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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Die niederdeutsche Frage in Belgien und Südafrika
i

le Orientfrage ist freilich das Steckenpferd der enropüischen
hohen Politik, aber Deutschland ist daran bloß als Mitglied des
europäischen Konzerts um seiner Großmachtstellung willen beteiligt.
Unmittelbare deutsche Interessen stehen dort nicht ans dem Spiele.
Auch etwaige Kolonisationsbestrelmngen auf türkischem Boden
kommen wohl nicht in Frage, solange es noch gilt, bestehende deutsche Siedlungen
im Auslande zu schützen und altgeschichtlichen deutschen Boden und deutsches
Volkstum gegen fremde Aufsaugung thatkräftiger als bisher zu schirmen. Die
Erinnerungsfeiern der letzten Jahre haben uns aufs neue an den fränkischen
Erbfeind gemahnt; aber diese ernste geschichtliche Warnung hat uns bisher
nicht veranlaßt, in den noch tobenden Kampf einzutreten, wo thatsächlich dieser
Erbfeind noch unser Volkstum außerhalb seiner eignen Staatsgrenzen in un¬
erhörter Weise bedrängt und unterdrückt. Wir wollen zunächst ganz von dem Klein¬
staat Luxemburg schweigen, der noch vor einunddreißig Jahren deutsches Bundes¬
land gewesen ist. Fürsten aus dem deutscheu Hause Nassau haben dies Lündchen
aus Angst vor der preußischen Augliederung absichtlich französirt, obgleich es
1870 für das Reich zu kaufen gewesen wäre. Schon 1867 wollte es sein
damaliger Gebieter an Napoleon verschachern. Damals hat nicht Preußen,
sondern das erwachte deutsche Nationalgefühl den schmählichen Handel hinter-
trieben. Moltke hielt damals den Zeitpunkt für die Abrechnung mit Frank¬
reich für gekommen und günstig. Bismarck zog jedoch den Aufschub vor, um
erst Süddeutschland ganz zu gewinnen. So blieb der Zwergstaat bestehen.
Der altere nassanische Zweig wird hoffentlich den französischen Firnis Luxem¬
burgs endlich entfernen, da Deutschland auf die Dauer diese künstliche Ver¬
wischung alten deutschen Landes wohl nicht dulden kann. Die größere Hälfte
des alten Herzogtums Ltttzelburg fiel 1833 an den neuen Staat Belgien, das
Werk Frankreichs, das Friedrich Wilhelm III. in seiner unentschlossenen Zauder¬
politik trotz der oranischen Freundschaft zu hindern unterließ, obwohl es in
seiner Macht stand. Belgien wäre damit vielleicht dem alten Mutterlande,
jedenfalls aber dem angestammten Volkstum zu erhalten gewesen. Die Vor¬
gänger Kaiser Wilhelms I. kannten aber Bismarcks Leitspruch nicht: "Die


Grenzboten 11 1893 0


Die niederdeutsche Frage in Belgien und Südafrika
i

le Orientfrage ist freilich das Steckenpferd der enropüischen
hohen Politik, aber Deutschland ist daran bloß als Mitglied des
europäischen Konzerts um seiner Großmachtstellung willen beteiligt.
Unmittelbare deutsche Interessen stehen dort nicht ans dem Spiele.
Auch etwaige Kolonisationsbestrelmngen auf türkischem Boden
kommen wohl nicht in Frage, solange es noch gilt, bestehende deutsche Siedlungen
im Auslande zu schützen und altgeschichtlichen deutschen Boden und deutsches
Volkstum gegen fremde Aufsaugung thatkräftiger als bisher zu schirmen. Die
Erinnerungsfeiern der letzten Jahre haben uns aufs neue an den fränkischen
Erbfeind gemahnt; aber diese ernste geschichtliche Warnung hat uns bisher
nicht veranlaßt, in den noch tobenden Kampf einzutreten, wo thatsächlich dieser
Erbfeind noch unser Volkstum außerhalb seiner eignen Staatsgrenzen in un¬
erhörter Weise bedrängt und unterdrückt. Wir wollen zunächst ganz von dem Klein¬
staat Luxemburg schweigen, der noch vor einunddreißig Jahren deutsches Bundes¬
land gewesen ist. Fürsten aus dem deutscheu Hause Nassau haben dies Lündchen
aus Angst vor der preußischen Augliederung absichtlich französirt, obgleich es
1870 für das Reich zu kaufen gewesen wäre. Schon 1867 wollte es sein
damaliger Gebieter an Napoleon verschachern. Damals hat nicht Preußen,
sondern das erwachte deutsche Nationalgefühl den schmählichen Handel hinter-
trieben. Moltke hielt damals den Zeitpunkt für die Abrechnung mit Frank¬
reich für gekommen und günstig. Bismarck zog jedoch den Aufschub vor, um
erst Süddeutschland ganz zu gewinnen. So blieb der Zwergstaat bestehen.
Der altere nassanische Zweig wird hoffentlich den französischen Firnis Luxem¬
burgs endlich entfernen, da Deutschland auf die Dauer diese künstliche Ver¬
wischung alten deutschen Landes wohl nicht dulden kann. Die größere Hälfte
des alten Herzogtums Ltttzelburg fiel 1833 an den neuen Staat Belgien, das
Werk Frankreichs, das Friedrich Wilhelm III. in seiner unentschlossenen Zauder¬
politik trotz der oranischen Freundschaft zu hindern unterließ, obwohl es in
seiner Macht stand. Belgien wäre damit vielleicht dem alten Mutterlande,
jedenfalls aber dem angestammten Volkstum zu erhalten gewesen. Die Vor¬
gänger Kaiser Wilhelms I. kannten aber Bismarcks Leitspruch nicht: „Die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/73>, abgerufen am 27.12.2024.