaublicher ist
ihre Annahme, daß Befürchtungen wegen mißbräuchlicher Anwendung des
Gesetzes entstanden sind. Wenn nun aber von der Redaktion die kühne Be¬
hauptung aufgestellt wird, daß solche in keiner Weise möglich sei, so weiß ich
nicht, wie das zu begründen ist. Doch auch in diesen Befürchtungen liegt
offenbar nicht der Beweggrund, daß sich die Mehrzahl der Ärzte gegen den
Gesetzentwurf wendet; der Grund wurzelt vielmehr in der Unbestimmtheit des
Z 13. Alle übrigen Paragraphen des Entwurfs sind dem Z 13 gegenüber
unwesentlich und des Streites nicht wert, den mau um sie geführt hat. Was
kann daran liegen, ob beamtete Ärzte dem Ehrengerichte unterworfen sind oder
nicht, ob der König zwei oder mehr Mitglieder der höchsten Instanz zu er¬
nennen hat? Bei der Form können wohl ehrliche Leute jedweden Standes
mitwirken, aber was den Inhalt der Sache angeht, den Grund, wann und
weshalb das Ehrengericht eintreten soll, das darf nicht dem Laienurteil über¬
lassen bleiben, dazu dürfen nur Sachverständige, nur Mediziner spreche«. Im
13 heißt es: „Ein Arzt, der die Pflichten seines Berufs (Berufsthätigkeit?)
verletzt, oder sich durch sein Verhalten der Achtung und des Vertrauens un¬
würdig zeigt, welche der ärztliche Beruf (Stand?) erfordert, hat ehrengericht¬
liche Bestrafung verwirkt." Welche andern Berufspflichten hat denn der Arzt noch
als das Heilen kranker Menschen, das Lindern ihrer Not, das Spenden von
Trost, wenn das eine oder das andre nicht möglich ist? Verstöße er gegen
diesen seinen Beruf in der Art, daß er mit dem Strafgesetze in Konflikt gerät,
so hat er sich auf einen Prozeß gefaßt zu machen — und eine Thatsache ist
es, daß dies bisweilen vorkommt. Ist der Arzt aber ein nachlässiger Mensch,


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[0080] Zum Kampf um ein Ehrengericht im ärztlichen Stande Es ist demnach die Meinung der Redaktion, daß die Mehrzahl der Ärzte das Ehrengericht ablehnt, weil es nicht nach jedermanns Kopf eingerichtet ist, oder weil man allzu zarte, nicht angebrachte Rücksichten auf die unlautern Elemente des Standes nimmt. Als Erwiderung darauf will ich nur den Tenor der Schriftsätze Cnyrims und Landsbergers aus der Oktobernummer der Vereins- zeituug hier vorführen. So sagt Cuyrim: „Alle Errungenschaften, welche uns durch die Gewerbeordnung verbürgt sind, sollen den Unsicherheiten einer Ärzte¬ ordnung preisgegeben werden, deren Gestaltung in den Händen einer zu Freiheitsbeschränkungen geneigten Negierung liegt — so wichtige Fundamente auf das Spiel gesetzt für ein Phantom!" Und weiter unten: „Als wesentliches Ergebnis der Ehrengerichte werden wir dabei nur den Verlust der Unabhängigkeit des Arztes ernten. Ich mochte nicht an der Stelle der Ärzte sein, welche dafür die Verantwortung zu tragen haben." Landsberger schreibt: „Was sie (die Ärzte) erstreben, läßt sich durch eine geringe Erweiterung des bestehenden und mit Gesetzeskraft ausgestatteten § 5 der Kabinettsordre vom 25. Mai 1887 erreichen. Jedes Mehr aber ist vom Übel, ist eine Gefahr für unsern freien Stand, ist ein Joch, das wir uns ohne alle Notwendigkeit auflegen." Das lautet doch etwas anders, als die Redaktion meint! Glaublicher ist ihre Annahme, daß Befürchtungen wegen mißbräuchlicher Anwendung des Gesetzes entstanden sind. Wenn nun aber von der Redaktion die kühne Be¬ hauptung aufgestellt wird, daß solche in keiner Weise möglich sei, so weiß ich nicht, wie das zu begründen ist. Doch auch in diesen Befürchtungen liegt offenbar nicht der Beweggrund, daß sich die Mehrzahl der Ärzte gegen den Gesetzentwurf wendet; der Grund wurzelt vielmehr in der Unbestimmtheit des Z 13. Alle übrigen Paragraphen des Entwurfs sind dem Z 13 gegenüber unwesentlich und des Streites nicht wert, den mau um sie geführt hat. Was kann daran liegen, ob beamtete Ärzte dem Ehrengerichte unterworfen sind oder nicht, ob der König zwei oder mehr Mitglieder der höchsten Instanz zu er¬ nennen hat? Bei der Form können wohl ehrliche Leute jedweden Standes mitwirken, aber was den Inhalt der Sache angeht, den Grund, wann und weshalb das Ehrengericht eintreten soll, das darf nicht dem Laienurteil über¬ lassen bleiben, dazu dürfen nur Sachverständige, nur Mediziner spreche«. Im 13 heißt es: „Ein Arzt, der die Pflichten seines Berufs (Berufsthätigkeit?) verletzt, oder sich durch sein Verhalten der Achtung und des Vertrauens un¬ würdig zeigt, welche der ärztliche Beruf (Stand?) erfordert, hat ehrengericht¬ liche Bestrafung verwirkt." Welche andern Berufspflichten hat denn der Arzt noch als das Heilen kranker Menschen, das Lindern ihrer Not, das Spenden von Trost, wenn das eine oder das andre nicht möglich ist? Verstöße er gegen diesen seinen Beruf in der Art, daß er mit dem Strafgesetze in Konflikt gerät, so hat er sich auf einen Prozeß gefaßt zu machen — und eine Thatsache ist es, daß dies bisweilen vorkommt. Ist der Arzt aber ein nachlässiger Mensch,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/80>, abgerufen am 27.12.2024.