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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Das altdeutsche geistliche Schauspiel

Das Erlauer Weihnachtsspiel zeigt mehrfach Vermengung der dargestellten
Zeit und des dargestellten Ortes mit Zeit und Ort der Aufführung. Wenn
Joseph zu dem Hirten sagt: "So ist das chindlein, das samt sol geporn sein,"
so bedeutet "samt": am heutigen Weihnachtsabend, an dem das Spiel auf¬
geführt wird. "Auch das wiederholte Trinken in diesem Stück -- Joseph
bietet den Hirten, Maria und der Hebamme zu trinken an -- bezieht sich aus
die gegenwärtige Weihnachtsfreude." ^ Das Stück schließt:


Hirt!

Joseph mich zimpt in meinem mut,
Dem chint sei die chelten^) nicht gut.
Laßt uns hie aufstan
Und luß uns zu sans gen;
Da schüli (sollen) mir froleich wer"
Mit Jesu Christo dem edeln Herrn.


Joseph:

Gut man, des volig ich dir.
Wol auf, Maria, volig mir;
Wir schütten in got froleich sein,
Wir lungen nicht lenger hie gesellt.

Vielleicht hat man es sogar für eine derartige Naivität und nicht für
einen bloßen Witz zu halten, wenn sich zwischen zweien der heiligen drei
Könige, indem sie vor das Christuskind treten wollen, folgendes Gespräch
abspielt:

Ich bitt dich, Caspar, durch dein tugend,
Das du mir gabst dein alter umb mein jugent,
Das ich der erst möcht gesellt
Für Jesum den scheppher mein.


Caspar:

Ich wil dich gewern so zehant
Der yet (bitt), das du mich hast genaue:
Nun hin mein graben part
Hin an diser part
Und verleich du mir dein jugent.

Kaspar giebt dem andern seinen falschen Theaterbart. Daß die Zeiten der
Vergangenheit alle ineinander fließen, darf dann nicht Wunder nehmen- David
und Augustin treten zusammen auf, die Ekklesia gleichzeitig mit Jesaias, Gott
Vater beruft sich auf Paulus, und Petrus trügt die Himmelsschlüssel schon
zur Zeit der Bekehrung der Maria Magdalena. Heinzel führt zum Beweis
dafür, daß man das nicht als Unbedacht zu nehmen brauche, folgende Verse
Salomos aus dem Wolfenbüttler Spiel vom Sündenfall von Arnold Jm-
messen an:

Aber schließt man nicht richtiger aus dem ganz vereinzelten und späten Auf¬
treten einer solchen Bemerkung, daß man es hier mit einer Ausnahme zu




*) Carl Meuer (Zeitschrift für Kultur und Litteratur der Renaissance I, 172) bringt in
einer Abhandlung "Geistliches Schauspiel und kirchliche Kunst" eine Menge Beispiele von bild¬
lichen Darstellungen Josephs mit der Flasche und auch noch spätere Beispiele aus Dramen, die
es wahrscheinlich machen, das; der Zug zur Charakteristik Josephs gehört. Der Aufsatz, obwohl
nicht erschöpfend, berichtigt manche Auffassungen Heinzels. Sonne und Mond z. V., die Heinzel
als Sachrequisiten ansieht, sind bei dem Tode Christi von andeutend gekleideten Personen dar¬
gestellt worden, worauf schon die Buhnenanweisung des Donaueschinger Passionsspiels hätte
schließen lassen können: und gat sun und mon, die der zuo geordnet sind, hinder sich.
""
) Die Kälte der Christnncht.
Das altdeutsche geistliche Schauspiel

Das Erlauer Weihnachtsspiel zeigt mehrfach Vermengung der dargestellten
Zeit und des dargestellten Ortes mit Zeit und Ort der Aufführung. Wenn
Joseph zu dem Hirten sagt: „So ist das chindlein, das samt sol geporn sein,"
so bedeutet „samt": am heutigen Weihnachtsabend, an dem das Spiel auf¬
geführt wird. „Auch das wiederholte Trinken in diesem Stück — Joseph
bietet den Hirten, Maria und der Hebamme zu trinken an — bezieht sich aus
die gegenwärtige Weihnachtsfreude." ^ Das Stück schließt:


Hirt!

Joseph mich zimpt in meinem mut,
Dem chint sei die chelten^) nicht gut.
Laßt uns hie aufstan
Und luß uns zu sans gen;
Da schüli (sollen) mir froleich wer»
Mit Jesu Christo dem edeln Herrn.


Joseph:

Gut man, des volig ich dir.
Wol auf, Maria, volig mir;
Wir schütten in got froleich sein,
Wir lungen nicht lenger hie gesellt.

Vielleicht hat man es sogar für eine derartige Naivität und nicht für
einen bloßen Witz zu halten, wenn sich zwischen zweien der heiligen drei
Könige, indem sie vor das Christuskind treten wollen, folgendes Gespräch
abspielt:

Ich bitt dich, Caspar, durch dein tugend,
Das du mir gabst dein alter umb mein jugent,
Das ich der erst möcht gesellt
Für Jesum den scheppher mein.


Caspar:

Ich wil dich gewern so zehant
Der yet (bitt), das du mich hast genaue:
Nun hin mein graben part
Hin an diser part
Und verleich du mir dein jugent.

Kaspar giebt dem andern seinen falschen Theaterbart. Daß die Zeiten der
Vergangenheit alle ineinander fließen, darf dann nicht Wunder nehmen- David
und Augustin treten zusammen auf, die Ekklesia gleichzeitig mit Jesaias, Gott
Vater beruft sich auf Paulus, und Petrus trügt die Himmelsschlüssel schon
zur Zeit der Bekehrung der Maria Magdalena. Heinzel führt zum Beweis
dafür, daß man das nicht als Unbedacht zu nehmen brauche, folgende Verse
Salomos aus dem Wolfenbüttler Spiel vom Sündenfall von Arnold Jm-
messen an:

Aber schließt man nicht richtiger aus dem ganz vereinzelten und späten Auf¬
treten einer solchen Bemerkung, daß man es hier mit einer Ausnahme zu




*) Carl Meuer (Zeitschrift für Kultur und Litteratur der Renaissance I, 172) bringt in
einer Abhandlung „Geistliches Schauspiel und kirchliche Kunst" eine Menge Beispiele von bild¬
lichen Darstellungen Josephs mit der Flasche und auch noch spätere Beispiele aus Dramen, die
es wahrscheinlich machen, das; der Zug zur Charakteristik Josephs gehört. Der Aufsatz, obwohl
nicht erschöpfend, berichtigt manche Auffassungen Heinzels. Sonne und Mond z. V., die Heinzel
als Sachrequisiten ansieht, sind bei dem Tode Christi von andeutend gekleideten Personen dar¬
gestellt worden, worauf schon die Buhnenanweisung des Donaueschinger Passionsspiels hätte
schließen lassen können: und gat sun und mon, die der zuo geordnet sind, hinder sich.
""
) Die Kälte der Christnncht.
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[0587] Das altdeutsche geistliche Schauspiel Das Erlauer Weihnachtsspiel zeigt mehrfach Vermengung der dargestellten Zeit und des dargestellten Ortes mit Zeit und Ort der Aufführung. Wenn Joseph zu dem Hirten sagt: „So ist das chindlein, das samt sol geporn sein," so bedeutet „samt": am heutigen Weihnachtsabend, an dem das Spiel auf¬ geführt wird. „Auch das wiederholte Trinken in diesem Stück — Joseph bietet den Hirten, Maria und der Hebamme zu trinken an — bezieht sich aus die gegenwärtige Weihnachtsfreude." ^ Das Stück schließt: Hirt! Joseph mich zimpt in meinem mut, Dem chint sei die chelten^) nicht gut. Laßt uns hie aufstan Und luß uns zu sans gen; Da schüli (sollen) mir froleich wer» Mit Jesu Christo dem edeln Herrn. Joseph: Gut man, des volig ich dir. Wol auf, Maria, volig mir; Wir schütten in got froleich sein, Wir lungen nicht lenger hie gesellt. Vielleicht hat man es sogar für eine derartige Naivität und nicht für einen bloßen Witz zu halten, wenn sich zwischen zweien der heiligen drei Könige, indem sie vor das Christuskind treten wollen, folgendes Gespräch abspielt: Ich bitt dich, Caspar, durch dein tugend, Das du mir gabst dein alter umb mein jugent, Das ich der erst möcht gesellt Für Jesum den scheppher mein. Caspar: Ich wil dich gewern so zehant Der yet (bitt), das du mich hast genaue: Nun hin mein graben part Hin an diser part Und verleich du mir dein jugent. Kaspar giebt dem andern seinen falschen Theaterbart. Daß die Zeiten der Vergangenheit alle ineinander fließen, darf dann nicht Wunder nehmen- David und Augustin treten zusammen auf, die Ekklesia gleichzeitig mit Jesaias, Gott Vater beruft sich auf Paulus, und Petrus trügt die Himmelsschlüssel schon zur Zeit der Bekehrung der Maria Magdalena. Heinzel führt zum Beweis dafür, daß man das nicht als Unbedacht zu nehmen brauche, folgende Verse Salomos aus dem Wolfenbüttler Spiel vom Sündenfall von Arnold Jm- messen an: Aber schließt man nicht richtiger aus dem ganz vereinzelten und späten Auf¬ treten einer solchen Bemerkung, daß man es hier mit einer Ausnahme zu *) Carl Meuer (Zeitschrift für Kultur und Litteratur der Renaissance I, 172) bringt in einer Abhandlung „Geistliches Schauspiel und kirchliche Kunst" eine Menge Beispiele von bild¬ lichen Darstellungen Josephs mit der Flasche und auch noch spätere Beispiele aus Dramen, die es wahrscheinlich machen, das; der Zug zur Charakteristik Josephs gehört. Der Aufsatz, obwohl nicht erschöpfend, berichtigt manche Auffassungen Heinzels. Sonne und Mond z. V., die Heinzel als Sachrequisiten ansieht, sind bei dem Tode Christi von andeutend gekleideten Personen dar¬ gestellt worden, worauf schon die Buhnenanweisung des Donaueschinger Passionsspiels hätte schließen lassen können: und gat sun und mon, die der zuo geordnet sind, hinder sich. "" ) Die Kälte der Christnncht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/587>, abgerufen am 30.12.2024.