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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Die Rechtskonsulentenfrage

gerichten die Rechtsanwälte mit den Winkelkonsulenten, und zwar ist der hier
geführte Wettkampf weit schärfer, als man gewöhnlich annimmt. Durch die
Befugnis, Konsulenten als Vertreter anzunehmen oder zurückzuweisen, ist es
dem Amtsrichter möglich, auf diesen Konkurrenzkampf einzuwirken und damit
auf die Praxis der Rechtsanwälte einen großen Einfluß zu gewinnen. Nicht
nur in Orten, wo es an Anwälten fehlt, sondern auch da, wo sie in ge¬
nügender Zahl vorhanden sind, lassen die Amtsrichter Winkelkonsulenten als
Parteivertreter zu. Berücksichtigt man nun, daß sich das Verhältnis zwischen
Richtern und Anwälten zusehends verschlechtert, und bedenkt man weiter, daß
manche Amtsrichter lieber mit den von ihnen abhängigen Konsulenten, als mit
freien Rechtsanwälten verhandeln, so wird man leicht die in diesem Gutdünken
des Richters für den Anwaltsstand liegenden Gefahren einsehen. Ferner
werden dadurch die Parteiinteressen zur Willkür neigenden Einzelrichtern
ausgeliefert. Deshalb liegt die Abschaffung des § 143 Absatz 2 im Interesse
des Anwaltstandes wie der Rechtspflege, und es sind andre Mittel und Wege
ausfindig zu macheu, um das Bedürfnis der Parteivertretung vor den Amts¬
gerichten, soweit dies nicht von den Nechtsanwälten besorgt werden kann, zu
befriedigen. Wie wir später sehen werden, liegt ein solches Mittel darin, daß
nur der Justizverwaltung die Befugnis eingeräumt wird, bestimmten Personen,
die nicht Rechtsanwälte sind, das mündliche Verhandeln vor den Amtsgerichten
zu gestatten. Eine solche Vorschrift müßte den Absatz 2 des Z 143 der Zivil¬
prozeßordnung ersetzen, dürfte aber nicht, wie dies die Novelle vorschreibt, neben
diesem Geltung erhalten. Denn so ist die Bestimmung eine Halbheit. Es
werden dadurch zwei Klassen außerhalb der Rechtsanwaltschaft stehender Partei¬
vertreter für die Amtsgerichte geschaffen, nämlich solche, die ihre Stellung
von der Justizverwaltung, und solche, die sie vom Amtsrichter ableiten. Der
gerügte Übelstand bliebe also nach wie vor bestehen. Die wohlthätige Wirkung,
durch staatlich zugelassene Parteivertretcr die Wiukeladvvkatur einzudämmen,
wäre dadurch völlig unwirksam gemacht, daß den Amtsrichtern auch noch
fernerhin gestattet würde, Winkeladvokaten zur Prozeßführung zuzulassen.

Die Vorschrift des § 35 der Gewerbeordnung, daß unzuverlässigen Per¬
sonen die gewerbsmäßige Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten und bei
Behörden wahrzunehmender Geschäfte von der Verwaltungsbehörde untersagt
werden muß, hat lediglich deu Zweck, die Auswüchse des Winkelkonsulententums
zu bekämpfen. Das geringe Ansehen, dessen sich die Rechtskonsulenten zur Zeit
erfreuen, und die zahllosen Schwierigkeiten, die ihrem Geschäftsbetrieb allent¬
halben in den Weg gelegt werden, haben eine Menge Gesindel und verkommne
Existenzen diesem Berufe zugeführt. Es ist also nur zu billigen, daß der
Verwaltungsbehörde die Befugnis gegeben wird, zweifelhafte Individuen aus¬
zumerzen. Diese Befugnis wird auch bestehen bleiben, wenn die erwähnte Be¬
stimmung der Novelle eingeführt wird, gleichviel ob es dem Belieben des Amts-


Die Rechtskonsulentenfrage

gerichten die Rechtsanwälte mit den Winkelkonsulenten, und zwar ist der hier
geführte Wettkampf weit schärfer, als man gewöhnlich annimmt. Durch die
Befugnis, Konsulenten als Vertreter anzunehmen oder zurückzuweisen, ist es
dem Amtsrichter möglich, auf diesen Konkurrenzkampf einzuwirken und damit
auf die Praxis der Rechtsanwälte einen großen Einfluß zu gewinnen. Nicht
nur in Orten, wo es an Anwälten fehlt, sondern auch da, wo sie in ge¬
nügender Zahl vorhanden sind, lassen die Amtsrichter Winkelkonsulenten als
Parteivertreter zu. Berücksichtigt man nun, daß sich das Verhältnis zwischen
Richtern und Anwälten zusehends verschlechtert, und bedenkt man weiter, daß
manche Amtsrichter lieber mit den von ihnen abhängigen Konsulenten, als mit
freien Rechtsanwälten verhandeln, so wird man leicht die in diesem Gutdünken
des Richters für den Anwaltsstand liegenden Gefahren einsehen. Ferner
werden dadurch die Parteiinteressen zur Willkür neigenden Einzelrichtern
ausgeliefert. Deshalb liegt die Abschaffung des § 143 Absatz 2 im Interesse
des Anwaltstandes wie der Rechtspflege, und es sind andre Mittel und Wege
ausfindig zu macheu, um das Bedürfnis der Parteivertretung vor den Amts¬
gerichten, soweit dies nicht von den Nechtsanwälten besorgt werden kann, zu
befriedigen. Wie wir später sehen werden, liegt ein solches Mittel darin, daß
nur der Justizverwaltung die Befugnis eingeräumt wird, bestimmten Personen,
die nicht Rechtsanwälte sind, das mündliche Verhandeln vor den Amtsgerichten
zu gestatten. Eine solche Vorschrift müßte den Absatz 2 des Z 143 der Zivil¬
prozeßordnung ersetzen, dürfte aber nicht, wie dies die Novelle vorschreibt, neben
diesem Geltung erhalten. Denn so ist die Bestimmung eine Halbheit. Es
werden dadurch zwei Klassen außerhalb der Rechtsanwaltschaft stehender Partei¬
vertreter für die Amtsgerichte geschaffen, nämlich solche, die ihre Stellung
von der Justizverwaltung, und solche, die sie vom Amtsrichter ableiten. Der
gerügte Übelstand bliebe also nach wie vor bestehen. Die wohlthätige Wirkung,
durch staatlich zugelassene Parteivertretcr die Wiukeladvvkatur einzudämmen,
wäre dadurch völlig unwirksam gemacht, daß den Amtsrichtern auch noch
fernerhin gestattet würde, Winkeladvokaten zur Prozeßführung zuzulassen.

Die Vorschrift des § 35 der Gewerbeordnung, daß unzuverlässigen Per¬
sonen die gewerbsmäßige Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten und bei
Behörden wahrzunehmender Geschäfte von der Verwaltungsbehörde untersagt
werden muß, hat lediglich deu Zweck, die Auswüchse des Winkelkonsulententums
zu bekämpfen. Das geringe Ansehen, dessen sich die Rechtskonsulenten zur Zeit
erfreuen, und die zahllosen Schwierigkeiten, die ihrem Geschäftsbetrieb allent¬
halben in den Weg gelegt werden, haben eine Menge Gesindel und verkommne
Existenzen diesem Berufe zugeführt. Es ist also nur zu billigen, daß der
Verwaltungsbehörde die Befugnis gegeben wird, zweifelhafte Individuen aus¬
zumerzen. Diese Befugnis wird auch bestehen bleiben, wenn die erwähnte Be¬
stimmung der Novelle eingeführt wird, gleichviel ob es dem Belieben des Amts-


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[0533] Die Rechtskonsulentenfrage gerichten die Rechtsanwälte mit den Winkelkonsulenten, und zwar ist der hier geführte Wettkampf weit schärfer, als man gewöhnlich annimmt. Durch die Befugnis, Konsulenten als Vertreter anzunehmen oder zurückzuweisen, ist es dem Amtsrichter möglich, auf diesen Konkurrenzkampf einzuwirken und damit auf die Praxis der Rechtsanwälte einen großen Einfluß zu gewinnen. Nicht nur in Orten, wo es an Anwälten fehlt, sondern auch da, wo sie in ge¬ nügender Zahl vorhanden sind, lassen die Amtsrichter Winkelkonsulenten als Parteivertreter zu. Berücksichtigt man nun, daß sich das Verhältnis zwischen Richtern und Anwälten zusehends verschlechtert, und bedenkt man weiter, daß manche Amtsrichter lieber mit den von ihnen abhängigen Konsulenten, als mit freien Rechtsanwälten verhandeln, so wird man leicht die in diesem Gutdünken des Richters für den Anwaltsstand liegenden Gefahren einsehen. Ferner werden dadurch die Parteiinteressen zur Willkür neigenden Einzelrichtern ausgeliefert. Deshalb liegt die Abschaffung des § 143 Absatz 2 im Interesse des Anwaltstandes wie der Rechtspflege, und es sind andre Mittel und Wege ausfindig zu macheu, um das Bedürfnis der Parteivertretung vor den Amts¬ gerichten, soweit dies nicht von den Nechtsanwälten besorgt werden kann, zu befriedigen. Wie wir später sehen werden, liegt ein solches Mittel darin, daß nur der Justizverwaltung die Befugnis eingeräumt wird, bestimmten Personen, die nicht Rechtsanwälte sind, das mündliche Verhandeln vor den Amtsgerichten zu gestatten. Eine solche Vorschrift müßte den Absatz 2 des Z 143 der Zivil¬ prozeßordnung ersetzen, dürfte aber nicht, wie dies die Novelle vorschreibt, neben diesem Geltung erhalten. Denn so ist die Bestimmung eine Halbheit. Es werden dadurch zwei Klassen außerhalb der Rechtsanwaltschaft stehender Partei¬ vertreter für die Amtsgerichte geschaffen, nämlich solche, die ihre Stellung von der Justizverwaltung, und solche, die sie vom Amtsrichter ableiten. Der gerügte Übelstand bliebe also nach wie vor bestehen. Die wohlthätige Wirkung, durch staatlich zugelassene Parteivertretcr die Wiukeladvvkatur einzudämmen, wäre dadurch völlig unwirksam gemacht, daß den Amtsrichtern auch noch fernerhin gestattet würde, Winkeladvokaten zur Prozeßführung zuzulassen. Die Vorschrift des § 35 der Gewerbeordnung, daß unzuverlässigen Per¬ sonen die gewerbsmäßige Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten und bei Behörden wahrzunehmender Geschäfte von der Verwaltungsbehörde untersagt werden muß, hat lediglich deu Zweck, die Auswüchse des Winkelkonsulententums zu bekämpfen. Das geringe Ansehen, dessen sich die Rechtskonsulenten zur Zeit erfreuen, und die zahllosen Schwierigkeiten, die ihrem Geschäftsbetrieb allent¬ halben in den Weg gelegt werden, haben eine Menge Gesindel und verkommne Existenzen diesem Berufe zugeführt. Es ist also nur zu billigen, daß der Verwaltungsbehörde die Befugnis gegeben wird, zweifelhafte Individuen aus¬ zumerzen. Diese Befugnis wird auch bestehen bleiben, wenn die erwähnte Be¬ stimmung der Novelle eingeführt wird, gleichviel ob es dem Belieben des Amts-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/533>, abgerufen am 23.07.2024.