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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland

Wenn Österreich sich so entschied, so geschah das schon unter dem Eindrucke
der Verhandlungen mit Frankreich. Von einem "Wettlauf" Preußens und
Österreichs, wie sich Friedjung ausdrückt, kann dabei doch keine Rede sein; das
Äußerste, was Bismarck von Napoleon III. verlangte, war die Zusicherung
seiner Neutralität; aber weder hat dieser eine direkte klare Forderung an
Preußen gestellt, uoch hat Bismarck ihm ein Angebot deutschen Bodens ge¬
macht, wie damals vielfach gefürchtet wurde; er war deshalb auch noch beim
Ausbruche des Krieges der Haltung Frankreichs keineswegs sicher. Anders
Österreich. Am 12. Juni schloß es mit Frankreich einen geheimen Vertrag,
der in seinem Wortlaute noch heute unbekannt ist, den aber Beust später das
"unglaublichste Aktenstück" genannt hat, das ihm je vorgekommen sei. Darnach
trat Österreich unter allen Umständen, es mochte siegen oder nicht, Venezien
an Italien ab und versprach, in Deutschland keine politischen oder territorialen
Veränderungen ohne Frankreichs Zustimmung vorzunehmen, d. h. es verzichtete
auf jede wirkliche Bundesreform in Deutschland und nahm für sich die Er¬
werbung Schlesiens, für Frankreich die des Rheinlandes in Aussicht. In Italien
aber wurde dem Papste nicht nur der Besitz des Kirchenstaats verbürgt,
sondern auch die Marken und die Legationen in Aussicht gestellt, falls sich
dort eine Volksbewegung erheben sollte, die zuzulassen sein werde. Damit war
also auch die schon beinahe vollendete Einheit Italiens bedroht. Und- was
gewann dafür Österreich? Lediglich die Neutralität Frankreichs, nicht etwa
die Italiens; es erhielt vielmehr dort nur die Erlaubnis, mit seinen Waffen
den verfaulten Kirchenstaat wieder aufzurichten, in Deutschland für sich Schlesien
zu erobern. Aber indem es das linke Rheinufer den Franzosen preisgab und
auf jede einheitliche Gestaltung Deutschlands verzichtete, führte es abermals
den Beweis -- ähnlich wie 1757 --, daß es weder den Willen noch den
Beruf habe, die nationalen Bedürfnisse Deutschlands zu befriedigen oder auch
nur in der bisherigen Weise an seiner Spitze zu steheu. Welcher Zukunft
ging Deutschland also entgegen, wenn Österreich siegte! Das verdiente weit
entschiedner betont zu werden, als es Friedjung gethan hat.

Der Bruch der Gasteiner Konvention durch die Überweisung der schleswig-
holsteinischen Sache an den Bundestag, die einseitige Berufung der holsteinischen
Stunde, der Einmarsch der Preußen in Holstein (7. Juni), die Überreichung
des preußischen Bundesreformplanes (10. Juni) und die übereilte Abstimmung
über den von Bayern gemilderten Antrag Österreichs auf die Mobilisirung außer¬
preußischer Kontingente (14. Juni) gingen neben diesen Verhandlungen her oder
folgten ihrem Abschlüsse unmittelbar. Mit voller Zuversicht ging die vsterreichisch-
mittelstaatliche Diplomatie in den Krieg, und aller Haß der Ultramontanen,
Demokraten und Partiknlaristen gegen Preußen entlud sich in der österreichischen
und süddeutschen Presse in einem Strom von Schimpfreden, an die noch heute
kein Deutscher, der dies Jahr mit Bewußtsein erlebt hat, ohne tiefe Be-


Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland

Wenn Österreich sich so entschied, so geschah das schon unter dem Eindrucke
der Verhandlungen mit Frankreich. Von einem „Wettlauf" Preußens und
Österreichs, wie sich Friedjung ausdrückt, kann dabei doch keine Rede sein; das
Äußerste, was Bismarck von Napoleon III. verlangte, war die Zusicherung
seiner Neutralität; aber weder hat dieser eine direkte klare Forderung an
Preußen gestellt, uoch hat Bismarck ihm ein Angebot deutschen Bodens ge¬
macht, wie damals vielfach gefürchtet wurde; er war deshalb auch noch beim
Ausbruche des Krieges der Haltung Frankreichs keineswegs sicher. Anders
Österreich. Am 12. Juni schloß es mit Frankreich einen geheimen Vertrag,
der in seinem Wortlaute noch heute unbekannt ist, den aber Beust später das
„unglaublichste Aktenstück" genannt hat, das ihm je vorgekommen sei. Darnach
trat Österreich unter allen Umständen, es mochte siegen oder nicht, Venezien
an Italien ab und versprach, in Deutschland keine politischen oder territorialen
Veränderungen ohne Frankreichs Zustimmung vorzunehmen, d. h. es verzichtete
auf jede wirkliche Bundesreform in Deutschland und nahm für sich die Er¬
werbung Schlesiens, für Frankreich die des Rheinlandes in Aussicht. In Italien
aber wurde dem Papste nicht nur der Besitz des Kirchenstaats verbürgt,
sondern auch die Marken und die Legationen in Aussicht gestellt, falls sich
dort eine Volksbewegung erheben sollte, die zuzulassen sein werde. Damit war
also auch die schon beinahe vollendete Einheit Italiens bedroht. Und- was
gewann dafür Österreich? Lediglich die Neutralität Frankreichs, nicht etwa
die Italiens; es erhielt vielmehr dort nur die Erlaubnis, mit seinen Waffen
den verfaulten Kirchenstaat wieder aufzurichten, in Deutschland für sich Schlesien
zu erobern. Aber indem es das linke Rheinufer den Franzosen preisgab und
auf jede einheitliche Gestaltung Deutschlands verzichtete, führte es abermals
den Beweis — ähnlich wie 1757 —, daß es weder den Willen noch den
Beruf habe, die nationalen Bedürfnisse Deutschlands zu befriedigen oder auch
nur in der bisherigen Weise an seiner Spitze zu steheu. Welcher Zukunft
ging Deutschland also entgegen, wenn Österreich siegte! Das verdiente weit
entschiedner betont zu werden, als es Friedjung gethan hat.

Der Bruch der Gasteiner Konvention durch die Überweisung der schleswig-
holsteinischen Sache an den Bundestag, die einseitige Berufung der holsteinischen
Stunde, der Einmarsch der Preußen in Holstein (7. Juni), die Überreichung
des preußischen Bundesreformplanes (10. Juni) und die übereilte Abstimmung
über den von Bayern gemilderten Antrag Österreichs auf die Mobilisirung außer¬
preußischer Kontingente (14. Juni) gingen neben diesen Verhandlungen her oder
folgten ihrem Abschlüsse unmittelbar. Mit voller Zuversicht ging die vsterreichisch-
mittelstaatliche Diplomatie in den Krieg, und aller Haß der Ultramontanen,
Demokraten und Partiknlaristen gegen Preußen entlud sich in der österreichischen
und süddeutschen Presse in einem Strom von Schimpfreden, an die noch heute
kein Deutscher, der dies Jahr mit Bewußtsein erlebt hat, ohne tiefe Be-


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[0611] Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland Wenn Österreich sich so entschied, so geschah das schon unter dem Eindrucke der Verhandlungen mit Frankreich. Von einem „Wettlauf" Preußens und Österreichs, wie sich Friedjung ausdrückt, kann dabei doch keine Rede sein; das Äußerste, was Bismarck von Napoleon III. verlangte, war die Zusicherung seiner Neutralität; aber weder hat dieser eine direkte klare Forderung an Preußen gestellt, uoch hat Bismarck ihm ein Angebot deutschen Bodens ge¬ macht, wie damals vielfach gefürchtet wurde; er war deshalb auch noch beim Ausbruche des Krieges der Haltung Frankreichs keineswegs sicher. Anders Österreich. Am 12. Juni schloß es mit Frankreich einen geheimen Vertrag, der in seinem Wortlaute noch heute unbekannt ist, den aber Beust später das „unglaublichste Aktenstück" genannt hat, das ihm je vorgekommen sei. Darnach trat Österreich unter allen Umständen, es mochte siegen oder nicht, Venezien an Italien ab und versprach, in Deutschland keine politischen oder territorialen Veränderungen ohne Frankreichs Zustimmung vorzunehmen, d. h. es verzichtete auf jede wirkliche Bundesreform in Deutschland und nahm für sich die Er¬ werbung Schlesiens, für Frankreich die des Rheinlandes in Aussicht. In Italien aber wurde dem Papste nicht nur der Besitz des Kirchenstaats verbürgt, sondern auch die Marken und die Legationen in Aussicht gestellt, falls sich dort eine Volksbewegung erheben sollte, die zuzulassen sein werde. Damit war also auch die schon beinahe vollendete Einheit Italiens bedroht. Und- was gewann dafür Österreich? Lediglich die Neutralität Frankreichs, nicht etwa die Italiens; es erhielt vielmehr dort nur die Erlaubnis, mit seinen Waffen den verfaulten Kirchenstaat wieder aufzurichten, in Deutschland für sich Schlesien zu erobern. Aber indem es das linke Rheinufer den Franzosen preisgab und auf jede einheitliche Gestaltung Deutschlands verzichtete, führte es abermals den Beweis — ähnlich wie 1757 —, daß es weder den Willen noch den Beruf habe, die nationalen Bedürfnisse Deutschlands zu befriedigen oder auch nur in der bisherigen Weise an seiner Spitze zu steheu. Welcher Zukunft ging Deutschland also entgegen, wenn Österreich siegte! Das verdiente weit entschiedner betont zu werden, als es Friedjung gethan hat. Der Bruch der Gasteiner Konvention durch die Überweisung der schleswig- holsteinischen Sache an den Bundestag, die einseitige Berufung der holsteinischen Stunde, der Einmarsch der Preußen in Holstein (7. Juni), die Überreichung des preußischen Bundesreformplanes (10. Juni) und die übereilte Abstimmung über den von Bayern gemilderten Antrag Österreichs auf die Mobilisirung außer¬ preußischer Kontingente (14. Juni) gingen neben diesen Verhandlungen her oder folgten ihrem Abschlüsse unmittelbar. Mit voller Zuversicht ging die vsterreichisch- mittelstaatliche Diplomatie in den Krieg, und aller Haß der Ultramontanen, Demokraten und Partiknlaristen gegen Preußen entlud sich in der österreichischen und süddeutschen Presse in einem Strom von Schimpfreden, an die noch heute kein Deutscher, der dies Jahr mit Bewußtsein erlebt hat, ohne tiefe Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/611>, abgerufen am 23.07.2024.