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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland

Vormarsches gegen Österreich. Nach den Plänen von Krismanitsch sollte sich
die Nordarmee zunächst bei Olmütz sammeln, weil er einen Einbruch der
Preußen von Schlesien nach Mähren fürchtete; nach Böhmen bis zur Jser
wurde zunächst nur das Korps Clam-Gallas vorgeschoben, an das sich dann
die Sachsen anschlössen. Doch beabsichtigte Krismanitsch von anfang an die
Hauptarmee nach Böhmen zu führen und hier bei Josephstadt zu vereinigen
in einer Stellung, in der 1778 Joseph II- mit Erfolg Friedrich dem Großen
die Spitze geboten hatte. Hier beherrschte er die innern Linien, und hier sollte
die Entscheidung fallen. Er gab also den Gedanken eines Angriffs auf Preußen
nur fürs erste auf; nach einem durchschlagenden Siege auf böhmischen Boden
gedachte er das Heer durch Sachsen gegen Berlin zu führen. Wie die öster¬
reichische Heeresleitung über die wirklichen Absichten der preußischen im Un¬
klaren war, so auch umgekehrt: bis zum 11, Juni vermutete der preußische
Generalstab die österreichische Hauptmacht in Böhmen und besorgte einen
Angriff auf Schlesien. Daher wollte Moltke, um den Vorteil der raschem
Mobilisirung in Preußen auszunützen, schon um den 5. Juni losschlagen;
allein der König bestand darauf, daß Preußen abwarte, bis Österreich politisch
als der Angreifer erscheine, und wollte auch Sachsen nicht eher feindlich be¬
handeln, als bis es seine Vorschlüge abgewiesen habe. So bestand in Preußen
zwischen dem Verfahren der Staats- und der Heeresleitung gerade das umge¬
kehrte Verhältnis wie in Österreich: die Generale drängten zum Schlagen, die
Staatsleitung hielt zurück; der König selbst dachte lange sogar an einen bloßen
Verteidigungskrieg. Daher mußte die Heeresleitung den schweren Nachteil in
den Kauf nehmen, daß die preußischen Korps zunächst auf einer langen kvrdon-
artigen Linie von sechzig Meilen, von Halle und Zeitz bis Glatz, verteilt
standen, um Schlesien nicht preisgeben zu müssen. Erst zwischen dem 6. und
10. Juni zogen sie sich enger zusammen, sodaß die Hauptmasse in der preu¬
ßischen Oberlausitz und im nordwestlichen Schlesien stand, und als am 14. Juni
die Würfel gefallen waren, "da wurde der letzte Mann, der letzte Hauch daran
gesetzt, den Sieg zu erringen" im stürmischen Angriff. Im Feindeslande sollten
sich die getrennten Heersäulen zur Entscheidungsschlacht vereinigen.

Erst in den Tagen, als die Preußen schon Sachsen überfluteten, am
17. Juni, begannen die Österreicher, etwa 180000 Mann, auf das Drängen
des Kaisers und auf die Kunde, daß nach der neuen preußischen Aufstellung
in Schlesien ein Einbruch in Mähren nicht mehr zu besorgen sei, ans drei
Straßen den Abmarsch von Olmütz nach Böhmen. Am 28. Juni sollten
fünf Armeekorps um Josephstadt vereinigt sein. Die Sachsen näherten sich in
Gewaltmärschen der Jser, und auch die Bayern sollten nach einer Verabredung
mit ihrem Generalstabschef von der Tann in Böhmen erscheinen. Daß von
der Pfordten in kleinstaatlicher Befangenheit seine Einwilligung dazu ver¬
weigerte, war der erste Mißerfolg der Österreicher im Norden.


Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland

Vormarsches gegen Österreich. Nach den Plänen von Krismanitsch sollte sich
die Nordarmee zunächst bei Olmütz sammeln, weil er einen Einbruch der
Preußen von Schlesien nach Mähren fürchtete; nach Böhmen bis zur Jser
wurde zunächst nur das Korps Clam-Gallas vorgeschoben, an das sich dann
die Sachsen anschlössen. Doch beabsichtigte Krismanitsch von anfang an die
Hauptarmee nach Böhmen zu führen und hier bei Josephstadt zu vereinigen
in einer Stellung, in der 1778 Joseph II- mit Erfolg Friedrich dem Großen
die Spitze geboten hatte. Hier beherrschte er die innern Linien, und hier sollte
die Entscheidung fallen. Er gab also den Gedanken eines Angriffs auf Preußen
nur fürs erste auf; nach einem durchschlagenden Siege auf böhmischen Boden
gedachte er das Heer durch Sachsen gegen Berlin zu führen. Wie die öster¬
reichische Heeresleitung über die wirklichen Absichten der preußischen im Un¬
klaren war, so auch umgekehrt: bis zum 11, Juni vermutete der preußische
Generalstab die österreichische Hauptmacht in Böhmen und besorgte einen
Angriff auf Schlesien. Daher wollte Moltke, um den Vorteil der raschem
Mobilisirung in Preußen auszunützen, schon um den 5. Juni losschlagen;
allein der König bestand darauf, daß Preußen abwarte, bis Österreich politisch
als der Angreifer erscheine, und wollte auch Sachsen nicht eher feindlich be¬
handeln, als bis es seine Vorschlüge abgewiesen habe. So bestand in Preußen
zwischen dem Verfahren der Staats- und der Heeresleitung gerade das umge¬
kehrte Verhältnis wie in Österreich: die Generale drängten zum Schlagen, die
Staatsleitung hielt zurück; der König selbst dachte lange sogar an einen bloßen
Verteidigungskrieg. Daher mußte die Heeresleitung den schweren Nachteil in
den Kauf nehmen, daß die preußischen Korps zunächst auf einer langen kvrdon-
artigen Linie von sechzig Meilen, von Halle und Zeitz bis Glatz, verteilt
standen, um Schlesien nicht preisgeben zu müssen. Erst zwischen dem 6. und
10. Juni zogen sie sich enger zusammen, sodaß die Hauptmasse in der preu¬
ßischen Oberlausitz und im nordwestlichen Schlesien stand, und als am 14. Juni
die Würfel gefallen waren, „da wurde der letzte Mann, der letzte Hauch daran
gesetzt, den Sieg zu erringen" im stürmischen Angriff. Im Feindeslande sollten
sich die getrennten Heersäulen zur Entscheidungsschlacht vereinigen.

Erst in den Tagen, als die Preußen schon Sachsen überfluteten, am
17. Juni, begannen die Österreicher, etwa 180000 Mann, auf das Drängen
des Kaisers und auf die Kunde, daß nach der neuen preußischen Aufstellung
in Schlesien ein Einbruch in Mähren nicht mehr zu besorgen sei, ans drei
Straßen den Abmarsch von Olmütz nach Böhmen. Am 28. Juni sollten
fünf Armeekorps um Josephstadt vereinigt sein. Die Sachsen näherten sich in
Gewaltmärschen der Jser, und auch die Bayern sollten nach einer Verabredung
mit ihrem Generalstabschef von der Tann in Böhmen erscheinen. Daß von
der Pfordten in kleinstaatlicher Befangenheit seine Einwilligung dazu ver¬
weigerte, war der erste Mißerfolg der Österreicher im Norden.


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[0613] Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland Vormarsches gegen Österreich. Nach den Plänen von Krismanitsch sollte sich die Nordarmee zunächst bei Olmütz sammeln, weil er einen Einbruch der Preußen von Schlesien nach Mähren fürchtete; nach Böhmen bis zur Jser wurde zunächst nur das Korps Clam-Gallas vorgeschoben, an das sich dann die Sachsen anschlössen. Doch beabsichtigte Krismanitsch von anfang an die Hauptarmee nach Böhmen zu führen und hier bei Josephstadt zu vereinigen in einer Stellung, in der 1778 Joseph II- mit Erfolg Friedrich dem Großen die Spitze geboten hatte. Hier beherrschte er die innern Linien, und hier sollte die Entscheidung fallen. Er gab also den Gedanken eines Angriffs auf Preußen nur fürs erste auf; nach einem durchschlagenden Siege auf böhmischen Boden gedachte er das Heer durch Sachsen gegen Berlin zu führen. Wie die öster¬ reichische Heeresleitung über die wirklichen Absichten der preußischen im Un¬ klaren war, so auch umgekehrt: bis zum 11, Juni vermutete der preußische Generalstab die österreichische Hauptmacht in Böhmen und besorgte einen Angriff auf Schlesien. Daher wollte Moltke, um den Vorteil der raschem Mobilisirung in Preußen auszunützen, schon um den 5. Juni losschlagen; allein der König bestand darauf, daß Preußen abwarte, bis Österreich politisch als der Angreifer erscheine, und wollte auch Sachsen nicht eher feindlich be¬ handeln, als bis es seine Vorschlüge abgewiesen habe. So bestand in Preußen zwischen dem Verfahren der Staats- und der Heeresleitung gerade das umge¬ kehrte Verhältnis wie in Österreich: die Generale drängten zum Schlagen, die Staatsleitung hielt zurück; der König selbst dachte lange sogar an einen bloßen Verteidigungskrieg. Daher mußte die Heeresleitung den schweren Nachteil in den Kauf nehmen, daß die preußischen Korps zunächst auf einer langen kvrdon- artigen Linie von sechzig Meilen, von Halle und Zeitz bis Glatz, verteilt standen, um Schlesien nicht preisgeben zu müssen. Erst zwischen dem 6. und 10. Juni zogen sie sich enger zusammen, sodaß die Hauptmasse in der preu¬ ßischen Oberlausitz und im nordwestlichen Schlesien stand, und als am 14. Juni die Würfel gefallen waren, „da wurde der letzte Mann, der letzte Hauch daran gesetzt, den Sieg zu erringen" im stürmischen Angriff. Im Feindeslande sollten sich die getrennten Heersäulen zur Entscheidungsschlacht vereinigen. Erst in den Tagen, als die Preußen schon Sachsen überfluteten, am 17. Juni, begannen die Österreicher, etwa 180000 Mann, auf das Drängen des Kaisers und auf die Kunde, daß nach der neuen preußischen Aufstellung in Schlesien ein Einbruch in Mähren nicht mehr zu besorgen sei, ans drei Straßen den Abmarsch von Olmütz nach Böhmen. Am 28. Juni sollten fünf Armeekorps um Josephstadt vereinigt sein. Die Sachsen näherten sich in Gewaltmärschen der Jser, und auch die Bayern sollten nach einer Verabredung mit ihrem Generalstabschef von der Tann in Böhmen erscheinen. Daß von der Pfordten in kleinstaatlicher Befangenheit seine Einwilligung dazu ver¬ weigerte, war der erste Mißerfolg der Österreicher im Norden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/613>, abgerufen am 23.07.2024.